Was halten Sie von der Doppelrolle VRP/CEO?
Diese Rollenverknüpfung ist häufig in Familiengesellschaften anzutreffen, teilweise auch in Personalunion mit dem Hauptaktionär. Persönlich halte ich sie grundsätzlich für eine verpasste Chance. Denn getrennte Funktionen bieten dem Unternehmen einen grösseren Mehrwert. Eine Doppelrolle kann in Spezialfällen und für eine limitierte Zeit angebracht sein. Dann sollte das Unternehmen einen starken Lead Independent Director etablieren, der einen Teil der VR-Sitzung ohne VRP/CEO durchführt.
Was meinen Sie zur (finanziellen) Unabhängigkeit eines VR?
Verwaltungsräte müssen unbequeme Fragen stellen. Das bedingt eine kritische Grundhaltung, also Offenheit, Kritikfähigkeit und Mut. Interessenkonflikte persönlicher, geschäftlicher oder finanzieller Natur können die Unabhängigkeit im Denken beeinflussen. Ein Unternehmen sollte Prozesse etablieren, die Interessenkonflikte identifizieren, offenlegen, minimieren und vermeiden. Das kann dazu führen, dass ein VR-Mitglied bei gewissen Besprechungen in den Ausstand treten muss, was aufgrund der zunehmenden Vernetzung in Zukunft immer häufiger der Fall sein wird.
Mit der finanziellen Unabhängigkeit eines VR gegenüber dem einzelnen Mandat verhält es sich ähnlich wie mit der finanziellen Unabhängigkeit der GL. Beide haben eine Sorgfalts- und Treuepflicht gegenüber dem Unternehmen, die sie unabhängig von der finanziellen Sachlage wahrnehmen müssen.
Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine optimale Zusammenarbeit von VR und GL?
Die Informationsasymmetrie zwischen den beiden Gremien bleibt eine Herausforderung. Aber Transparenz, eine offene Kommunikation, Kritikfähigkeit und stufengerechte Kompetenzen stärken die Zusammenarbeit. Der VRP als Ansprech- und Sparringpartner des CEO kann den Dialog mit dem CEO und der GL fördern. Besonders geeignet sind (in)formelle Sitzungen und Diskussionen und ein angemessener Umgang. In einem solchen herrscht gegenseitiges Vertrauen, auch wenn der VR eine Kontrollfunktion innehält. Wer diskutiert statt präsentiert, sachbezogen bleibt und eine offene Gesprächskultur pflegt, kann effektiver zusammenarbeiten. Im Weiteren tragen eine gezielte Agenda, verständliche und frühzeitige bereitliegende Unterlagen, eine solide Vorbereitung und ein gutes Protokoll zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit von VR und GL bei.
Wie kann ein VR kontrollierendes und beratendes Gremium zugleich sein?
Der VR muss vertrauen und überprüfen. Für diese scheinbar divergierenden Aufgaben braucht er Fachwissen und die richtigen Fähigkeiten. Nur so kann er dem Management und dem Unternehmen einen Mehrwert bieten, sie herausfordern und beraten. Dazu ist der Vertrauensgrad, also die Kultur innerhalb des VR entscheidend. Lässt diese zu, dass der VR die Annahmen des Managements in Frage stellt und unabhängige oder abweichende Perspektiven teilt? Sind VR-Mitglieder bereit, Verhaltensprobleme und -risiken auf höchster Ebene anzugehen?
Können Sie etwas zur optimalen Grösse und idealen Zusammensetzung von VR-Gremien sagen?
Je mehr Personen mitentscheiden, desto grösser wird die Gefahr, dass man sich auf andere verlässt. Aus meiner Erfahrung arbeiten Gremien von fünf bis sieben Personen gut zusammen, wobei dies je nach Grösse und Komplexität des Unternehmens variiert. Bei Bedarf kann Spezialwissen extern oder temporär dazugeholt werden. Die Grösse des VR sollte die Kompetenzen und Grösse der GL widerspiegeln.
Bei der Zusammenstellung von VR-Gremien ist auf sich ergänzende Kompetenzen und Erfahrungen zu achten. Dazu zählt Grundlegendes wie Branchenwissen und -erfahrung, Führungserfahrung, Wissen in Strategie, Finanzen, Corporate Governance, IT, HR, Marketing oder internationale Erfahrung. Ebenfalls zentral kann Fachwissen, etwa zur digitalen Transformation oder zu anderen Spezialthemen, sein.
Welche Bedeutung hat die Selbstbeurteilung des Gremiums beziehungsweise von Verwaltungsratsmitgliedern und deren Präsidenten?
Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance empfiehlt, dass der VR jährlich eine Selbstevaluation seiner Arbeit und derjenigen seiner Ausschüsse vornimmt. Die regelmässige Beurteilung der eigenen Leistung – individuell und als Gremium – hilft, Lücken festzustellen und zu schliessen, sei es durch Weiterbildung, Verstärkung des Gremiums oder andere Massnahmen.
In der Praxis wird die Selbstbeurteilung oft pragmatisch gehandhabt, meist als Evaluation des Gesamtgremiums. Kritik an VR-Kollegen oder am VRP erweist sich oft als schwierig. Hier kann eine Fremdbeurteilung helfen.
Was sollte sich ein VRP überlegen, wenn er seinen VR neu bestückt?
Er sollte die Unternehmensstrategie mit den benötigten, vorhandenen und fehlenden Kompetenzen abgleichen. Sein Augenmerk gilt den Persönlichkeiten und deren Werten; diese müssen zum Unternehmen und zur Strategie passen.
Es lohnt sich, nicht nur den Ersatz eines scheidenden VR zu evaluieren, sondern sich in regelmässigen Abständen zu fragen, ob alle im Gremium den gewünschten und erforderlichen Mehrwert bringen – VRP inklusive.
Wie und wo findet dieser passende Verwaltungsratsmitglieder?
Es gibt auf Verwaltungsräte spezialisierte Executive-Search-Dienstleister oder Onlineplattformen. Wichtig sind auch persönliche Kontakte der verschiedenen VR, Empfehlungen von Investoren oder vom Management. Ebenfalls hilfreich sind Verwaltungsratsnetzwerke wie swissVR (vgl. Box), SwissBoardsForum oder Swiss Board Institute. Und schliesslich gehen aus Verwaltungsratsschulungen jedes Jahr neue, motivierte Kandidaten hervor.
Ist ein VR-Mandat heute aufwendiger als früher?
Ja. Die Anforderungen steigen, sei es aufgrund des hoch dynamischen Marktumfelds oder der aktuellen Megatrends. Der Zeitbedarf ist gestiegen und wird weiter steigen.
Ausserdem kommen laufend neue Themen und Anforderungen seitens der Regulatoren und Investoren hinzu. So gewinnt das Unternehmen als Akteur der Gesellschaft an Bedeutung, und die Anspruchsgruppen erwarten, dass Unternehmen vermehrt auch an Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren gemessen werden. Das führt uns erneut zur gemeinsamen Kultur und zu den Werten und dem Anspruch, dass ein Unternehmen nicht nur profitabel arbeitet, sondern auch etwas für die Gesellschaft tut.
Herzlichen Dank für das Gespräch!