Im Fokus: Verwaltungsrat

Verwaltungsräte – Verantworten heisst vertrauen und hinterfragen


Norbert Kühnis
Leiter Familienunternehmen und KMU, Mitglied der Geschäftleitung, PwC Schweiz

Cornelia Ritz Bossicard
Verwaltungsrätin, Unternehmerin, dipl. Wirtschaftsprüferin, 2bridge AG

Der Verwaltungsrat (VR) stellt den strategischen Erfolgskurs eines Unternehmens sicher. Im Zeitalter von Dynamisierung, Digitalisierung und Disruption haben sich seine Rolle und sein Selbstverständnis verändert – und werden sich in Zukunft erst recht wandeln. Cornelia Ritz Bossicard, Präsidentin von swissVR, spricht mit Norbert Kühnis über Diversität, Selbstbeurteilung, Neugierde und Mut von Verwaltungsratsmitgliedern und VR-Gremien.

Frau Ritz Bossicard, was zeichnet einen zukunftsgerichteten VR aus?

Für die strategische und operative Führung wird es immer komplexer, das Unternehmen agil zu halten und durch die hohen Wellengänge der Märkte zu navigieren. Heute werden bewährte Geschäftsmodelle disruptiert, Märkte und Mitbewerber schneller, digitaler und globaler. Und die Interessen der Anspruchsgruppen divergieren. Vor diesem Hintergrund rückt eine gute Corporate Governance für die Vertrauensbildung in den Mittelpunkt. Neu zählt nicht nur, was ein Unternehmen tut, sondern auch, wie und warum es dies tut.

Der VR muss eine Unternehmenskultur etablieren, die den Wandel ermöglicht. Nur so kann das Unternehmen auch in Zukunft am Markt bestehen, Chancen wahrnehmen und Risiken minimieren. Dazu braucht es neue Fähigkeiten sowie dynamischere und iterativere Strategie- und Risikomanagementprozesse.

Die Unternehmensstrategie gibt die Anforderungen an den VR vor. Damit dieser seine Rolle auch in einer Zeit des Umbruchs wahrnehmen kann, sollte das Gremium vielfältig zusammengesetzt sein, in Bezug auf Fähigkeiten, Erfahrungen, Persönlichkeiten, Alter, Geschlecht und Nationalität. Der jüngste swissVR Monitor hat gezeigt, dass eine höhere Diversität mitunter zu mehr Qualität, besseren Entscheidungen und Meinungspluralität führt.

Diese Gründe sehen Verwaltungsräte für mehr Diversität im VR. Die Grösse der Wörter repräsentiert die Häufigkeit der Nennung

Ebenfalls zentral sind gemeinsame Werte. Diese legen das Fundament. Schliesslich braucht ein VR Persönlichkeiten, die neugierig bleiben, sich weiterbilden und die Anwendungsmöglichkeiten von neuen Technologien verstehen. Sie müssen nicht in jedem Thema Fachexperten sein, aber offen bleiben und kritische Fragen stellen.

Während Vielfalt die Effektivität im VR erhöht, schafft sie gleichzeitig Raum für Konflikte. Damit steigt der Anspruch an den Verwaltungsratspräsidenten oder die Verwaltungsratspräsidentin (VRP) hinsichtlich Führung und Krisenmanagement.

Wie entwickelt sich das Verantwortungsbewusstsein von VR?

Sie sind Verantwortungsträger. Diese Aufgabe verpflichtet sowohl das einzelne Mitglied als auch das Gremium als Ganzes. Einerseits gefragt sind Eigenverantwortung, Neugierde und Mut zum kritischen Blick. Das fängt bereits vor Mandatsannahme an: Hier sollte der VR eine Due Diligence durchführen und prüfen, ob er vielfältig ist und trotzdem die nötigen Gemeinsamkeiten aufweist, wie der VRP führt, wie das Gremium funktioniert und ob die Mitglieder auch kulturell zueinander passen.

Andererseits ist der VR verantwortlich für die Arbeit des Gesamtgremiums und haftet solidarisch. VR ist keine Schönwetterangelegenheit. Gerade in stürmischen Zeiten ist Verantwortung gefragt – wie aktuelle Fälle beweisen.

Welche Charakterstärken werden von Verwaltungsratsmitgliedern verlangt?

Neben den passenden Ausbildungen, Fähigkeiten und Kompetenzen benötigt jedes Mitglied Integrität, Unabhängigkeit, Neugierde, Kritikfähigkeit und den Mut, die richtigen Fragen zu stellen – ganz unabhängig von der Gruppe. Der VRP sollte zudem über Führungserfahrung, Glaubwürdigkeit, emotionale Intelligenz und natürliche Autorität verfügen.

Cornelia Ritz Bossicard

Cornelia Ritz Bossicard ist Gründerin und Managing Partner der 2bridge AG. Sie ist in verschiedenen Gremien multinationaler Unternehmen tätig und leitet das Audit Committee eines an der Schweizer Börse kotierten Handels- und Lebensmittelunternehmens. Seit 2014 ist sie Mitglied des VR und präsidiert das Audit Committee der Valora Holding AG, seit 2015 ist sie Non-Executive Director der Ferguson Finance (Switzerland) AG und seit 2017 Mitglied des Beirats der Brainforce AG. Die Betriebswirtschafterin ist Präsidentin von swissVR und als Gastdozentin an verschiedenen Business Schools engagiert. Vor der Gründung der 2bridge AG war sie als Revisionsleiterin und Direktorin bei PwC in der Schweiz und im Silicon Valley tätig. Die gebürtige Walliserin hat in der Schweiz, den USA, Europa und Asien gelebt und gearbeitet.

Wir stellen eine Professionalisierung der VR fest. Wie sehen Sie das?

Ähnlich. Für immer mehr VR-Mitglieder ist die Verwaltungsratstätigkeit ein Beruf, nicht nur ein Ehrenamt. Das zeigt sich zum einen in der Zeit, die sie für einzelne Mandate aufwenden. Zum anderen wird das an der Vorbereitungsintensität auf die Themenvielfalt deutlich, die für einen VR relevant sind.

Die heutigen Verwaltungsratsgremien verjüngen sich. Einerseits wechseln nicht selten Jüngere von der operativen auf die strategische Ebene. So entscheiden sich Verwaltungsräte mit 50 Jahren oder früher für ein Portfolio von Verwaltungsratstätigkeiten – manchmal in Ergänzung zu einer operativen Rolle. Die Verweildauer in einem VR wird abnehmen respektive der Wechsel auf Verwaltungsratsstufe zunehmen, da je nach Lebenszyklus und Strategie der Gesellschaft unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen gefragt sind.

Mit der allgemeinen Professionalisierung sollten die Verwaltungsratstätigkeit, der Aufwand und das Risiko entsprechend bezahlt werden.

Wo sehen Sie Unterschiede zwischen einem VR-Mandat in einem Familienbetrieb und einem familienunabhängigen Unternehmen? Was ist in beiden Fällen eine optimale Zusammenstellung?

Sowohl Familienbetriebe als auch familienunabhängige Unternehmen stehen vor der Herausforderung: Wie finden wir einen fähigen, kompetenten und motivierten VR, der im Gremium funktioniert, die Geschäftsleitung (GL) fordert und fördert, die Unternehmensstrategie festlegt und das Unternehmen weiterentwickelt?

Der VR ist definitionsgemäss der Gesellschaft verpflichtet. Ein Vertreter der Familie fühlt sich insbesondere der Familie verpflichtet. In Familienbetrieben kann also das Spannungsfeld zwischen Unternehmens- und Aktionärsstrategie steigen.

Bei Familienbetrieben können externe Verwaltungsräte wertvolle neue Impulse geben, vermitteln und als Sparringpartner dienen – falls ihre Vorschläge und Fragen ernst genommen werden. Damit die Diversität zum Tragen kommt, sollte die Anzahl externer VR grösser als eins sein.

Liegt die Mehrheit der Aktien in Familienbesitz und sind Minderheitsaktionäre vorhanden, sollten diese durch unabhängige Verwaltungsratsmitglieder vertreten sein.

swissVR

Die Netzwerkorganisation swissVR engagiert sich für die Professionalität, Qualität und die Wahrnehmung der Interessen von Verwaltungsräten in der Schweiz. Der Verein hat über 700 Mitglieder, von KMU bis zu börsenkotierten Konzernen, die zusammen über 2500 Verwaltungsratsmandate in diversen Branchen und Regionen wahrnehmen.

Was halten Sie von der Doppelrolle VRP/CEO?

Diese Rollenverknüpfung ist häufig in Familiengesellschaften anzutreffen, teilweise auch in Personalunion mit dem Hauptaktionär. Persönlich halte ich sie grundsätzlich für eine verpasste Chance. Denn getrennte Funktionen bieten dem Unternehmen einen grösseren Mehrwert. Eine Doppelrolle kann in Spezialfällen und für eine limitierte Zeit angebracht sein. Dann sollte das Unternehmen einen starken Lead Independent Director etablieren, der einen Teil der VR-Sitzung ohne VRP/CEO durchführt.

Was meinen Sie zur (finanziellen) Unabhängigkeit eines VR?

Verwaltungsräte müssen unbequeme Fragen stellen. Das bedingt eine kritische Grundhaltung, also Offenheit, Kritikfähigkeit und Mut. Interessenkonflikte persönlicher, geschäftlicher oder finanzieller Natur können die Unabhängigkeit im Denken beeinflussen. Ein Unternehmen sollte Prozesse etablieren, die Interessenkonflikte identifizieren, offenlegen, minimieren und vermeiden. Das kann dazu führen, dass ein VR-Mitglied bei gewissen Besprechungen in den Ausstand treten muss, was aufgrund der zunehmenden Vernetzung in Zukunft immer häufiger der Fall sein wird.

Mit der finanziellen Unabhängigkeit eines VR gegenüber dem einzelnen Mandat verhält es sich ähnlich wie mit der finanziellen Unabhängigkeit der GL. Beide haben eine Sorgfalts- und Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen, die sie unabhängig von der finanziellen Sachlage wahrnehmen müssen.

Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine optimale Zusammenarbeit von VR und GL?

Die Informationsasymmetrie zwischen den beiden Gremien bleibt eine Herausforderung. Aber Transparenz, eine offene Kommunikation, Kritikfähigkeit und stufengerechte Kompetenzen stärken die Zusammenarbeit. Der VRP als Ansprech- und Sparringpartner des CEO kann den Dialog mit dem CEO und der GL fördern. Besonders geeignet sind (in)formelle Sitzungen und Diskussionen und ein angemessener Umgang. In einem solchen herrscht gegenseitiges Vertrauen, auch wenn der VR eine Kontrollfunktion innehält. Wer diskutiert statt präsentiert, sachbezogen bleibt und eine offene Gesprächskultur pflegt, kann effektiver zusammenarbeiten. Im Weiteren tragen eine gezielte Agenda, verständliche und frühzeitige bereitliegende Unterlagen, eine solide Vorbereitung und ein gutes Protokoll zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit von VR und GL bei.

Wie kann ein VR kontrollierendes und beratendes Gremium zugleich sein?

Der VR muss vertrauen und überprüfen. Für diese scheinbar divergierenden Aufgaben braucht er Fachwissen und die richtigen Fähigkeiten. Nur so kann er dem Management und dem Unternehmen einen Mehrwert bieten, sie herausfordern und beraten. Dazu ist der Vertrauensgrad, also die Kultur innerhalb des VR entscheidend. Lässt diese zu, dass der VR die Annahmen des Managements in Frage stellt und unabhängige oder abweichende Perspektiven teilt? Sind VR-Mitglieder bereit, Verhaltensprobleme und -risiken auf höchster Ebene anzugehen?

Können Sie etwas zur optimalen Grösse und idealen Zusammensetzung von VR-Gremien sagen?

Je mehr Personen mitentscheiden, desto grösser wird die Gefahr, dass man sich auf andere verlässt. Aus meiner Erfahrung arbeiten Gremien von fünf bis sieben Personen gut zusammen, wobei dies je nach Grösse und Komplexität des Unternehmens variiert. Bei Bedarf kann Spezialwissen extern oder temporär dazugeholt werden. Die Grösse des VR sollte die Kompetenzen und Grösse der GL widerspiegeln.

Bei der Zusammenstellung von VR-Gremien ist auf sich ergänzende Kompetenzen und Erfahrungen zu achten. Dazu zählt Grundlegendes wie Branchenwissen und -erfahrung, Führungserfahrung, Wissen in Strategie, Finanzen, Corporate Governance, IT, HR, Marketing oder internationale Erfahrung. Ebenfalls zentral kann Fachwissen, etwa zur digitalen Transformation oder zu anderen Spezialthemen, sein.

Welche Bedeutung hat die Selbstbeurteilung des Gremiums beziehungsweise von Verwaltungsratsmitgliedern und deren Präsidenten?

Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance empfiehlt, dass der VR jährlich eine Selbstevaluation seiner Arbeit und derjenigen seiner Ausschüsse vornimmt. Die regelmässige Beurteilung der eigenen Leistung – individuell und als Gremium – hilft, Lücken festzustellen und zu schliessen, sei es durch Weiterbildung, Verstärkung des Gremiums oder andere Massnahmen.

In der Praxis wird die Selbstbeurteilung oft pragmatisch gehandhabt, meist als Evaluation des Gesamtgremiums. Kritik an VR-Kollegen oder am VRP erweist sich oft als schwierig. Hier kann eine Fremdbeurteilung helfen.

Was sollte sich ein VRP überlegen, wenn er seinen VR neu bestückt?

Er sollte die Unternehmensstrategie mit den benötigten, vorhandenen und fehlenden Kompetenzen abgleichen. Sein Augenmerk gilt den Persönlichkeiten und deren Werten; diese müssen zum Unternehmen und zur Strategie passen.

Es lohnt sich, nicht nur den Ersatz eines scheidenden VR zu evaluieren, sondern sich in regelmässigen Abständen zu fragen, ob alle im Gremium den gewünschten und erforderlichen Mehrwert bringen – VRP inklusive.

Wie und wo findet dieser passende Verwaltungsratsmitglieder?

Es gibt auf Verwaltungsräte spezialisierte Executive-Search-Dienstleister oder Onlineplattformen. Wichtig sind auch persönliche Kontakte der verschiedenen VR, Empfehlungen von Investoren oder vom Management. Ebenfalls hilfreich sind Verwaltungsratsnetzwerke wie swissVR (vgl. Box), SwissBoardsForum oder Swiss Board Institute. Und schliesslich gehen aus Verwaltungsratsschulungen jedes Jahr neue, motivierte Kandidaten hervor.

Ist ein VR-Mandat heute aufwendiger als früher?

Ja. Die Anforderungen steigen, sei es aufgrund des hoch dynamischen Marktumfelds oder der aktuellen Megatrends. Der Zeitbedarf ist gestiegen und wird weiter steigen.

Ausserdem kommen laufend neue Themen und Anforderungen seitens der Regulatoren und Investoren hinzu. So gewinnt das Unternehmen als Akteur der Gesellschaft an Bedeutung, und die Anspruchsgruppen erwarten, dass Unternehmen vermehrt auch an Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren gemessen werden. Das führt uns erneut zur gemeinsamen Kultur und zu den Werten und dem Anspruch, dass ein Unternehmen nicht nur profitabel arbeitet, sondern auch etwas für die Gesellschaft tut.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Norbert Kühnis

Norbert Kühnis

Partner and Leader Family Business & SMEs, PwC Switzerland

Tel.: +41 58 792 63 63

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