Interview mit Urs Baumann
Er ist der erste Chef in der Geschichte der Zürcher Kantonalbank, der von aussen kam. Mit Urs Baumann am Ruder erzielte die zweitgrösste Universalbank der Schweiz erstmals Gewinne in Milliardenhöhe. Der CEO spricht darüber, warum trotz digitaler Dienstleistungen die persönliche Nähe entscheidend bleibt.
Journalist: Ralph Hofbauer | Fotograf: Markus Bertschi
Herr Baumann, dürfen Ihre Mitarbeitenden ChatGPT nutzen?
Seit Kurzem steht unseren Mitarbeitenden ein geschütztes, internes Large Language Model zur Verfügung. Dieses Tool erfüllt höchste Sicherheitsanforderungen und stellt sicher, dass die Daten innerhalb der Bank bleiben.
Wie setzen Sie KI im Bankbetrieb ein? Spricht die Maschine bereits Kredite?
Wir verwenden künstliche Intelligenz schon länger, etwa bei der Erkennung von Betrug oder bei der Cybersicherheit. Bei Kreditentscheidungen sind KI-basierte Datenanalysen wertvoll, um unsere Modelle zu optimieren. Die Entscheidung fällt aber immer noch der Mensch.
«Wir wollen das Beste aus beiden Welten vereinen: die persönliche Nähe und die digitale Effizienz.»
Im digitalen Raum spielt die Region keine grosse Rolle mehr. Braucht es da noch Kantonalbanken?
Mehr denn je. Im Banking geht es auch künftig um Vertrauen – und da können wir unsere Leistungen über mehr als 150 Jahre nachweisen. Sie gründen sich in unserer lokalen Verankerung und unserem Engagement für die Gesellschaft im Rahmen des gesetzlichen Leistungsauftrags. Auch wenn wir sehr erfolgreich sind, ruhen wir uns auf dem bisher erreichten nicht aus. Wir wollen das Beste aus beiden Welten vereinen: persönliche Nähe und digitale Effizienz.
Urs Baumann (57) ist seit September 2022 CEO der Zürcher Kantonalbank. Er verfügt über mehr als 30 Jahre nationale und internationale Erfahrung in der Finanzbranche. Seine Leidenschaft gilt dem nachhaltigen Finanzwesen und dem Aufbau von Unternehmen, die zur Bewältigung dringender sozialer oder ökologischer Herausforderungen beitragen. Er ist Mitbegründer und Berater des Verwaltungsrats von Blue Earth Capital, einer führenden globalen Impact-Investment-Firma.
Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) ist mit über 6’000 Mitarbeitenden und einem verwalteten Kundenvermögen von mehr als 480 Milliarden Franken die zweitgrösste Universalbank der Schweiz. Mit einer Marktdurchdringung von über 50 Prozent nimmt die ZKB im Privat- und Firmenkundengeschäft des Kantons Zürich eine führende Position ein und ist die zweitgrösste Fondsanbieterin der Schweiz. Die ZKB ist sowohl national als auch international tätig. Gemäss ihrem Leistungsauftrag verfolgt die Bank das Ziel, wirtschaftliches Handeln in Einklang mit Umwelt und Gesellschaft zu bringen.
Welchen Mehrwert kann eine Bankfiliale künftig noch bieten?
Ich bin überzeugt, dass viele Kund:innen beim Abschluss einer Hypothek oder einer Pensionierungsberatung auch weiterhin das Gespräch mit Menschen suchen. Deshalb glaube ich an die Bankfiliale, doch sie wird anders aussehen als früher. Bis 2030 modernisieren wir alle unsere 51 Filialen. Mit dem neuen Konzept stärken wir den persönlichen Kontakt und die Beratung. Dafür schaffen wir neue Anknüpfungspunkte für einen Austausch – etwa durch Fachveranstaltungen, eine Kaffeebar oder eine Boutique, die unter anderem Publikationen aus dem Finanzbereich anbietet.
Wann eröffnen Sie die erste Filiale im Metaverse?
Wir orientieren uns an der Lebenswelt unserer Kundschaft – und beim Metaverse ist die kritische Masse der Nutzung noch lange nicht erreicht. Sollte sich das ändern, werden wir uns näher mit dem Thema befassen.
Robo-Advisors sind auf dem Vormarsch. Haben Anlage-Profis bald ausgedient?
Bei traditionellen Anlageklassen kann man auf die Unterstützung eines Robo-Advisors zurückgreifen, das stimmt. Aber es stellen sich doch einige Fragen: Vertraut man der Anlagestrategie des Roboters? Wie reagiert die Maschine auf unerwartete Ereignisse? Und sind die Empfehlungen wirklich genauso gut wie die der Expert:innen? Dies müssen Anleger:innen selbst entscheiden. Ich glaube, dass Profis als Sparringpartner weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden.
«Ich glaube an die Bankfiliale, aber sie wird anders aussehen als früher.»
Die ZKB ist eine der wichtigsten Start-up-Förderinnen der Schweiz. Welche Technologie hat mit Ihrer Unterstützung den Durchbruch geschafft?
Einer der bekanntesten Namen ist sicherlich Climeworks. Das Direct-Air-Capture-Verfahren des ETH-Spin-offs filtert CO2 direkt aus der Umgebungsluft. Diese Technologie sorgt weltweit für Aufsehen und ist in Island bereits im Einsatz. Auch wir setzen auf Negativemissionstechnologien, um unsere betrieblichen Restemissionen zu neutralisieren. Dabei arbeiten wir mit verschiedenen Partnern zusammen, unter anderem mit Climeworks.
Der ZKB Pionierpreis Technopark 2024 ging an Decentriq. In welchem Bereich ist dieses Start-up führend?
Decentriq entwickelt Lösungen für Data Clean Rooms – eine zukunftsträchtige Technologie. Damit können mehrere Parteien ihre Daten sicher teilen und kombinieren, ohne die Rohdaten offenzulegen. Ein Anwendungsgebiet ist das Marketing. So können zum Beispiel Medienhäuser und Werbetreibende gemeinsam Daten nutzen, ohne gegen Datenschutzvorschriften zu verstossen. Auch für unsere Branche sind Data Clean Rooms interessant.
Ist es für Banken schwieriger geworden, Kundendaten zu schützen?
Die zunehmende Vernetzung und die digitale Interaktion mit unseren Kund:innen gestaltet den Schutz der Daten sicher herausfordernder, da neue Angriffspunkte entstehen. Gleichzeitig verfügen wir aber auch über neue Werkzeuge, um uns zu schützen. Neben den technischen Sicherheitsmassnahmen ist der Faktor Mensch von grösster Bedeutung. Deshalb investieren wir viel in die Sensibilisierung unserer Mitarbeitenden und unserer Kundschaft.
Welches Potenzial sehen Sie in der Blockchain-Technologie?
Kryptowährungen sind die Anwendungen, die aktuell am meisten Aufmerksamkeit erhalten. Dass die Blockchain-Technologie in der Finanzbranche noch viel mehr leisten kann, wird von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen. Das ist nachvollziehbar, schliesslich ist nicht relevant, auf Basis welcher Technologie Bankgeschäfte abgewickelt werden, sondern dass die Abwicklung zuverlässig und sicher ist. Wir gehen davon aus, dass die Blockchain-Technologie administrative Effizienzgewinne bringen und Abwicklungsrisiken reduzieren wird, etwa im Wertschriftenhandel.
«Wir gehen davon aus, dass die Blockchain-Technologie generell zu Effizienzgewinnen führt und Abwicklungsrisiken reduziert.»
Effizienzgewinne – das klingt nach Jobkiller.
Wir wollen Mitarbeitende nicht durch Technologie ersetzen, sondern sie durch Technologie befähigen. Die Reduktion von repetitiven Tätigkeiten schafft Freiräume für anspruchsvollere Aufgaben. Insbesondere im IT-Bereich nimmt die Komplexität zusehends zu, denn die Nachfrage nach digitalen Dienstleistungen wächst stetig. Entsprechend hoch ist unser Bedarf an Fachkräften.
Jeder sechste Mitarbeitende arbeitet in der IT. Im Ausland könnten Sie diese Kompetenzen deutlich günstiger beziehen. Warum halten Sie am Standort Zürich fest?
Weil wir die ‹nahe› Bank sind. Unser Ziel sind einfache, sichere und stabile Dienstleistungen für unsere Kundschaft und unsere Mitarbeitenden. Das Business und die IT arbeiten in der Entwicklung in agilen Teams eng zusammen, die Entscheidungswege sind kurz. Wir entwickeln und betreiben sämtliche Applikationen und Systeme in Zürich in der Hard im Kreis 5, auch der IT-Support ist dort angesiedelt. Wir sind überzeugt, dass wir dadurch einen Wettbewerbsvorteil haben.
Die Zürcher Kantonalbank hat in diesem Jahr eine Philanthropie-Stiftung gegründet. Welchen Beitrag kann Technologie zu einem menschenfreundlichen Denken und Verhalten leisten?
Technologie stärkt die Prinzipien der Philanthropie in mehrfacher Hinsicht. Sie macht zum Beispiel Bildung zugänglicher – etwa durch Online-Kurse und digitale Bibliotheken. Technologie erleichtert auch das Spenden selbst, indem sie Möglichkeiten schafft, sich mit wenigen Klicks zu engagieren. Zudem ermöglicht sie eine effizientere Verwaltung von Stiftungen. Diese Chancen werden wir nutzen, um uns wirksam zu engagieren.