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IFRS 9: Betrifft alle IFRS-Anwender

David Baur
Director and Leader Accounting Consulting Services

Der neue Rechnungslegungsstandard für Finanzinstrumente betrifft nicht nur die Banken. Die Einführung des Expected-Loss-Wertminderungsmodells bedeutet Mehraufwand, das neue Hedge Accounting bringt jedoch mehr Spielraum. Anwender sollten IFRS 9 frühzeitig angehen.

IFRS 9 als Nachfolger von IAS 39 und damit neuer Standard für Finanzinstrumente ist vollständig fertiggestellt und veröffentlicht. Die Unternehmen müssen ihn für alle Geschäftsjahre beginnend ab dem 1. Januar 2018 anwenden – und können dies auch schon früher tun. Die EU hat den Standard bisher noch nicht verabschiedet.

Jede Bilanz enthält Finanzinstrumente (Abbildung 1). Entsprechend tangiert IFRS 9 einen breiten Kreis von Unternehmen.

Wie gross die Auswirkungen des neuen Standards sind, hängt von der Branche sowie von Art und Umfang der Finanzinstrumente ab.

Das IFRS-9-Projekt war in drei Bereiche gegliedert:

  1. Klassifizierung und Bewertung
  2. Wertminderungen
  3. Absicherungsgeschäfte


Abbildung 1: Typische Finanzinstrumente in der Bilanz

Aktivseite
Passivseite
Barmittel/Kassenbestände
Banküberziehungen
Kurzfristige Forderungen
Kurzfristige Verbindlichkeiten
Obligationen/Aktien/
Investmentfondsanteile
Emittierte Obligationen
Derivate mit positivem Marktwert
Derivate mit negativem Marktwert

Während die ersten beiden Bereiche alle Unternehmen betreffen und für Finanzinstrumente zwingend sind, berührt das Hedge Accounting nur Unternehmen, die von diesen Geschäften Gebrauch machen möchten.

Die Regelungen zur Erfassung und Ausbuchung von Finanzinstrumenten bleiben im Wesentlichen unverändert. Hingegen sind die Klassifizierung und die Bewertung neu geregelt.

Klassifizierung und Bewertung von finanziellen Vermögenswerten

Nachfolgend stellen wir die Sachlage für finanzielle Vermögenswerte der Aktivseite dar.

Flüssige Mittel und Schuldinstrumente
Für Kassenbestände und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie sonstige kurzfristige Forderungen ändert sich die Bewertung grundsätzlich nicht. Sie erfolgt weiterhin zu fortgeführten Anschaffungskosten.

Für Obligationen und andere Forderungen (bzw. gesamthaft für Schuldinstrumente) folgt die Klassifizierung dem Geschäftsmodell und ist von der Komplexität der zugehörigen Zahlungsströme abhängig.

Klassifizierung und Bewertung von Schuldinstrumenten

Das Geschäftsmodell kann entweder darauf ausgerichtet sein, die Forderungen zu halten oder sie zu halten und gegebenenfalls zu verkaufen. Für beide Geschäftsmodelle ist zu prüfen, ob die Zahlungsströme die Anforderungen von IFRS 9 an die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten oder von Fair Value mit Marktwertveränderungen im Sonstigen Ergebnis bzw. im Other Comprehensive Income (FVOCI) erfüllen.

Die Zahlungsströme dürfen lediglich auf einer Rückzahlung des Nominalbetrags und auf einer Verzinsung des noch ausstehenden Nominalbetrags beruhen. Dies trifft auf alle «normalen» Obligationen zu, jedoch nicht auf Options- oder Wandelanleihen. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass komplexere Instrumente immer zum Fair Value mit Marktwertänderungen in der Erfolgsrechnung (FVPL) bewertet werden.

Erfüllen die Schuldinstrumente die Anforderungen an die Zahlungsströme, so hängt die Bewertung vom Ziel des Geschäftsmodells ab (Abbildung 2): Beim Modell «halten» erfolgt die Folgebewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten, bei «halten und gegebenenfalls verkaufen» zu FVOCI.

Aktien und Eigenkapitalinstrumente

Eigenkapitalinstrumente verfügen über keine vertraglichen Zahlungsströme und sind grundsätzlich in der FVPL-Kategorie anzusetzen.

Für alle Eigenkapitalinstrumente, die nicht zu Handelszwecken gehalten werden, besteht für den erstmaligen Bilanzansatz das unwiderrufliche Wahlrecht, die Fair-Value-Änderungen nach FVOCI, also nicht in der Erfolgsrechnung, sondern erfolgsneutral im Sonstigen Ergebnis bzw. im Other Comprehensive Income (OCI) zu erfassen. Macht ein Unternehmen von dieser OCI-Option Gebrauch, darf es lediglich Dividendenerträge in der Erfolgsrechnung erfassen. Alle anderen Fair-Value-Änderungen sowie spätere Veräusserungsgewinne oder -verluste bei Abgang werden direkt im OCI verbucht.

Die Kategorie FVOCI gilt ausschliesslich für Finanzinstrumente, die die Definition von Eigenkapital nach IFRS erfüllen; in der Praxis sind dies vorwiegend Aktien.

Klassifizierung und Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten
Derivate

Derivate mit einem positiven Marktwert werden immer noch zu aktuellen Marktwerten auf der Aktivseite der Bilanz erfasst. Sämtliche Marktwertveränderungen werden direkt in der Erfolgsrechnung verbucht.

Klassifizierung und Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten

Die nachfolgenden Erläuterungen widmen sich den finanziellen Verbindlichkeiten der Passivseite.

Verbindlichkeiten zu fortgeführten Anschaffungskosten

Für finanzielle Verbindlichkeiten, die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden, gibt es keine Änderungen. Dies trifft auf die Mehrheit der in der Bilanz ausgewiesenen finanziellen Verbindlichkeiten zu, wie beispielsweise auf emittierte Bonds oder Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen.

Derivate

Derivate mit einem negativen Marktwert werden unverändert zu aktuellen Marktwerten auf der Passivseite erfasst. Alle Marktwertveränderungen werden direkt in der Erfolgsrechnung verbucht.

Verbindlichkeiten mit Marktwertänderungen in der Erfolgsrechnung

Für finanzielle Verbindlichkeiten besteht unter bestimmten Voraussetzungen beim erstmaligen Bilanzansatz das unwiderrufliche Wahlrecht, sie zum Fair Value in der Bilanz anzusetzen und Fair-Value-Änderungen direkt in der Erfolgsrechnung zu erfassen. Für solche Verbindlichkeiten ändert sich die Berücksichtigung des eigenen Kreditrisikos: Dessen Veränderung muss das Unternehmen heute lediglich im Anhang angeben.

Da die Verschlechterung des eigenen Kreditrisikos nicht zu Bewertungsgewinnen in der Erfolgsrechnung führen sollte, werden die Veränderungen des eigenen Kreditrisikos zukünftig im Sonstigen Ergebnis verbucht (Abbildung 4).

Klassifizierung und Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten

Wertminderungen

Das neue Wertminderungsmodell muss für Schuldinstrumente der Kategorien «Fortgeführte Anschaffungskosten» oder «FVOCI» angewendet werden. Es basiert auf den erwarteten zukünftigen Cashflows (Expected-Loss-Modell) und ist in drei Stufen unterteilt (Abbildung 5).

Nach dem stufenbasierten Expected-Loss-Modell werden bei Zugang grundsätzlich alle finanziellen Vermögenswerte der Stufe 1 zugeordnet. Für solche Vermögenswerte wird der erwartete 12-Monats-Verlust am ersten Bilanzstichtag aufwandwirksam erfasst. Dieser Verlust berechnet sich als Barwert der erwarteten Zahlungsausfälle, die aus möglichen Ausfallereignissen innerhalb der nächsten zwölf Monate hervorgehen. Der Zinsertrag wird auf Basis des Bruttobuchwerts – also unter Anwendung der Effektivzinsmethode – auf dem Buchwert vor Berücksichtigung der erwarteten Wertminderung berechnet.

Abbildung 5: 3-stufiges Expected-Loss-Modell der Wertminderung von finanziellen Vermögenswerten

Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
Kreditrisiko
Bei Zugang in der Bilanz bzw. bei keiner signifikanten Erhöhung des Kreditrisikos
Kreditrisiko
Signifikante Erhöhung des Kreditrisikos
Kreditrisiko
Vorliegen eines objektiven Hinweises auf Wertminderung
Erfassung der Risikovorsorge
Wertminderung in Höhe des erwarteten 12-Monats-Verlusts
Erfassung der Risikovorsorge
Wertminderung in Höhe des Lifetime Expected Credit Loss
Erfassung der Risikovorsorge
Wertminderung in Höhe des Lifetime Expected Credit Loss
Zinsertrag
Auf Basis des Bruttobuchwerts
Zinsertrag
Auf Basis des Bruttobuchwerts
Zinsertrag
Auf Basis des Nettobuchwerts

Zeigt der nachträgliche Vergleich mit dem Erstansatz eine signifikante Erhöhung des Kreditrisikos, wird das Finanzinstrument der Stufe 2 zugeordnet. Hier muss das Unternehmen eine Wertminderung in der Höhe der erwarteten Verluste über die Restlaufzeit des finanziellen Vermögenswerts («Lifetime Expected Credit Losses») in der Erfolgsrechnung erfassen.

Liegen am Bilanzstichtag objektive Hinweise auf eine Wertminderung vor, wird das Finanzinstrument der Stufe 3 zugeordnet. Hier erfolgt die Berechnung der Wertminderung analog zum heutigen Wertminderungsmodell auf Basis des Nettobuchwerts.

Für die Anwendung des Expected-Loss-Modells benötigen die Unternehmen andere Informationen als für das bisherige Wertminderungsmodell. Die Einführung des Modells ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und erfordert umfangreiche Systemanpassungen.

Unter bestimmten Bedingungen bietet IFRS 9 ein vereinfachtes Modell an, so etwa für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Demnach ist unabhängig von der Kreditqualität eine Wertminderung in der Höhe der erwarteten Verluste über die Restlaufzeit zu erfassen.

Finanzielle Vermögenswerte im Überblick

Abbildung 6 fasst die wesentlichen Bewertungsunterschiede zwischen IAS 39 und IFRS 9 für gängige finanzielle Vermögenswerte zusammen.


Abbildung 6: Auswirkungen von IFRS 9 für finanzielle Vermögenswerte

Finanzaktiva
IAS 39 Bewertung IFRS 9 Bewertung
IFRS 9 Wertminderung
Barmittel Fortgeführte Anschaffungskosten
Fortgeführte Anschaffungskosten
Nicht anwendbar
Debitoren Fortgeführte Anschaffungskosten
Fortgeführte Anschaffungskosten
Vereinfachtes Modell
Obligationen Fortgeführte Anschaffungskosten Fortgeführte Anschaffungskosten
Expected-Loss-Modell
FVOCI
FVOCI
Expected-Loss-Modell
Derivate FVPL
FVPL
Nicht anwendbar
Aktien FVOCI
FVOCI
Nicht anwendbar
Investmentfondsanteile FVOCI
FVPL
Nicht anwendbar

Eine wesentliche Änderung betrifft Eigenkapitalinstrumente der Kategorie FVOCI. Nach IFRS 9 verbleiben realisierte Gewinne oder Verluste direkt im Eigenkapital. Damit wird die bisher bei vielen IFRS-Anwendern für Aktien beliebte Available-For-Sale-Kategorie (zur Veräusserung gehalten) in der heutigen Form entfallen. Entsprechend ergeben sich auch keine Wertminderungsregelungen mehr für Eigenkapitalinstrumente der Kategorie FVOCI, da alle Fair-Value-Änderungen im OCI erfasst werden und keine Umbuchung in die Erfolgsrechnung erfolgt.

Die neue Kategorie FVOCI für Schuldinstrumente entspricht weitgehend der heutigen Available-For-Sale-Kategorie: Realisierte Gewinne oder Verluste werden bei Ausbuchung aus dem OCI in die Erfolgsrechnung umgebucht. Dieser Vorgang hat allerdings zur Folge, dass das neue Wertminderungsmodell anzuwenden ist.

Investmentfondsanteile dürfen nicht zu FVOCI nach IFRS 9 bewertet werden, da sie keine Eigenkapitalinstrumente darstellen. Allerdings verfügen sie in der Regel auch nicht über vertragliche Zahlungsströme, womit die Klassifizierung für Schuldinstrumente ebenfalls nicht gegeben ist. Deshalb müssen Investmentfondsanteile zum aktuellen Marktwert mit Marktwertänderungen in der Erfolgsrechnung bewertet werden.

Die grösste Herausforderung bei der Implementierung von IFRS 9 ergibt sich aus dem neuen Wertminderungsmodell für grosse Bondportfolios. Für diese ist das neue Expected-Loss-Modell vorgesehen.

Hedge Accounting

Die IFRS-9-Bestimmungen zum Hedge Accounting gleichen die Buchführungsregeln in diversen Bereichen an die Risikomanagementstrategien an. Auf diese Weise lassen sich ökonomische Verzerrungen in der Erfolgsrechnung vermindern. Allerdings muss das Unternehmen seine Hedge-Beziehungen weiterhin dokumentieren und deren Effektivität nachweisen.

Die IFRS-9-Regelungen für Absicherungsgeschäfte wurden bereits im November 2013 abgeschlossen und unverändert ins definitive Regelwerk übernommen. 
Das allgemeine Hedge Accounting nach IFRS 9 bietet Vereinfachungen und neue Möglichkeiten der Absicherung. So sichern Industrieunternehmen Waren- und Rohstoffgeschäfte in der Praxis häufig mit Derivaten gegen Preisänderungen ab. Der bisherige Standard hat verboten, Rohstofflieferverträge fürs Hedge Accounting in einzelne Komponenten aufzuteilen. Daher konnten die Unternehmen bisher nur entweder hohe Kosten für den Erwerb eines speziell auf den Rohstoffliefervertrag zugeschnittenen Derivats auf sich nehmen oder die Ineffektivität beziehungsweise Volatilität in der Gewinn- und Verlustrechnung akzeptieren. Die neuen Regeln erlauben unter bestimmten Voraussetzungen die Absicherung einzelner Komponenten und tragen damit der ökonomischen Realität besser Rechnung.

Die Unternehmen sollten neben dem Anpassungsbedarf für IFRS 9 auch ihre Hedging-Strategie überdenken. Auch für Firmen, die heute noch kein Hedge Accounting betreiben, ist es ein guter Zeitpunkt, im Rahmen der Einführung von IFRS 9 attraktive Hedging-Modelle im Rechnungswesen zu etablieren.

Fazit

Die Auswirkungen von IFRS 9 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • IFRS 9 betrifft alle Unternehmen.
  • Gerade die Einführung des neuen Expected-Loss-Modells für Wertminderungen für grössere Portfolios ist mit einem beachtlichen Aufwand verbunden.
  • Das neue Hedge Accounting bietet Industrieunternehmen attraktive Erleichterungen und neue Möglichkeiten.
  • IFRS 9 sollte frühzeitig im Unternehmen analysiert und adressiert werden.

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David Baur

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Partner and Leader Corporate Reporting Services, PwC Switzerland

Tel.: +41 58 792 26 54

Robel Ghebressilasie

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Senior Manager, Corporate Reporting Services, PwC Switzerland

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