Interview mit Christoph Aeschlimann
Christoph Aeschlimann ist überzeugt, dass Künstliche Intelligenz in unserem Alltag eine entscheidende Rolle einnehmen wird. Der CEO des Telekommunikationskonzerns Swisscom will mit Investitionen und Partnerschaften den Vorsprung seines Unternehmens weiter ausbauen.
Journalist: David Strohm | Fotograf: Markus Bertschi
Künstliche Intelligenz (KI) und die Analyse grosser Datenmengen wecken Hoffnungen. Welchen Mehrwert bieten die neuen Technologien aus Ihrer Sicht?
Ich glaube, viele positive Effekte lassen sich im Moment erst erahnen. Aber ich bin überzeugt, dass Generative KI, über die wir hier sprechen, uns helfen wird, Probleme zu lösen, die wir heute noch nicht lösen können oder die wir noch gar nicht kennen. Zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit oder Klima. Wir wollen unsere Produkte, Dienstleistungen und Prozesse so weiterentwickeln, dass die neuen Technologien effektiv einen zusätzlichen Nutzen stiften.
Welche Voraussetzungen sind Ihrer Meinung nach erforderlich, damit sich diese Technologien optimal entfalten können?
Eine ganze Menge! Zum einen die technischen Grundlagen: Dazu gehören die Verfügbarkeit grosser Datenmengen und entsprechende Plattformen, um damit arbeiten zu können. Genauso wichtig sind aber auch die organisatorischen Voraussetzungen und das Know-how. Wir müssen verstehen, wie wir diese Technologien überhaupt anwenden können und welche Möglichkeiten sie bieten. Zudem stellen sich Fragen der Governance und der Ethik. Wichtig ist, das nötige Vertrauen zu schaffen. Im Idealfall merken Anwender vom Einsatz dieser Technologien gar nichts.
Standortvorteile und die Innovationskultur in der Schweiz sind ebenfalls Voraussetzungen. Davon profitiert auch Ihr Unternehmen.
Es stimmt, dass die Schweiz über eine gesunde Innovationskultur verfügt und einen guten Nährboden für Start-ups bietet. Aber es ist ein kleiner Markt. Für Gründer ist es oft schwierig, Lösungen zu skalieren und Wachstum zu finanzieren. Das gilt es zu verbessern. In diesem Frühjahr haben UBS und Swisscom dazu als Gründungspartnerinnen die Stiftung «Deeptech Nation Switzerland Foundation» ins Leben gerufen. Sie soll sicherstellen, dass Start-ups und Scale-ups im forschungsintensiven Technologie-Bereich bessere Bedingungen für Weiterentwicklung und Wachstum erhalten.
«Als Unternehmen wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Unsere eigenen Guidelines sollen Vorbild sein für andere.»
Christoph Aeschlimann (Jahrgang 1977) ist CEO des Telekommunikationsunternehmens Swisscom. Nach einem Studium an der EPFL in Lausanne, das er als Informatikingenieur abschloss, erwarb Aeschlimann einen MBA der McGill University in Montreal. Seine berufliche Laufbahn begann er als Softwareentwickler, mit Stationen bei Odyssey, Zühlke und Erni. 2019 ging Aeschlimann zur Swisscom, übernahm dort die Leitung des Geschäftsbereichs IT, Network und Infrastructure und wurde Mitglied der Konzernleitung. Im Juni 2022 wurde er zum CEO ernannt.
Die Swisscom AG mit Sitz in Ittingen bei Bern ist das grösste Telekommunikationsunternehmen in der Schweiz und zählt zu den grössten IT-Unternehmen des Landes. In den Bereichen Mobilfunk und Breitband-Internet ist Swisscom Marktführerin. Zu den zahlreichen Beteiligungen gehört auch Italiens Telekommunikationsanbieter, Fastweb. Nach einer Teilprivatisierung ist der Konzern seit 1998 an der Schweizer Börse SIX kotiert. Die Aktien gehören dem Leitindex SMI an. Die Zahl der Beschäftigten beträgt knapp 20‘000. 2023 erzielte Swisscom einen Umsatz von rund 11 Milliarden CHF.
Bei der Entwicklung von KI-Anwendungen und Big Data ist Swisscom in der Schweiz schon jetzt in vieler Hinsicht führend. Welchen Beitrag leistet Swisscom zur Verbesserung der Innovationskultur?
Als Unternehmen wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Unsere eigenen Guidelines, die Regeln, die wir uns gesetzt haben in Bezug auf den Umgang mit den neuen Technologien, sollen Vorbild sein für andere. Sie sollen anderen Unternehmen helfen, schneller Zugang zum Thema KI zu finden, das Potenzial auszuschöpfen und ihre eigene Infrastruktur verantwortungsvoll aufzubauen. Dazu lancieren wir Angebote für unsere Geschäftskund:innen. Wir begleiten sie dabei, das Thema zu strukturieren, erste Use Cases zu entwickeln und Anwendungen zu implementieren. Dazu stellen wir unsere Beratungsteams zur Verfügung und bieten die entsprechende Technik.
Welche ethischen Überlegungen stellen sich für Swisscom bei Datenschutz und -verarbeitung?
Unsere eigene Governance ist angelehnt an europäische Standards. In der EU gibt es einen risikobasierten Ansatz mit unterschiedlichen Stufen. Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, damit die Teams herausfinden können, in welcher Risikokategorie sie sich eigentlich befinden. Je nach Kategorie gibt es Massnahmen, die es umzusetzen gilt. Das fängt bei der Transparenz an: man muss kenntlich machen, dass es ein KI-basiertes System ist, damit die Leute wissen, ob sie mit einem Menschen oder einem Roboter sprechen. Zu den weitergehenden Regeln zählt, wann und wie welche Daten genutzt werden dürfen und wie man sie schützen muss. Einige Anwendungen sind explizit nicht erlaubt oder nicht erwünscht.
«Man muss kenntlich machen, dass es ein KI-basiertes System ist, damit die Leute wissen, ob sie mit einem Menschen oder einem Roboter sprechen.»
Können Sie uns sagen, welche?
Wir vermeiden alles, von dem wir wissen, dass es vermutlich nicht den Erwartungen der Kund:innen entspricht und was unter der KI-Verordnung der EU ohnehin als verbotenes System gilt. Ein Beispiel: Mit einer Sentiment-Analyse lässt sich heute in einem Telefongespräch die Stimmung eines Mitarbeitenden aufgrund der Stimme feststellen. Ob jemand gerade fröhlich oder wütend ist, kann KI genau erkennen. Eine solche Anwendung würde bei uns in die Kategorie «verboten» fallen.
«Wir versuchen, verantwortungsvoll mit diesen Technologien umzugehen und sie so zu nutzen, wie das die Mehrheit der Kund:innen von uns erwartet.»
Wie sieht verantwortungsvolle Technologiegestaltung aus?
Für mich ist ein Gradmesser, ob man mit gutem Gewissen behaupten kann, dass das, was wir da machen, eine sinnvolle Sache ist. Wenn man umgekehrt das Gefühl hat, man könne nicht erklären, warum man das macht, dann sollte man es besser bleiben lassen. Als Unternehmen versuchen wir, verantwortungsvoll mit diesen Technologien umzugehen und sie so zu nutzen, wie das die Mehrheit der Kund:innen von uns erwartet.
«Absoluten Schutz gegen Cybermissbrauch wird es leider nie geben.»
Welche Massnahmen ergreift Swisscom, um sich und die Kund:innen gegen Datenmissbrauch und Cyberkriminalität zu schützen?
Unser Hauptanliegen ist der Schutz der eigenen Infrastruktur. Angriffe werden immer perfider. Wir versuchen, dem mit technischen Massnahmen so zu begegnen, dass Fehler, die nun mal passieren, nicht noch einmal vorkommen oder nicht so gravierende Folgen haben. Zudem sensibilisieren wir Kund:innen und Mitarbeitende. Wir sind bemüht, das Schutzniveau weiter zu erhöhen und jederzeit reaktionsfähig zu sein. Absoluten Schutz gegen Cybermissbrauch wird es aber leider nie geben.
Welche Rolle spielen Forschung und Entwicklung in Bezug auf die Datenanalyse innerhalb der strategischen Planung von Swisscom?
In Partnerschaften mit Universitäten und Hochschulen beteiligt sich Swisscom vor allem an angewandter Forschung, unterstützt Masterstudent:innen und Doktorand:innen, etwa in den Bereichen Cybersicherheit oder Künstliche Intelligenz. Ziel ist, schneller von der Forschung zur Anwendung zu kommen. Wir investieren etwa 20 % des Umsatzes oder 1,7 Milliarden CHF pro Jahr in unsere Netze und die IT-Infrastruktur, wobei ca. 30 % in den Ausbau des Glasfasernetzes fliesst. Vom Selbstverständnis her versteht sich Swisscom aber eher als Anwenderin, nicht als Entwicklerin.
«Unser Ziel ist, schneller von der Forschung zur Anwendung zu kommen.»
Wie lässt sich dem Verlust menschlicher/persönlicher Interaktion begegnen?
Die neusten Bots können schon erstaunlich viel. Der nächste Schritt dürfte dann eine Art digitaler Mensch sein, dessen Stimme und Mimik sich kaum noch von einem echten Menschen unterscheidet. Davon sind wir nicht mehr weit entfernt. Bei Swisscom wird es auch künftig menschliche Interaktion geben, in den Shops und am Telefon. Als Multikanalfirma lassen wir den Kund:innen die Wahl, mit wem und wann sie mit uns kommunizieren möchten.
Swisscom hat zu Beginn dieses Jahres eine KI-Offensive ausgerufen und 100 Millionen CHF an Investitionen in diesen Bereich angekündigt. Wo sollen dabei die Schwerpunkte gesetzt werden?
Der wichtigste Pfeiler ist das Angebot einer Schweiz-basierten KI-Infrastruktur, die eine Erweiterung unseres bestehenden Cloud-Angebots darstellt. Darauf lassen sich dann Modelle trainieren und anwenden. Das allein bedingt einen hohen Kapitaleinsatz.
Ihr Unternehmen setzt KI bereits in vielen Bereichen erfolgreich ein. Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Ihren Kund:innen?
Grundsätzlich sind die Reaktionen positiv. Die Technologie verbessert sich rasant schnell. Was die Kund:innen derzeit am meisten interessiert, ist: Wie kann ich die Technologie nutzen, um selbst effizienter zu werden, um Prozesse zu verbessern und zu automatisieren? Was funktioniert, was ist realistisch? Oder die Frage: Wo ist diese Technologie noch fehleranfällig und unzuverlässig?
Welche neuen Anwendungen dürfen wir erwarten?
Meine Hypothese ist, dass KI künftig überall eingesetzt werden wird, in allen Berufen und in allen Branchen. Diese Technologie wird alles verändern. Im Moment ist die Lernkurve extrem steil. Wichtig ist, am Ball zu bleiben und die Technik zum Vorteil aller zu nutzen. Es fühlt sich ein wenig an, wie am Ende der 1990er-Jahre, als das Internet und der Mobilfunk begannen, alles zu verändern. Heute machen wir praktisch nichts mehr ohne Handy und Internetzugang. Ich glaube, KI wird einen ähnlichen Einfluss haben, wahrscheinlich sogar einen noch grösseren.