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Korrekte Umsetzung der Arbeitszeiterfassung


Brigitte Zulauf
Leading Partner Treuhand

Das Arbeitsgesetz (ArG) ist seit 1966 in Kraft und basiert auf dem Fabrikgesetz aus dem Jahr 1877. Damit entsprechen die Arbeitszeitregelungen nicht mehr den heutigen Anforderungen an moderne Arbeitsformen. Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren bei behördlichen Kontrollen die Vorgaben für die Arbeitszeiterfassung nicht erfüllt. Seit 1. Januar 2016 gelten hier neue Bestimmungen. Diese sind nicht im Arbeitsgesetz selbst, sondern in der Verordnung zum Arbeitsgesetz 1 (ArGV 1) enthalten.
Lesezeit: 6 Minuten

Damit das Arbeitsgesetz doch noch modernisiert werden kann, dürften sowohl Arbeitgeber als teilweise auch Arbeitnehmer weitere Änderungen des Arbeitsgesetzes verlangen – oder solche sind bereits in parlamentarischer Bearbeitung.


Aktuelle Bestimmungen des Arbeitsgesetzes

Im Mittelpunkt des Arbeitsgesetzes steht der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund ist auch die Arbeitszeitregelung zu betrachten. Allerdings gilt das Arbeitsgesetz nicht für alle Unternehmen. «Uneingeschränkt gilt es für rund 240’000 Betriebe mit ca. 2,6 Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Verschiedene Betriebsarten sind jedoch ausgenommen, so unter anderem die Betriebe des öffentlichen Verkehrs, die landwirtschaftlichen Betriebe und die privaten Haushalte (bei den zwei Letzteren unter Ausnahme der Vorschriften über das Mindestalter). Für die öffentlichen Verwaltungen schliesslich gilt das Arbeitsgesetz grundsätzlich nur in Bezug auf den allgemeinen Gesundheitsschutz, nicht aber bezüglich der Arbeits- und Ruhezeiten.» [1]

[1] Seco, Wegleitung zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2, Februar 2016

Die Erfassungspflicht der Arbeitszeit ergibt sich aus Art. 46 ArG. Demnach ist der Arbeitgeber verpflichtet, den zuständigen Behörden entsprechende Verzeichnisse und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Anhand dieser lässt sich prüfen, ob die Verpflichtungen eingehalten werden. Das Unternehmen muss vor allem die folgenden Angaben zugänglich machen und während fünf Jahren aufbewahren: (Art. 73 ArGV 1)

  • Täglich und wöchentlich geleistete Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeitarbeit sowie ihre Lage (Art. 73 ArGV 1 lit. c)
  • Wöchentlich gewährte Ruhe- oder Ersatzruhetage, soweit diese nicht regelmässig auf einen Sonntag fallen (Art. 73 ArGV 1 lit. d)
  • Lage und Dauer der Pausen von einer halben Stunde und mehr (Art. 73 ArGV 1 lit. e)
  • Gesetzlich geschuldete Lohn- und/oder Zeitzuschläge (Art. 73 ArGV 1 lit. h)
  • Beginn und Ende der geleisteten Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeitarbeit (pro Tag und pro Woche) (Art. 73 ArGV 1 lit. c)

Unproblematisch ist die Arbeitszeiterfassung bei fixen Arbeitszeiten mit vorgegebenen Pausen. In solchen Fällen müssen nur allfällige Abweichungen festgehalten werden. Weitere Tipps zur vollständigen Arbeitszeiterfassung finden Sie hier.

Die festgehaltenen Vorgaben entsprechen oft nicht den Gegebenheiten in der Praxis. Denn sowohl die Unternehmen als auch die Mitarbeitenden möchten ihre Arbeitszeit flexibel gestalten können.

Es ist kein Geheimnis, dass viele Arbeitgeber die gesetzlichen Vorschriften nicht vollumfänglich einhalten, vor allem jene Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit.

Neue Bestimmungen der Arbeitszeiterfassung

Mit den neuen Regelungen zur Erleichterung der Arbeitszeiterfassung gelten die relativ komplizierten Arbeitszeitregelungen des Arbeitsgesetzes uneingeschränkt weiter; ihre Verletzung ist nach wie vor strafbar. Dies ist zentral für die Entscheidung der Unternehmen, ob die Arbeitszeit neu oder weiterhin im Detail mit allen Auflagen erfasst werden soll – was der Norm entspricht – oder ob für gewisse Gruppen Erleichterungen eingeführt werden.

Ein Wort zu den konkreten Neuerungen: Mit zwei neuen Artikeln [2] ergänzte der Bundesrat die ArGV 1. Der Auszug aus dem SECO-Merkblatt zeigt die neuen Bestimmungen tabellarisch auf. Das gesamte Merkblatt können Sie hier einsehen.

[2] Art. 73a ArG «Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung» und 73b ArG «Vereinfachte Arbeitszeiterfassung»

Die drei Regelungen im Überblick

Aufwand für die Einführung der neuen Rahmenbedingungen

Vereinfachte Zeiterfassung

Aufgrund des Mitwirkungsgesetzes (MWG) können privatwirtschaftliche Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitenden Arbeitnehmervertreter wählen, die spezifische Informations- und Mitspracherechte wahrnehmen (zum Beispiel Auswirkung des Geschäftsganges auf die Beschäftigung der Mitarbeitenden, Arbeitssicherheit nach Unfallversicherungsgesetz und Arbeitnehmerschutz gemäss ArG 48). Ansonsten stehen diese Rechte jedem Arbeitnehmer direkt zu. Besteht bereits eine Arbeitnehmervertretung, dürfte der Zeitaufwand für die Umsetzung nicht allzu gross sein. In kleineren Betrieben oder in Firmen ohne Arbeitnehmervertretung muss das Unternehmen die individuelle Vereinbarung mit jedem einzelnen Betroffenen einplanen (Information, Gestaltung der Vereinbarung, Unterschrift usw.). Demnach gestaltet sich der Aufwand unterschiedlich gross.

Arbeitszeiterfassungsverzicht

Auch in Unternehmen mit Gesamtarbeitsverträgen (GAV) ist der Aufwand einer seriösen Umsetzung nicht zu unterschätzen. Die Arbeitnehmerorganisation muss mit den folgenden Punkten einverstanden sein:

  • Benennung der arbeitszeitautonomen Arbeitnehmerkategorien nach objektiven Kriterien
  • Lohnbeträge (mindestens CH 120’000 Jahresbruttoeinkommen)
  • Gesundheitsmassnahmen
  • Anlaufstelle in Arbeitszeitfragen

Jeder Betroffene muss diesen Bestimmungen persönlich zustimmen. Die Gesundheitsmassnahmen sollten dem heutigen Erkenntnisstand der Wissenschaft entsprechen. Ansonsten läuft das Unternehmen Gefahr, bei späteren Stresserkrankungen von Arbeitnehmern durch Stresshaftung schadenersatzpflichtig zu werden (Fürsorgepflicht aus Art. 328 Obligationenrecht (OR)). Die Anlaufstelle in Arbeitszeitfragen muss Vorgesetzte für das Thema Arbeits- und Ruhezeiten sensibilisieren, den Stand der Arbeitsbelastung der Arbeitnehmer regelmässig prüfen, Arbeitnehmer mit Schwierigkeiten in Bezug auf ihre Arbeitszeiten unterstützen und bei Handlungsbedarf frühzeitig Massnahmen vorschlagen. Sie ist zudem Anlaufstelle für die Sozialpartner des GAV in diesen Fragen.

Kontrollen

Inwieweit die Kontrollen der zuständigen Arbeitsinspektorate zunehmen werden, wird unterschiedlich beurteilt. In der Vergangenheit haben diese die Unternehmen nur sporadisch kontrolliert. Wer die Bestimmungen nicht erfüllte oder bei einer Kontrolle keine detaillierte Zeiterfassung vorweisen konnte, musste innerhalb von sechs Monaten die notwendigen Massnahmen ergreifen, um gesetzeskonform zu werden.

Nun wurde den Unternehmen im November 2015 ein Instrument in die Hand gelegt, das eine gesetzeskonforme Umsetzung der Arbeitszeitvorschriften vereinfacht. Unternehmen mit Handlungsbedarf müssen mit einer gewissen Umsetzungszeit rechnen – auch seitens der Behörden. Je nach Kapazitäten der kantonalen Behörden dürften diese die Einhaltung vermehrt kontrollieren. Zudem kann ein Mitarbeitender jederzeit die Behörden anrufen, wenn er von einem gesetzeswidrigen Verhalten des Unternehmens ausgeht. Da es sich hier um zwingendes Recht handelt, müssen die Behörden reagieren.

Arbeitszeitautonomie

Wie sich die Arbeitszeitautonomie bestimmen lässt, muss die Praxis zeigen. Nachfolgend ein paar mögliche Kriterien:

  • Das Recht auf Selbststeuerung in Bezug auf Zeitumfang, Lage und Verteilung der Arbeitszeiten. Wir empfehlen eine schriftliche Formulierung.
  • Die Arbeitstätigkeit und die Arbeitsorganisation müssen Selbststeuerung zulassen. Ein grosser Kooperationsbedarf mit anderen Mitarbeitenden oder Kunden ist zum Beispiel ein Hindernis für eine Selbststeuerung.
  • Fähigkeit zur Selbststeuerung: In der Praxis benötigen Mitarbeitende einen ausreichenden Entscheidungs- und Organisationsspielraum sowie die entsprechende Fähigkeit, um ihre Arbeitszeitautonomie selbstverantwortlich wahrzunehmen.
  • Die Vorgesetzten müssen die Arbeitsleistungsbeurteilung ohne Bezug zu den Arbeitszeiten ermöglichen.
  • Keine normative Wirkung mehr: Neben formellen Steuerungskriterien (Reglemente, Verträge usw.) bestehen betriebliche oder branchenspezifische Normen und Wertesysteme, die einer autonomen Nutzung der Arbeitszeitautonomie entgegenstehen.

Lösungsansätze

Die passenden Lösungen für das einzelne Unternehmen fallen je nach Grösse, Branche und Anzahl Mitarbeitenden unterschiedlich aus. Der folgende Fragenkatalog hilft, eine geeignete Lösungsrichtung zu finden:

  • Gelten die neuen Bestimmungen für das Unternehmen generell, für einzelne Betriebszweige oder gar nicht?
  • Welche Personen sind durch Ausnahme im persönlichen Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes nicht von diesen Bestimmungen – mit Ausnahme derer zum Gesundheitsschutz – betroffen? Beispielsweise die höheren leitenden Angestellten, die Handelsreisenden oder wissenschaftliche Mitarbeitende?
  • Welche Mitarbeitenden fallen unter die vereinfachte Zeiterfassung oder unter den Zeiterfassungsverzicht? Lohnt sich der Aufwand für die Einführung der vereinfachten Zeiterfassung oder des Verzichts?
  • Gibt es einen Gesamtarbeitsvertrag für die Gruppe des Arbeitszeiterfassungsverzichts, oder kann das Unternehmen ohne zu viele Auflagen und Konsequenzen einem solchen beitreten?
  • Mit welchen Mehrkosten muss das Unternehmen bei der korrekten Umsetzung rechnen? Dies in Bezug auf:
    • Lohnzuschläge
    • Einführungskosten wie z.B.:
      • Hard- und Softwareeinführung für die Zeiterfassung
      • Andere Einführungskosten wie Arbeitsvertrags- und Reglementanpassungen, Arbeitnehmervertretung, Massnahmen für den psychosozialen Gesundheitsschutz
      • Einführung von zusätzlichen Vorgesetztenstellen
      • GAV-Kosten
    • Wiederkehrende Kosten (Mittelabfluss und Zeitaufwand) analog Einführungskosten

Zeiterfassungslösungen

Zunächst sollte das Unternehmen prüfen, ob seine bestehende Zeiterfassungssoftware die komplexen Anforderungen des ArG an die Zeiterfassung vollumfänglich erfüllen kann. Wird ein Ersatz oder eine Neuanschaffung nötig, sollte bei der Wahl der Lösung je nach Grösse und Bedürfnissen dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Mitarbeitende immer mobiler werden und die Arbeit nicht mehr unbedingt an einem fixen Arbeitsplatz verrichtet wird. Es gibt Anwendungen, bei denen der Mitarbeitende seine Arbeitszeit zum Beispiel mit dem Mobiltelefon erfasst und diese dann an den Arbeitgeber übermittelt.

Arbeitsvertrags- und Reglementsanpassungen

Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit oder nicht gesetzeskonformen Bestimmungen sollten sich überlegen, inwieweit sie die Arbeitsverträge und Reglemente anpassen. Eine solche Anpassung bewirkt einen beachtlichen administrativen Aufwand. Da das Unternehmen ohne direkte Zustimmung der betroffenen Mitarbeitenden Änderungskündigungsfristen einhalten muss, kann es eine Neuregelung nicht von einem Tag auf den anderen einführen. Weil mit Vertrauensarbeitszeit oft auch keine Überzeiten ausbezahlt werden (diese werden mit dem Salär abgegolten), könnte der Verzicht auf Anpassungen zu einer Verteuerung der Personalkosten führen. Ansonsten müsste allenfalls eine Lohnreduktion erfolgen.

Fazit

Die Arbeitszeiterfassung und ihre Anpassung ist eine nicht zu unterschätzende Thematik, die in den Unternehmen ganz unterschiedlich gelöst werden kann – und muss. Das könnte sowohl das Bewusstsein als auch die Kenntnisse der Mitarbeitenden für die Arbeitsgesetzbestimmungen erhöhen. Schliesslich ist die Rekrutierung und Förderung von guten Mitarbeitenden in manchen Unternehmen eine grosse Herausforderung. Die Unternehmen müssen sich deshalb bewusst sein, dass sich heutige oder zukünftige Lösungen auf deren Beurteilung als attraktive Arbeitgeber auswirken.

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