Die Zollwertermittlung bei grenzüberschreitenden Geschäften zwischen verbundenen Unternehmen in der EU

Das nun veröffentliche Urteil vom Bundesfinanzhof (BFH) vom 17. Mai 2022 (VII R 2/19) stellt die langerwartete Folgeentscheidung in der Rechtssache „Hamamatsu Photonics Deutschland“ (nachfolgend „Hamamatsu“) dar.

In seinem Urteil folgt der BFH dem im Rahmen desselben Verfahrens aufgrund einer Vorlagefrage des Finanzgericht (FG) München ergangenen Urteil des Europäischer Gerichtshof (EuGHs) vom 20. Dezember 2017 (C- 529/16) und stellt klar, dass 

  • die Art. 28 bis 31 ZK (a.F.) es nicht zulassen, einen vereinbarten Transaktionswert als Zollwert zugrunde zu legen, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetzt, ohne dass sich sagen lässt, ob am Ende des Abrechnungszeitraums die Berichtigung nach oben oder nach unten erfolgen wird, und
  • dass dieselben Annahmen auch für die Wertermittlung nach der
    Schlussmethode (Art. 31 ZK a.F.) gelten.

Hintergrund

Die bestehenden Diskrepanzen zwischen den Regelungen zur Verrechnungspreisermittlung sowie den Bestimmungen zur Zollwertbemessung sind seit Jahren ein Thema, das auf Kommissionsebene und bei der Weltzollorganisation diskutiert wird und welches für verbundene Unternehmen insbesondere bei rückwirkenden
Preisanpassungen teils erhebliche Fragestellungen aufweist. Das im Rahmen des Falls Hamamatsu nunmehr ergangene BFH-Urteil findet in seinem Tenor klare Worte, lässt jedoch in der praktischen Umsetzung viele Fragen offen.

Der Fall «Hamamatsu Photonics Deutschland»

In der Rechtssache „Hamamatsu Photonics Deutschland“, wurden zollrechtliche Erstattungsansprüche aufgrund von im Rahmen der Jahresendanpassung (Preisanpassung nach unten) im Verhältnis zweier verbundener Unternehmen erfolgten pauschalen Gutschriften beantragt.

Bei der Frage, ob die im Hinblick auf die Jahresendanpassung beantragte Erstattung gewährt werden muss, musste zunächst entschieden werden, ob zur Ermittlung des Zollwerts überhaupt ein Transaktionswert herangezogen werden darf, der aus dem ursprünglich in Rechnung gestellten und bei der Einfuhr angemeldeten Betrag (Preis) besteht, jedoch nach dem Abrechnungszeitraum zum Jahresende nach Ausprägung der bestehenden Verrechnungspreisvereinbarung nach unten angepasst wird.

Nach dem im Vorlageverfahren erfolgten Urteil des EuGHs (C-529/16) lassen es die Art. 28 bis 31 Zollkodex (ZK) nicht zu, als Zollwert einen vereinbarten Transaktionswert zugrunde zu legen, der sich teilweise aus einem zunächst in Rechnung gestellten und angemeldeten Betrag und teilweise aus einer pauschalen Berichtigung nach Ablauf des Abrechnungszeitraums zusammensetzt, ohne dass sich sagen lässt, ob am Ende des Abrechnungszeitraums diese Berichtigung nach oben oder nach unten erfolgen wird.

Dementsprechend lehnte das FG München mit seinem Urteil vom 15. November 2018 (14 K 1974/15) die beantragte Erstattung der entrichteten Einfuhrabgaben aufgrund der Jahresendanpassung nach unten ab.

Gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt.


BFH Urteil vom 17. Mai 2022 (VII R 2/19)

In seiner Revisionsentscheidung folgt der BFH dem EuGH-Urteil, und stellt überdies fest, dass auch bei einer Zollwertermittlung nach der Schlussmethode gemäss Art. 31 ZK eine Heranziehung des Verrechnungspreises nicht in Betracht komme.

Denn stehe im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht fest, ob am Ende des Abrechnungszeitraums überhaupt eine Berichtigung vorzunehmen sein wird und ob, falls dies der Fall sei, die Berichtigung nach oben oder nach unten zu erfolgen hat, dann sei ein demzufolge erst noch zu ermittelnder Warenwert im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung nicht i.S. von Art. 8 Abs. 3 des Übereinkommens zur Durchführung des Art. VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 quantifizierbar.

Denn auch bei der Schlussmethode ist immer eine waren- und stichtagsbezogene Wertermittlung vorzunehmen. Eine punktuelle Bestimmung des Zollwerts, der sich auf eine konkrete Transaktion bezieht, ist massgebend. Auf die vor der Schlussmethode heranzuziehenden Zollwertermittlungsmethoden geht der BFH allerdings nicht näher ein.

Neben diesem Grundsatz stellt der BFH im Hinblick auf den Erstattungsanspruch klar, dass Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die erst nach Zahlung des Abgabenbetrags eintreten, eine Erstattung grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Insbesondere ist bei einer nachträglichen Änderung des Kaufpreises nach Art. 145 Abs. 2 Zollkodex-Durchführungsverordnung (a.F.) – abgesehen von dem Fall der Schadhaftigkeit – keine Erstattung gemäss Art. 236 ZK (a.F.) zu gewähren.


Interpretation

Obwohl der Tenor des Urteils deutlich erscheint, lässt das Urteil Fragen zur Umsetzung in der Praxis offen, zumal zu berücksichtigen ist, dass es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung handelt, welcher nur mit grosser Vorsicht allgemein geltende Aussagen entnommen werden dürfen.

Fehlen einer Erstattungsmöglichkeit

Unstreitig dürfte sein, dass eine Erstattung auf Grundlage einer auf einem APA beruhenden Jahresendanpassung nach dem Urteil des BFH nicht möglich ist, wenn eine konkrete Quantifizierbarkeit des Transaktionswertes zum Zeitpunkt der Zollannahme nicht möglich ist. Soweit die Jahresendanpassung wie im Fall Hamamatsu auf der zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarten Restgewinnaufteilungsmethode (Residual Profit Split Method) beruht, erscheint die Möglichkeit eines erfolgreichen Erstattungsverfahrens auch bei Zugrundelegung einer anderen Verrechnungspreismethode eher gering, sofern auch hier die punktuelle Quantifizierbarkeit nicht gegeben ist.

Dies dürfte auch bei Anwendung der derzeitigen Rechtsvorschriften gelten. Zwar entschied das Gericht auf Grundlage der alten Rechtslage und verwies insoweit insbesondere auf Art. 145 Abs. 2 Zollkodex-Durchführungsverordnung (a.F.); auch nach derzeitiger Rechtslage ist jedoch eine Erstattung bei einer Kaufpreisänderung nur in sehr geringem Masse – bei Schadhaftigkeit – vorgesehen (Art. 132 UZK-IA).

Im Übrigen kann das Urteil eher spekulativ interpretiert werden.

Erfordernis der Mitteilung nachträglicher Anpassungen?

Die Verpflichtung zu einer Nachmeldung ist in Art. 23 Abs. 2 UZK i.V.m. § 153 Abgabenordnung begründet. Nach Art. 23 UZK muss der Inhaber der Entscheidung die Zollbehörden unverzüglich über alle nach dem Erlass der Entscheidung eintretenden Ereignisse, die Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung der Entscheidung oder ihren Inhalt haben könnten, unterrichten. Dementsprechend oblag es nach gängiger Verwaltungspraxis bislang den Zollanmeldern, der deutschen Zollverwaltung nachträgliche Jahresendanpassungen zu ihren Ungunsten zwecks Veranlassung von Nacherhebungen mitzuteilen.

Fraglich ist, ob diese Pflicht auch fortan besteht, wenn doch nur die punktuelle Betrachtung zum Zeitpunkt der Zollanmeldung entscheidend sein soll.

Dies ist nach unserer Auffassung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht sicher zu bestimmen. Denn auch schon vor dem nunmehr ergangenen BFH-Urteil war der Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung sowohl in den entsprechenden Verordnungen als auch in der Dienstvorschrift als massgebend niedergelegt. In der Dienstvorschrift zum Zollwert sind die zuständigen Hauptzollämter weiterhin angehalten, Beteiligte darauf hinzuweisen, dass nachträglich Preisanpassungen als Nachbelastungen unverzüglich anzuzeigen sind.

Dementsprechend erscheint es sinnvoll, dem zuständigen Hauptzollamt zunächst auch weiterhin erhöhende rückwirkende Jahresendanpassungen als (eventuell) steuerlich erhebliche Tatsachen unter Hinweis auf die derzeitige Rechtsunklarheit aufgrund des BFH-Urteils rechtzeitig mitzuteilen.

Sollten daraufhin Nacherhebungs- bzw. Änderungsbescheide erlassen werden, besteht die Möglichkeit, hiergegen Einspruch einzulegen. Sollte die Einspruchsfrist bereits verfristet sein, könnte es eine Überlegung wert sein, vorsorglich einen Erstattungsantrag zu stellen. Im Falle von zu hoch bemessenen Einfuhr- und Ausfuhrabgabenbeträgen kann ein Erstattungsantrag nämlich grundsätzlich innerhalb von drei Jahren nach Mitteilung der Zollschuld gestellt werden (Art. 121 Abs. 1 lit. a UZK).

Fazit

Der BFH führt die Rechtsprechung des EuGHs fort und wirft hierdurch aber Fragen auf. Fraglich ist insbesondere, ob die Zollverwaltung von der gelebten Praxis der Preisbeeinflussung zwischen verbundenen Unternehmen weiter ausgehen kann, wenn nachträgliche Preisanpassungen (nach oben) vor dem Hintergrund der Preisermittlung nach Verrechnungspreismethoden durchzuführen sind. Die aktuell damit verbundene Steuererheblichkeit einer rückwirkenden Preisanpassung ist nicht geklärt.

Eine Lösung ist in Ermangelung eines entsprechenden spezifischen Leitfadens der Europäischen Kommission oder einer Empfehlung der Weltzollorganisation (World Customs Organisation, WCO) derzeit nicht klar zu sehen. Auch eine Anpassung der Dienstvorschrift Zollwert bzw. eine offizielle Stellungnahme der Bundesstelle Zollwert wird in Kürze vermutlich nicht erfolgen, sondern Zeit in Anspruch nehmen.

Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit haben wir uns unmittelbar mit der Zollwertgruppe in Verbindung gesetzt und stehen derzeit mit dieser in Diskussion. Sobald wir von behördlicher Seite eine offizielle Stellungnahme erhalten, werden wir Sie unterrichten.

Bis dahin empfehlen wir, Unternehmen, die Verrechnungspreise als Grundlage für die Zollwertermittlung verwenden, zu prüfen, ob ihre Verrechnungspreise unter Einbezug des hier erörterten BFH-Urteils eine akzeptable und vor allem rechtskonforme Grundlage für den Zollwert sein können.

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