Mit einem zirkulären Geschäftsmodell kann ein Unternehmen den Wert von Kapital und Wertstoffen maximieren, seine Klimaresilienz erhöhen und substanziell zu den Klimazielen beitragen. Welche konkrete Rolle Circular Finance für die Akteure und den Wirtschaftsstandort Schweiz spielt und welche Chancen sich daraus ergeben, erläutert Dr. Antonios Koumbarakis, Head Sustainability & Strategic Regulatory Initiatives bei PwC Schweiz, im Gespräch.
Herr Koumbarakis, was genau verstehen Sie unter Circular Finance?
Als Circular Finance gelten jegliche Finanzdienstleistungen oder -instrumente, die einen oder mehrere Faktoren der Kreislaufwirtschaft einbeziehen. Ziel von Circular Finance ist es, nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen oder zu beschleunigen und den Wandel von einem linearen zu einem zirkulären Wirtschaftsgeschehen zu fördern.
Linear inwiefern?
Aktuell wird produziert, geworben, konsumiert, entsorgt und rezykliert. Doch die meisten Rohstoffe werden dem Wirtschaftskreislauf nicht wieder zugeführt oder sind – wie Plastik – nach wenigen Recyclingzyklen nicht mehr wiederverwendbar. So werden Ressourcen vergeudet oder gehen unwiderruflich verloren. Heute markiert das Ende des Lebenszyklus von Produkten oder Dienstleistungen nicht unbedingt den Anfang eines neuen.
Warum braucht es diesen Paradigmenwechsel?
Weil wir die hochgesteckten Klima- und Umweltziele nicht erreichen, wenn wir uns kompromisslos auf den Ressourcenverbrauch konzentrieren. Die meisten Treibhausgas-Emissionen resultieren aus linearen Prozessen.
Wie fügt sich Circular Investing in die Kategorie des nachhaltigen Investierens ein?
Sustainable Investing ist der Überbegriff. Er leitet sich aus Sustainable Finance als jede Form von Finanzdienstleistung her, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) in Investitionsentscheidungen zum nachhaltigen Nutzen der Kunden und der Gesellschaft fördert. Circular Investing ist eine Unterkategorie von Sustainable Investing. Hier geht es um einen erleichterten Zugang zu Finanzmitteln als Anreiz und Lenkung von Investitionen in zirkuläre Ansätze oder Innovationen. Impact Investing – ebenfalls eine Unterkategorie von Sustainable Investing – zielt auf eine klar messbare Wirkung ab. Beispielsweise ein Cleantech-Fonds für den Einsatz von Wasserstofftechnologie in der Herstellung oder im Recycling von Produkten.
Was macht Circular Finance für Unternehmen im Allgemeinen und für Finanzinstitute im Besonderen attraktiv?
Circular Finance eröffnet eine Reihe von Opportunitäten. Die Unternehmen können damit einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Sie profitieren zudem von einem positiven Effekt auf das Image und von Wettbewerbsvorteilen. Zum Beispiel dann, wenn sie zirkuläre Produkte zu ähnlichen Preisen anbieten wie lineare Produkte. Dazu sollten sie ihre Rohstoffe und Halbfabrikate kennen und überdenken, nach Alternativen forschen, toxische Stoffe im Negativ-Screening-Verfahren sukzessive eliminieren, den Einkauf neu aufsetzen und in innovative Lösungen oder Designs investieren. Autositze müssen nicht zwingend aus Leder gefertigt sein, um die Kundschaft zu begeistern. Wichtig ist jedoch, dass Materialien im Sinne des Kreislaufgedankens rezykliert und weiterverwertet werden können. Viele Onlinehändler sind innovativ und digital, aber nicht unbedingt nachhaltig. Zum Beispiel wird ein grosser Teil der online bestellten Kleiderretouren verbrannt. So entgehen dem Kreislauf wertvolle Ressourcen.
Finanzinstituten und -dienstleistern bietet Circular Finance die Chance, in eine Schlüsselrolle als Innovator oder Ermöglicher zu schlüpfen. Sie können die Themenführung übernehmen, Kreislaufkredite vergeben und Investitionen in Unternehmen und Projekte der Zirkularität fördern. Denn der Bedarf an nachhaltigen Investments boomt, seit COVID-19 erst recht.
«Eine starke Kreislaufwirtschaft würde manche Herausforderung und Aufgabe des Klimawandels lösen.»
Welche Risiken gilt es dabei zu beachten?
Der Wechsel von linear zu zirkulär ist mit dem Risiko der Ressourcenknappheit verbunden. Die Finanzdienstleister müssen ein Bewusstsein für dieses Risiko wie zum Beispiel dessen Einfluss auf die Preisvolatilität – entwickeln, es in die Konzeption ihrer Angebote integrieren und einen gezielten Umgang damit festlegen.
Welche Circular-Finance-Produkte sind auf dem Markt erhältlich?
Es gibt bereits vielfältige Vehikel, von Circular Bonds über Anleihen und Krediten für Circular Investments bis hin zu Venture Capital für zirkuläre Projekte. Eine besondere Herausforderung für die Anbieter ist die Messbarkeit der Zirkularität. Hier gilt es festzulegen, welche Strategien der Kreislaufwirtschaft und welche Leistungskennzahlen für den Nachweis von Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Zirkularität im Besonderen man berücksichtigt. Diese Messgrössen lassen sich zum Beispiel mit der neuen EU-Klimataxonomie kombinieren.
Bei zwei der Instrumente, die für Circularity-Investitionen konzipiert wurden, handelt es sich um Aktienfonds und Unternehmensanleihen, die auf die Kreislaufwirtschaft fokussieren. Seit etwa einem Jahr ist die Zahl solcher Aktienfonds und das von ihnen verwaltete Vermögen gestiegen1. Auch die Zahl der Unternehmensanleihen mit alleinigem oder teilweisem Schwerpunkt auf die Kreislaufwirtschaft hat seit 2019 rasant zugenommen.
Vielleicht noch wichtiger als die Instrumente ist der Ansatz, der von Anlegern für die gesamte Branche übernommen werden kann. Ein zirkulärer Anlageprozess kann sich über alle Phasen erstrecken:
- Auswahl des Anlageuniversums: Ausschluss und Analyse basierend auf Kriterien einer zirkulären Wirtschaft. Dabei sollten auch zirkuläre Leistungskennzahlen (KPI) herangezogen werden, etwa die «hazardous waste ratio», die «packaging waste ratio», die «e-waste ratio» und andere.
- Investment Due Diligence: Integration von Faktoren und Daten der Kreislaufwirtschaft in Finanzanalysen und Anlageargumentationen.
- Portfoliokonstruktion: Positionierung von Portfolios auf der Grundlage eines Circularity-Profils und einer Risikobewertung.
- Überwachung: Circular Risk Monitoring und Reporting auf Basis von KPI der Zirkularität.
- Aktive Beteiligung: Engagement in Unternehmen und Abstimmung über Kreislaufwirtschaftsthemen.
[1] Nach Angaben der Ellen MacArthur Foundation um das Sechsfache in den ersten acht Monaten des Jahres 2020.
«Circular Finance bietet der Finanzindustrie die Chance, eine Schlüsselrolle im Übergang von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft zu übernehmen.»
Wie steht es um die Skalierbarkeit solcher Produkte?
Hier entsteht ein Schneeballeffekt: Je zirkulärer die Wirtschaft wird, desto schneller und umfangreicher entwickeln sich zirkuläre Produkte. Je mehr Menschen ihr Verhalten anpassen, desto grösser wird die Vielfalt des Angebots. Für die Unternehmen gilt es, diesen Effekt als Chance zu nutzen und passende Kreislaufstrategien umzusetzen. Skalierbarkeit entsteht dann, wenn ein Unternehmen sämtliche Prozesse auf Zirkularität umgestellt hat. Skalierbarkeit und Zirkularität greifen ineinander und bedingen sich gegenseitig.
Weshalb ist Circular Finance wichtig für den Wirtschaftsstandort Schweiz?
Die Finanzbranche als Kernindustrie der Schweiz kann im Übergang zu einer zirkulären Wirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Das stärkt das Image und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Circular Finance schafft neue Geschäftsfelder und Arbeitsplätze. Denn durch zirkuläre Ansätze entstehen neue Tätigkeitsfelder, Jobprofile und ein Bedarf für neuartige Fähigkeiten. Angesichts der dichten internationalen Vernetzung der Schweiz festigt die Position als Innovator zudem die Aussenhandelsbeziehungen unseres Landes.
Wie sieht der regulatorische Fahrplan aus?
Circular Finance ist zurzeit noch ein Nischenthema. Doch der regulatorische Druck wächst. So hat die Europäische Kommission im April 2021 ein ambitioniertes und umfassendes Massnahmenpaket angenommen, das dazu beitragen soll, mehr Geld in nachhaltige Tätigkeiten zu lenken. Teil des Pakets ist die Verordnung zur EU-Klimataxonomie, die darauf abzielt, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu fördern. Dieses Beispiel zeigt, dass Kreislaufwirtschaft und damit Circular Finance auf der Agenda der Gesetzgeber an Tempo und Wichtigkeit gewinnen.
Was muss oder wird als Nächstes geschehen?
Das Thema ist heute noch zu wenig bekannt, es braucht also mehr Präsenz und Relevanz. Und es braucht eine allgemein anerkannte Kategorisierung und Klassifizierung von zirkulären Ansätzen und Projekten, ähnlich wie bei der EU-Klimataxonomie. Eindeutige Messgrössen und Leistungskennzahlen helfen, dass die involvierten Akteure wie Unternehmen, Finanzinstitute, Investoren und Behörden die gleiche Sprache sprechen. Ausserdem sind entsprechende Rahmenbedingungen mit Anreizen nötig, die Innovation und Unternehmertum fördern und Verstösse ahnden. Auch das Besteuerungssystem muss entsprechend angepasst werden. Und schliesslich müssen die Menschen umdenken und ihr Konsumverhalten ändern. Das alles läuft wie gesagt Hand in Hand.