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Wie in unserem Artikel „Coronavirus: Auswirkungen auf die Finanzberichterstattung nach dem 31. Dezember 2019“ dargelegt, wirkt sich das Virus auf viele Bereiche der Rechnungslegung und Berichterstattung von Unternehmen aller Branchen aus. Im März veröffentlichte der IASB ein kurzes Dokument zu Fragen der Anwendung des IFRS 9 i. Z, m. der Corona-Krise. Für Finanzinstitute wurden zusätzliche Richtlinien von Regulatoren herausgegeben. Allerdings sehen sich Unternehmen aller Branchen erhöhtem Druck auf das Working Capital und einem möglichen Anstieg des Ausfallrisikos ihrer Forderungen ausgesetzt. Im Rahmen dieser Publikation gehen wir auf die Auswirkungen der Corona-Krise für Industrieunternehmen (d. h. Nicht-Finanzinstitute) im Rahmen der Ermittlung der erwarteten Kreditverluste (expected credit losses, ECL) für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Vertragsvermögenswerte, Leasingforderungen, konzerninterne Darlehen sowie alle anderen finanziellen Vermögenswerte, die den Bestimmungen des IFRS 9 zur Ermittlung von ECL unterliegen, ein.
Die Publikation konzentriert sich auf die Ermittlung des ECL. Daneben existieren weitere IFRS 9-bezogene Fragestellungen, wie die Fortführbarkeit von Sicherungsbeziehungen, die bilanziellen Implikationen von Modifikationen von Schuldinstrumenten oder auch von Massnahmen zur Verbesserung des Working Capital. Unternehmen sind daher angehalten, sich mit sämtlichen potenziellen Auswirkungen der Krise auf ihre Finanzberichterstattung zu beschäftigen. Hinweise zu den genannten und weiteren möglichen Themen enthält der oben erwähnte IFRS für die Praxis.
Wie oben bereits erwähnt, veröffentlichte der IASB im März ein kurzes Dokument zur Anwendung des IFRS 9 i. Z. m. den derzeit aufgrund der Corona-Krise bestehenden Unsicherheiten. Ziel des Dokuments ist es, eine einheitliche and rechtssichere Anwendung des IFRS 9 zu unterstützen. Der IASB erkennt an, dass die Schätzung erwarteter Kreditverluste in der gegenwärtigen Situation eine Herausforderung darstellt und es zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglicherweise schwierig sein kann, die spezifischen Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie staatlicher Unterstützungsmassnahmen auf einer angemessenen und belastbaren („reasonable and supportable“) Basis zu berücksichtigen. Der IASB führt jedoch auch klar aus, dass Veränderungen der wirtschaftlichen Bedingungen in den von den Unternehmen verwendeten makroökonomischen Szenarien und deren Gewichtung berücksichtigt werden müssen.
Zu den vom IASB für alle Unternehmen (auch Nicht-Finanzinstitute) getroffenen Hauptaussagen gehören:
Im Folgenden gehen wir auf die Auswirkungen dieser sowie anderer Hinweise für Industrieunternehmen ein.
Obwohl die Unsicherheiten, die sich aus der Coronakrise ergeben, beträchtlich sind und sich die Umstände sicherlich noch weiter verändern werden, erwarten wir nicht, dass dies Unternehmen daran hindert, ihre erwarteten Kreditverluste (ECL) zu schätzen. Die Schätzung von Kreditverlusten in diesem Umfeld ist herausfordernd, aber dies bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, die Auswirkungen auf der Grundlage der verfügbaren angemessenen und belastbaren Informationen abzuschätzen. Die Berücksichtigung folgender Aspekte ist aus unserer Sicht hierbei hilfreich:
Zu den Finanzinstrumenten, die in den Anwendungsbereich des Modells zur Bemessung erwarteter Kreditverluste des IFRS 9 fallen, gehören Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und sonstige Forderungen, Darlehensforderungen und sonstige Schuldinstrumente, die nicht erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden (einschliesslich konzerninterner Darlehen), Vertragsvermögenswerte, Leasingforderungen, Finanzgarantien und Kreditzusagen.
Für viele Industriekonzerne dürften die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen der wesentlichste Posten sein, für den erwartete Kreditverluste nach IFRS 9 zu bestimmen sind. IFRS 9 sieht für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Vertragsvermögenswerte, die keine signifikante Finanzierungskomponente enthalten einen vereinfachten Ansatz, bei dem der Lifetime-ECL zu erfassen ist, vor. Unternehmen berechnen in diesem Fall die erwarteten Kreditverluste oft unter Verwendung einer Wertberichtigungsmatrix. Der vereinfachte Ansatz ist auch für Leasingforderungen und Forderungen mit einer signifikanten Finanzierungskomponente zulässig, in diesem Fall handelt es sich jedoch um eine Wahlmöglichkeit bei der Festlegung der Rechnungslegungsmethode.
Bei der Beurteilung des Ausfallrisikos für die Bilanzposten und der Bemessung der erwarteten Kreditverluste müssen jedoch nach wie vor zukunftsgerichtete Informationen (einschliesslich makroökonomischer Informationen) berücksichtigt werden. Wie bereits erwähnt, könnten zukunftsgerichtete Informationen ein oder mehrere Downside-Szenarien im Zusammenhang mit der Verbreitung des Coronavirus beinhalten.
Unternehmen teilen ihre Forderungen häufig in verschiedene Gruppen ein, bevor sie eine Wertberichtigungsmatrix anwenden. So kann ein Unternehmen beispielsweise an Kunden in verschiedenen Branchen verkaufen, von denen einige in höherem Masse als andere von COVID-19 betroffen sind und daher unterschiedlichen Ausfallrisiken ausgesetzt sind. Andere Faktoren, die bei einer solchen Einteilung berücksichtigt werden könnten, wären u.a. geografische Regionen, Produkttyp, Kundenratings, Sicherheiten und die Art des Kunden (z. B. Grosshandel vs. Einzelhandel).
Zur Einteilung ist es wichtig, zunächst die Treiber des Ausfallrisikos für die zugrunde liegenden Forderungen zu verstehen und zu verstehen, wie sich diese angesichts der aktuellen Pandemie verändert haben könnten. Die Festlegung des erforderlichen Grads an Einteilung ist oft ermessensbehaftet, und in sich entwickelnden Segmenten sollte ein Unternehmen überprüfen, wo eine weitere Segmentierung erforderlich sein könnte. Die Einteilung kann in einigen Fällen bis auf die Ebene des einzelnen Kunden gehen. Wenn z.B. ein bestimmter Kunde bekanntermassen in finanziellen Schwierigkeiten ist, kann im Vergleich zu historischen Durchschnittswerten über alle Alterungskategorien eine höhere Wertberichtigung erforderlich sein. Es ist wichtig, in diesen Situationen eine Doppelzählung von Verlusten zu prüfen und zu vermeiden.
Bei dem Versuch, die Auswirkungen der Pandemie zu modellieren, könnten Unternehmen als Ausgangspunkt das Verhalten ihrer Kunden während früherer Rezessionen betrachten und dabei historische Erfahrungswerte zu Kreditverlusten als Schätzung künftiger Verluste heranziehen. Da jedoch vergleichbare Beschränkungen sowohl der Bewegungsfreiheit als auch der wirtschaftlichen Aktivitäten in den meisten Ländern in ähnlicher Weise noch nie vorgekommen sein dürften, müssen diese historischen Informationen angepasst werden, um sie gegenwärtig belastbar zu machen. Hieraus könnte sich eine Erhöhung des erwarteten Ausfallrisikos für jedes Alterungsband der Wertberichtigungsmatrix ergeben.
Ebenso kann es vorkommen, dass einige Kunden länger als normal brauchen, um zu zahlen, wodurch sich die Anzahl der Schuldner in den überfälligen Alterungsbändern erhöht. Inwieweit die Zahlungsverzögerungen auf das Ausfallrisiko zurückzuführen sind oder lediglich einen Hinweis auf praktische Probleme darstellen (z. B. weil Mitarbeiter nicht in der Lage sind, ihre Büros zu betreten), muss sorgfältig geprüft werden. Viele Lieferantenvereinbarungen beinhalten das Recht, auf überfällige Zahlungen Zinsen zu erheben, aber in der Praxis wird dies nicht immer umgesetzt, um gute Kundenbeziehungen aufrechtzuerhalten. Wenn Unternehmen nicht die Absicht haben, Zinsen zu erheben, sollten diese auch nicht angesetzt werden.
Auch die Wahrscheinlichkeit, dass Schuldner zahlen, und die Auswirkungen etwaiger staatlicher Initiativen müssen bei der Bemessung der erwarteten Kreditverluste am Ende jeder Berichtsperiode überprüft werden.
Wenn Unternehmen den vereinfachten Ansatz nicht anwenden dürfen oder sich dafür entschieden haben, dies nicht zu tun, können zusätzliche Informationen erforderlich sein, um festzustellen, ob eine signifikante Erhöhung des Ausfallrisikos eingetreten ist und daher eine Risikovorsorge i. H. d. Lifetime-ECL anstatt des 12-Monats-ECL erforderlich ist. Dies wird für alle Forderungen gelten, auf die das vollständige IFRS 9-Modell angewandt wird, einschliesslich Darlehensforderungen und der meisten konzerninternen Salden. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören:
Viele Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt überarbeiten die Fristen und Anforderungen für die Zwischenberichterstattung. Wenn Unternehmen Zwischenberichte gemäss IAS 34 veröffentlichen, wird es wichtig sein, die übergreifende Zielsetzung im Blick zu halten, Ereignisse und Transaktionen seit dem Ende der letzten vollständigen Berichtsperiode zu erklären, die für das Verständnis von Veränderungen der Vermögens- und Ertragslage von Bedeutung sind. Zu den wichtigsten Erwägungen bei der Erfüllung dieser Anforderung und bei der Erstellung anderer Formen von Zwischenberichten werden wahrscheinlich folgende gehören:
Der Ausbruch des Coronavirus hat zu beispiellosen Herausforderungen geführt, die praktisch jeden Aspekt des modernen Lebens betreffen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus werden sich in der Folge auf viele Aspekte der Rechnungslegung und der Finanzberichterstattung auswirken. Unternehmen stehen vor einigen der grössten Herausforderungen im Bereich der Rechnungslegung, und wir hoffen, dass diese Publikation Ihnen bei der Bewältigung der wichtigsten Probleme im Zusammenhang mit der Ermittlung erwarteter Kreditverluste helfen wird.
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