Mit IFRS 15 regeln die International Financial Reporting Standards (IFRS) den Bereich der Umsatzerfassung grundlegend neu. Die Umsetzung des neuen Standards kann vielschichtige Auswirkungen haben. Neben der standardkonformen Darstellung im IFRS-Abschluss stellen sich Fragen zur Ausgestaltung von Verträgen mit Kunden, zur Abbildung solcher Verträge in IT-Systemen oder zu den Auswirkungen von IFRS 15 auf die Jahresrechnung nach OR. Letztere leuchten wir im folgenden Beitrag aus.
Im IFRS 15 «Erträge aus Verträgen mit Kunden» wird die Umsatzerfassung fundamental neu geregelt. Der Standard ist seit dem 1. Januar 2018 anzuwenden. Er verlangt, dass ein Unternehmen in seinem IFRS-Abschluss nützliche Informationen über Art, Höhe, Zeitpunkt und Unsicherheit von Erträgen und Zahlungsströmen aus einem Vertrag mit einem Kunden zur Verfügung stellt. Die Umsatzerfassung soll den wirtschaftlichen Gehalt von Verträgen mit Kunden möglichst realitätsnah abbilden. Das Kernprinzip dabei besteht darin, dass ein Unternehmen zum Zeitpunkt beziehungsweise über den Zeitraum der Übertragung der zugesagten Güter oder Dienstleistungen auf den Kunden die Erlöse in Höhe der voraussichtlichen Gegenleistung erfasst. IFRS 15 ist umfangreich ausgefallen. Im Gegensatz dazu enthält das Obligationenrecht (OR) keine in der Rechnungslegung direkt anwendbaren Bestimmungen zur Umsatzerfassung. Es verlangt allerdings, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darzustellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können.
Nach unserer Auffassung ist eine Umsatzerfassung gemäss IFRS 15 grundsätzlich mit den Bestimmungen des OR vereinbar. Nur wenn einzelne IFRS-15-Regelungen im Widerspruch zu expliziten Bestimmungen des OR stünden, müssten sie unterschiedlich behandelt werden. IFRS- und OR-Abschlüsse basieren auf unabhängigen Regularien, deshalb besteht auch keine Pflicht, IFRS 15 in einer Jahresrechnung nach OR anzuwenden. Allerdings scheint es nicht mit dem im OR stipulierten Vorsichtsprinzip vereinbar, wenn ein Unternehmen, das IFRS für seine Konzernrechnung anwendet, in seiner Jahresrechnung nach OR Umsätze früher als unter IFRS 15 erfasst, da es seine Leistungsverpflichtungen noch nicht erfüllt hat.
Harmonisierung angestrebt – und möglich
Da die meisten IFRS-Anwender in der Schweiz zusätzlich eine Jahresrechnung nach OR erstellen müssen, werden sie aus Praktikabilitätsgründen in beiden Abschlüssen Umsätze zum gleichen Zeitpunkt und in gleicher Höhe erfassen wollen. Stellt nun ein Unternehmen seine Umsatzerfassung von den bisherigen IFRS-Bestimmungen auf IFRS 15 um, können sich Umstellungseffekte ergeben. Zum Beispiel sind Erträge aus Verträgen mit Kunden nach IFRS 15 im Umfang oder Zeitablauf unter Umständen anders als bisher zu erfassen.
Will nun ein Unternehmen seine Umsatzerfassung auch in der handelsrechtlichen Jahresrechnung nach den gleichen Grundsätzen wie in IFRS 15 vornehmen, hat es zu klären, wie es diese Umstellungseffekte unter den Bestimmungen des OR und des Steuerrechts behandelt – gerade bei Verträgen, die während der Umstellung noch laufen. Eine unkomplizierte Möglichkeit bestünde darin, diese noch laufenden Verträge im handelsrechtlichen Abschluss wie bisher und lediglich neu abgeschlossene Kundenverträge nach den neuen IFRS-15-Bestimmungen zu behandeln. Damit würde das Unternehmen allerdings im statutarischen Abschluss während einer gewissen Zeit parallel verschiedene Modelle der Umsatzerfassung anwenden.
Umgang mit Umstellungseffekten im OR-Abschluss
Die Übergangsbestimmungen von IFRS 15 sehen ein Wahlrecht für die Erstanwendung vor. Das Unternehmen kann den Standard vollumfänglich retrospektiv anwenden, wonach es die Eröffnungsbilanz und die Vergleichsinformationen der Vorperiode anpasst. Als Alternative kann es eine modifizierte retrospektive Anwendung vornehmen. In diesem Fall wird die Eröffnungsbilanz per 1. Januar 2018 angepasst. Unabhängig von der gewählten Methode werden für die noch nicht erfüllten Verträge mit Kunden Umstellungseffekte wirksam, die im IFRS-Abschluss in der Eröffnungsbilanz mit Ausgleich über die Gewinnreserven erfasst werden. Für die Jahresrechnung nach OR stellt sich die Frage, was eine Umstellung der statutarischen Umsatzerfassung auslöst. Vor dem Hintergrund der Umstellung auf IFRS 15 kann das Unternehmen argumentieren, dass es auch für die Rechnungslegung nach OR eine Neubeurteilung der Darstellung der laufenden Verträge mit Kunden vorgenommen hat, um die Umsatzerfassung adäquater darzustellen.
Im Unterschied zu IFRS ist eine retrospektive Erfassung von Umstellungseffekten in der Jahresrechnung nach OR nicht zulässig. Vielmehr erfolgen die Umstellungen in der OR-Jahresrechnung prospektiv. Die entsprechenden Effekte werden in der Erfolgsrechnung der laufenden Periode – typischerweise als ausserordentliche Posten – erfasst und im Anhang erläutert. Abbildung 1 illustriert anhand eines Beispiels, wie sich die Effekte einer Umstellung der Umsatzerfassung in der handelsrechtlichen Jahresrechnung darstellen lassen.