Interview mit Karin Frick
Karin Frick erforscht die Zukunft – und blickt dafür auch in die Vergangenheit. Im Gespräch erklärt sie, warum uns neue Technologien zugleich faszinieren und beunruhigen. Und sie zeigt auch, wie künstliche Intelligenz, Roboter und Co. die Arbeitswelt sowie das Älterwerden verändern könnten.
Journalistin: Bettina Bhend | Fotograf: Markus Bertschi
Was braucht eine Technologie, damit sie zum «Game Changer» wird?
Geld ist zentral. Eine Technologie muss sich in einen Business Case übersetzen lassen, damit entsprechende Forschung finanziell unterstützt und vorangetrieben wird. Wichtig ist auch, wie eigenständig eine Technologie ist: Technologien, die ein ganzes Ökosystem oder Anpassungen der Infrastruktur benötigen, um zu funktionieren, setzen sich in der Tendenz schwerer durch oder zumindest langsamer. Wirklich entscheidend ist aber der Mensch: Was er nicht nutzt, etabliert sich nicht.
Wann öffnen sich Menschen einer Technologie?
Man sagt: «Convenience is king.» Menschen müssen eine Zweckmässigkeit erkennen, damit sie eine Technologie nutzen. Tools für das digitale Zusammenarbeiten beispielsweise setzen sich nicht nur durch, weil sie eine bestimmte Funktion erfüllen, sondern weil sie uns als Nutzer:innen etwas bieten, das darüber hinaus geht: in diesem Fall die Freiheit, ortsunabhängig zu arbeiten.
Wo sehen Sie in der Arbeitswelt von morgen generell die Vorteile neuer Technologien?
Technologien erlauben es uns, Arbeiten auszulagern, die niemand gerne macht – zum Beispiel Tätigkeiten, die extrem repetitiv, gefährlich oder gesundheitsschädigend sind. Für Unternehmen ist das effizient, denn Maschinen arbeiten günstiger als Menschen. Das bedeutet im Gegenzug, dass sich Jobprofile verändern und neu gebündelt werden müssen: Aufgaben fallen weg, neue kommen hinzu.
«Wirklich entscheidend ist der Mensch: Was er nicht nutzt, wird sich nicht etablieren.»
Das löst auch Ängste aus – vor Technologien wie KI oder Robotik, die uns den Arbeitsplatz sogar streitig machen könnten.
Ich glaube nicht, dass Menschen Angst vor Technologien haben. Vor einem besseren Herzschrittmacher oder neuen Medikamenten fürchtet sich kaum jemand. Es sind vielmehr die Folgen technologischer Veränderungen, die Angst auslösen können: Nicht der Roboter ist das Problem, sondern die Tatsache, dass unser Gesellschaftssystem auf Erwerbseinkommen ausgerichtet ist. Fällt dieses weg, ist das ein sehr grosses Problem. Angst gibt es immer dann, wenn es um Verlust geht: Zum Beispiel Verlust einer sicheren Existenz, Machtverlust oder Verlust von Privilegien.
Karin Frick ist Principal Researcher und war über 20 Jahre Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und befasst sich seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen mit Zukunftsthemen, gesellschaftlichem Wandel und Innovation. Die Ökonomin erforscht den Einfluss des technischen Fortschritts auf Wirtschaft und Gesellschaft und referiert regelmässig über Trends und Gegentrends.
Sind diese Ängste berechtigt?
Zum Teil, ja. Aber die Konsequenzen neuer Technologien sind nicht für alle gleich und unterscheiden sich je nach Weltregion oder Gesellschaftsschicht. Um es mit einem Bonmot zu sagen: Die Zukunft ist schon hier, aber ungleichmässig verteilt.
Wie sieht es für die Schweiz aus?
Wir haben in der Schweiz viele sehr gut ausgebildete Leute, die mit dem technologischen Wandel schritthalten können. Zudem verfügen wir über Wohlstand, um uns einen Sozialstaat leisten zu können, der diejenigen unterstützt, die sonst abgehängt würden.
Für wen ist die Gefahr am grössten, abgehängt zu werden?
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. In der Arbeitswelt sind es aber keinesfalls immer die Mitarbeitenden, die leiden, und die Führungskräfte, die profitieren. Hier spielen Generationenunterschiede eine wichtige Rolle. Denn junge Mitarbeitende sind oft fitter im Umgang mit neuen Technologien als ältere Vorgesetzte. Oder ein anderes Beispiel aus einem Forschungsexperiment: Gegen die Einführung von generativer KI in einem Betrieb hat sich schlussendlich vor allem die Führungsetage gewehrt. Weil alle die KI nutzten und niemand mehr die Führungskräfte um Rat gefragt hat, fühlten diese sich irgendwann überflüssig.
«Wir als Gesellschaft müssen bestimmen, wo wir der Technologie Grenzen setzen.»
Es scheint immer irgendwo Gewinner und Verlierer zu geben. Wie können sich neue Technologien dann überhaupt auf faire Weise etablieren?
Wichtig ist die demokratische Legitimierung. Wir als Gesellschaft müssen bestimmen, wo einer Technologie Grenzen gesetzt werden sollen. Nicht passieren darf, dass sich die Entscheidungsmacht bei einigen wenigen Konzernen konzentriert.
Regulierungen stünden der Innovation im Weg, hört man oft. Wie sehen Sie das?
Ich sehe das nicht so. Oft braucht es Regulierungen, weil es sonst zu lange dauert, bis ein Ziel erreicht ist. Zudem kann Regulierung auch Chancen bieten: Wenn wir zum Beispiel bestimmen, dass Plastik in fünf Jahren verboten sein wird, dann haben Innovatoren auf diesem Gebiet Rechtssicherheit und können konkrete Lösungen für diese neuen Rahmenbedingungen entwickeln. Wichtig ist, dass wir genau dies tun: Rahmenbedingungen definieren – und nicht Lösungswege vorschreiben.
Kann es ein «Zuviel» an Technologie geben?
Ich denke nicht. Denn Technologien naturalisieren sich über die Zeit. Elektrizität ist Technologie, Kochen mit Herdplatte und Backofen ist Technologie, Kleider aus Kunstfasern sind Technologie. Aber wir nehmen diese Dinge als ganz alltäglich wahr, sobald sie nicht mehr brandneu sind. So gesehen gibt es nicht immer mehr Technologie, es ist eher ein steter Wandel.
Es gibt aber auch Trends, die in eine andere Richtung zeigen: Digital Detox, LP statt Spotify, Gemüse aus dem eigenen Garten statt dem Tiefkühlregal. Wie beurteilen Sie solche Entwicklungen?
Diese Trends gibt es, aber ich sehe sie nicht als Gegenbewegung, sondern eher als Nische. Es sind «Inseln», die von der Nostalgie und der Exotik leben. Als das Auto aufkam, sind Pferde nicht plötzlich ausgestorben – auch heute noch gibt es Menschen, die gerne reiten. Trotz Elektrizität zünden wir bei einem romantischen Dinner Kerzen an. Wir machen Ferien im Zelt oder klettern ohne Sauerstoff auf den Mount Everest, obwohl es anders ginge.
«Es ergibt wenig Sinn, genau jene Tätigkeiten mit Technologie zu ersetzen, die der Mensch ausgesprochen gut macht.»
Themenwechsel: Es gibt Bedenken, dass wir im Alter hauptsächlich von Robotern versorgt werden und in hochtechnisierten Altersheimzimmern vereinsamen. Was halten Sie davon?
Ich kann nachvollziehen, dass ein solches Zukunftsbild eine beängstigende Vorstellung ist. Aber ich denke nicht, dass diese «Käfighaltung» von Senior:innen wirklich die Richtung ist, in die Technologie im Bereich Alter und Gesundheit steuert.
Was sind realistischere Szenarien?
Es ergibt wenig Sinn, genau jene Tätigkeiten mit Technologie zu ersetzen, die der Mensch ausgesprochen gut macht. Es scheint mir wahrscheinlicher, dass es andere Bereiche sind, in denen uns Roboter unterstützen werden: die Reinigung, die Wäscherei, das Beziehen von Betten, die Körperpflege. Wenn wir diese Arbeiten an Maschinen auslagern können, bleibt Pfleger:innen hoffentlich auch mehr Zeit für Zwischenmenschliches.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass Technologie unser Altern in Zukunft verbessern wird?
Ich neige zu Optimismus. Als mein Vater altershalber seinen Führerschein abgegeben hat, meinte er, ein selbstfahrendes Auto wäre jetzt praktisch. Das hätte ihm die verlorene Bewegungsfreiheit zurückgegeben. Aber man darf auch nicht überoptimistisch sein: Technologie muss handhabbar sein, gerade für alte Menschen. Schlüsselfinder für Demenzkranke sind eine gute Idee – aber nicht zweckmässig, wenn man jeden Abend daran denken muss, sie aufzuladen. Die technologischen Möglichkeiten sind vielfältig – ob sie sinnvoll eingesetzt werden, hängt auch von unserer Fantasie ab.
Was ist Ihnen persönlich diesbezüglich wichtig?
Beim Thema Alter sollte man sich nicht nur auf Gebrechen konzentrieren. Die gesunde Lebensspanne der Menschen wird immer länger, selbst zum Zeitpunkt unserer Pensionierung haben wir in der Regel noch viele gesunde Jahre vor uns. Natürlich ist das ein Resultat des technologischen Fortschritts. Wir sollten darüber aber nicht vergessen, uns auch zu überlegen, was wir mit dieser gewonnenen Zeit überhaupt anfangen wollen.