Im Fokus: Digitalisierung

Gewinnen Sie die Realität – nicht den Hype

Simon Treis
Director, Advisory

Die vierte industrielle Revolution ist in der Fertigung angekommen. Heisst: Die Industrie 4.0 oder – weiter gefasst – das Internet der Dinge ist knallharte Realität. Diese charakterisiert sich durch eine zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von Produkten, Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen. Sie gibt den Akteuren diverser Branchen neuartige Aufgabenstellungen – und ebenso attraktive Chancen. Gefragt ist eine durchdachte Industrie-4.0-Strategie mit Fokus auf den richtigen Investitionen und der Bereitschaft, sich auf eine grössere Transformation des Unternehmens vorzubereiten. Um in diesem Rennen erfolgreich mitzulaufen, gibt es nur einen richtigen Startzeitpunkt: jetzt.

Die technologische Entwicklung und deren Konsequenzen stehen für CEOs weltweit ganz oben auf der Liste jener Megatrends, die sie am meisten beschäftigen. Im Rahmen unserer globalen Studie «Industry 4.0» sind wir den Treibern und Folgen dieses Wandels auf den Grund gegangen (siehe Kasten). Im Zentrum stehen digitale Technologien und damit die Vernetzung von Maschinen, Produkten und Komponenten und weiteren am Produktionsprozess beteiligten Systemen. Die Industrie 4.0 stellt für die Unternehmen keinen Selbstzweck dar, sondern ist verbunden mit klaren ökonomischen Zielen, Nutzenpotenzialen und Differenzierungschancen im globalen Wettbewerb. So ist zum Beispiel die vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) über Sensorik und intelligente Datenanalysen heute ein zentraler Werttreiber der Industrie 4.0.

Die Kräfte des digitalen Zeitalters wirken auf drei Ebenen gleichzeitig auf die Industriebetriebe ein. Wer hier vorne mithalten will, muss sie kennen und in seinem Unternehmen gezielt hebeln:

Digitale Integration der Wertschöpfungskette

Mit der Digitalisierung der Wertschöpfung verändert sich die betriebliche Kosten- und Prozessarchitektur sowohl horizontal – also vom Lieferanten bis zum Endkunden – als auch vertikal von der Produktidee bis zur Kundenpflege.

Digital vernetzte Produkte und Dienstleistungen

Eine Digitalisierung des Angebots definiert die Marktleistung komplett neu. Sie ermöglicht neue oder zusätzliche Kundenangebote, trägt damit zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bei und wirkt sich positiv auf die Einnahmeseite aus.

Digitale Geschäftsmodelle

Die Digitalisierung stellt konventionelle Geschäftsmodelle und damit ganze Marktstrukturen auf den Kopf. Disruptive Ansätze bieten dem Kunden dank massgeschneiderter Lösungen einen signifikanten Zusatznutzen. Diese Entwicklung ist eng verbunden mit Kooperationen über die Wertschöpfungsketten hinweg sowie mit einer integrierten Nutzung und Analyse von Daten.

PwC-Studie 2016 «Industry 4.0: Building the digital enterprise»

Diese Studie ist die grösste ihrer Art. Sie umfasst weltweit über 2000 Industrieunternehmen aus 9 Schlüsselsektoren und 26 Ländern. Die Kernaussage ist entsprechend richtungsweisend: Die Digitalisierung der industriellen Fertigung wird diese revolutionieren. Industrieunternehmen erwarten Kostenreduktionen von 3,6% über die nächsten fünf Jahre allein durch die Verbesserung interner Prozesse und durch eine bessere Steuerung der Wertschöpfungskette. Ebenso erwarten sie Mehreinnahmen von 2,9% durch digitalisierte Produkte und Dienstleistungen oder durch digitale Plattformen für industrielle Ökosysteme. Die vollständige Studie in elektronischer Form (in Englisch) finden Sie hier.

Acht digitale Technologiemegatrends beeinflussen die Zukunft der Industrieproduktion

Im Folgenden leuchten wir drei der acht digitalen Technologietrends aus. Dabei richten wir unseren Blick in erster Linie auf heute und wagen einen zweiten auf übermorgen.

3-D-Druck – die vierte Dimension der Fertigung

3-D-Druck oder «Additive Manufacturing» gilt landläufig noch oft als Spielerei oder Werkzeug zum Druck von Werbegeschenken. Weit gefehlt: 3-D-Druck ist in der industriellen Produktion vertrauter Alltag. Diese setzt ihn unter anderem im Prototypenbau ein. So kann sie ein Muster fertigen und perfektionieren, bevor sie die teure Form für die Massenproduktion baut. Auch in der Ersatzteilindustrie spielt der 3-D-Druck eine Schlüsselrolle. Statt einen teuren Servicetechniker oder ein komplexes Ersatzteil per Flug ans andere Ende der Welt zu verschieben, druckt man das fehlende Teil vor Ort aus. Einsatzgebiete sind zum Beispiel Windfarmen oder Offshoreplattformen, welche schon heute von Technikern gewartet werden, die einen 3-D-Drucker in ihrem Servicewagen mitführen oder vor Ort haben. Der aufwendige Prozess der Beschaffung beziehungsweise der Logistik für ein Ersatzteil entfällt durch den 3-D-Druck gänzlich. Zudem trägt die «In-Time»-Reparatur stark zur Kostensenkung bei.

Heute lässt sich bereits eine Vielfalt an Materialien durch 3-D-Druck verarbeiten wie Kunststoffe, Metalle oder sogar Schokolade. Damit erweitert sich der Anwendungsradius dieser digitalen Technologie enorm. Der 3-D-Druck spart der industriellen Fertigung Zeit, Manpower, Lagerkapazitäten, Logistikaufwand und – unter dem Strich – eine Menge Kosten. Dazu kommt eine willkommene Reduktion der Komplexität von Industriedesigns. Denn ein 3-D-Drucker braucht oft weniger Material und Komponenten für die Reproduktion des gewünschten Einzelteils. Noch offen bleibt die Frage der Produktions- und Qualitätskontrolle. Auch Industriestandards müssen erst noch definiert und griffige Regelungen für die Datensicherheit gefunden werden.

Ein Klick in die Zukunft

3-D-Druck

Im nächsten Jahrzehnt wird sich eine eigenständige 3-D-Druckindustrie entwickeln und damit die gesamte Wertschöpfungskette der produzierenden Industrie verändern. Geostrategisch domizilierte 3-D-Druckfarmen lösen die globale Luft-, See-, Schienen- oder Strassenfrachtlogistik ab. Die Industrieunternehmen selbst konzentrieren sich auf die Entwicklung, das Design und die Vermarktung ihrer Produkte. Herstellung und Assemblage erfolgen dezentral in der Nähe der Endkunden. Und die letzte Meile übernehmen Drohnen, selbstfahrende Autos oder Sharing-Economy-Akteure. Dass eine solche Vision Wirklichkeit werden kann, zeigt das Beispiel des Rotterdamer Hafens. Hier ist die Installation eines «Fieldlab Additive Manufacturing» mit 3-D-Metalldruckern im Gang.

Robotik

In einigen Jahren produzieren sich Produkte wie etwa ein Mountainbike in sogenannten Smart Factories ganz von allein. Der Hersteller liefert die Idee, das Engineering und einen «Ressourcenblock» aus Karbon, Leichtmetall, Hartgummi und Titan an. Diese Rohmaterialeinheit ist mit einem digitalen Bauplan versehen, der nicht nur das Design der einzelnen Komponenten und deren Zusammenbau enthält, sondern auch gleich noch die zeitliche Planung und Koordination aller involvierten menschlichen und maschinellen Ressourcen steuert – in tagesgenauer Abstimmung mit den Bestellungen aus den Bike- oder Onlineshops.

Augmented Reality

Intelligent eingesetzt hat die Augmented Reality nicht nur einen ökonomischen, sondern auch einen gesellschaftlichen Mehrwert. Zum Beispiel liesse sich der Zusammenbau von Taschenmessern oder Uhren in einer innovativen Form der Heim- oder Behindertenarbeit auslagern. Die beauftragten Arbeitskräfte können mit Geräten der Augmented Reality die nötigen Fertigkeiten erlernen und ihre Aufträge in einem selbst gewählten Umfeld ausführen. Die Qualität der erledigten Arbeit wird über das Augmented-Reality-Gerät sichergestellt. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Gesellschaft profitieren so von neuen Arbeits- und Integrationsmodellen.

Robotik – IQ vom Menschen inspiriert

Die Schweiz ist führend auf dem Gebiet der intelligenten Systeme und der Robotik. So forschen am Institut für Robotik und Intelligente Systeme (IRIS) der ETH acht unabhängige Laboratorien, um den Maschinenbau und die Verfahrenstechnik mit den Gesundheitswissenschaften zu verbinden. Am National Centre of Competence in Research (NCCR) bringt die EPFL Lausanne Entwickler aus aller Welt zusammen, um menschenzentrierte Robotertechnologien in den Dienst der Lebensqualität zu stellen. Diese und weitere Bestrebungen haben dafür gesorgt, dass Roboter über die letzten Jahre ungleich intelligenter geworden sind. Heute können sie ihr Umfeld einordnen und mit den feinmotorischen und haptischen Fähigkeiten des Menschen diesem ganz wörtlich Hand bieten. So erledigt zum Beispiel in einer Automatisierungsstrasse der Roboter das Anheben schwerer Teile, in die der Mensch kleinere und leichtere Komponenten einbaut. Die Fachwelt spricht von «Cobotics». In modernen Logistikzentren organisiert sich die neuste Generation Gabelstapler als selbstlernender Schwarm – ganz ohne Fahrer und Planer – und erledigt eine für den Menschen körperintensive Tätigkeit mit maximaler Effizienz.

Augmented Reality – Weitblick durch eine andere Brille

Unter Augmented Reality verstehen wir die computergestützte Ausdehnung der Realitätswahrnehmung, also die Verknüpfung von virtueller und realer Welt über digitale Technologien. Solche Ansätze kommen heute bereits im Service- oder Montagebereich zur Anwendung. Dazu ein Beispiel: Auf einem Frachtschiff tritt mitten im Pazifik ein Defekt im Maschinenraum auf. Der Techniker an Bord kann das Problem nicht lösen, er braucht die Hilfe eines Spezialisten. Mit einem Augmented-Reality-Gerät leitet dieser den Maschinisten von überall auf der Welt aus zur Reparatur an. Dabei kann er das Problem genau lokalisieren, sich das defekte Teil inklusive Seriennummer auf den Bildschirm holen und entsprechende Anweisungen zum fachgerechten Aus- und Einbau geben. So lassen sich mit Instrumenten der erweiterten Realität in der Industrieproduktion Kosten sparen, Fehler frühzeitig vermeiden und die Qualität von Servicearbeiten verbessern.

Fazit

Die vierte industrielle Revolution hat längst begonnen und bietet den Industrieunternehmen eine neue Dimension von Marktchancen. Darum möchten wir Ihnen als Verantwortungs- und Entscheidungsträger eines besonders empfehlen: Legen Sie jetzt los! Denn die Geschwindigkeit des digitalen Wandels lässt Ihren zeitlichen und kompetitiven Spielraum täglich schrumpfen. Als Erstes sollten Sie sich eine Strategie für Ihr Vorgehen in der Industrie 4.0 skizzieren und Kerninvestitionsbereiche priorisieren. Dieser Vision müssen zügig erste Pilotprojekte folgen. Dafür sollten Sie sich mit neuen Technologie- und Betriebsformen auseinandersetzen. Zudem müssen Sie die nötigen Kapazitäten kennen und sich eine solide Datenanalysekompetenz ins Haus holen, sei es durch die Rekrutierung passender Talente oder durch externe Spezialisten. Schliesslich gilt es, die digitale Transformation Ihres Unternehmens voranzutreiben und in den Produktionsalltag zu überführen. Hier sollten Sie auf jeden Fall den Mehrwert eines Schulterschlusses mit Lieferanten, Technologiepartnern oder sogar Mitbewerbern im Rahmen eines digitalen Ökosystems prüfen.

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Alexander Schultz-Wirth

Alexander Schultz-Wirth

Partner, Leader Customer Transformation, PwC Switzerland

Tel.: +41 58 792 47 97

Simon Treis

Simon Treis

Partner, Strategy&, Strategy& Switzerland

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