Im Fokus: ESG-Berichterstattung

Rasante Entwicklungen erfordern schnelle Entscheidungen

Theo Helfenstein
Sustainability and Climate Change, PwC Schweiz

Die Forderung nach mehr Transparenz und Verpflichtung in der nichtfinanziellen Berichterstattung ist nicht neu. Neu sind Tempo und Verbindlichkeit. Derzeit stehen zwei Programme von internationalen Standards kurz vor dem Durchbruch. Die Schweiz zieht ebenfalls nach. Grössere Unternehmen tun gut daran, ihre nichtfinanzielle Berichterstattungspraxis zu trimmen – und die Chancen zu nutzen.

Zum Kontext

Investor:innen, Gesetzgebende, Nichtregierungsorganisationen und Ratingagenturen sind sich einig: Es braucht mehr Transparenz in der nichtfinanziellen Berichterstattung zu den Themen Umwelt, Soziales und Governance (ESG). Das lässt sich durch eine einheitliche ESG-Berichterstattung erreichen. Allerdings gehen die Ansichten über deren Ausgestaltung und Umsetzung auseinander. Nationale und internationale Entwicklungen laufen parallel und kreuzen sich erst seit Kurzem. Nachfolgend leuchten wir die wichtigsten Themen aus.

European Sustainability Reporting Standards (ESRS)

Im April 2021 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) veröffentlicht und im Juni 2022 sich mit den Mitgliedstaaten bezüglich deren Umsetzung geeinigt. Diese soll die bisher geltende Non-Financial Reporting Directive (NFRD) von 2014 ersetzen. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) wurde mit der Erarbeitung eines europäischen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) beauftragt. Die Arbeit der diversen Expertengruppen läuft auf Hochtouren und die öffentliche Vernehmlassung der Entwürfe begann Ende April 2022. Das verbindliche Inkrafttreten dieser Standards erfolgt für grosse Publikumsgesellschaften (welche im Anwendungsbereich von NFRD sind) auf das Berichtsjahr 2024, für grosse Nicht-Publikumsgesellschaften auf 2025 und für kleinere Publikumsgesellschaften sowie Nicht-EU Unternehmen, welche über 150 Millionen Euro Umsatz in der EU erzielen auf 2028. Ein separater Standard ist geplant für kleinere Unternehmen. Sämtliche CSRD-pflichtigen Unternehmen müssen nebst der Berichterstattung nach ESRS auch die Offenlegungspflichten der EU-Taxonomie sicherstellen, welche einen anderen Zeitplan haben und teilweise bereits verpflichtend sind.

Es werden somit viele Unternehmen von CSRD betroffen sein, die ihren Sitz in der Schweiz haben, auch indirekt weil mit einem konsolidierten Bericht eine Befreiung für Tochtergesellschaften möglich ist und somit die Erfüllung der Berichterstattung bei der Muttergesellschaft effizienter sein dürfte. Keine Befreiung ist möglich für Tochtergesellschaften von welchen Wertschiften an einer EU regulierten Börse gehandelt werden.

Die CSRD nimmt die Perspektive der Unternehmensverantwortung ein. Dazu hat die EU nicht nur den Kreis der Betroffenen, sondern auch die Berichtsinhalte ausgeweitet. Zudem gehört Nachhaltigkeit neu in den Lagebericht und muss digital lesbar sein. Management und Aufsichts- oder Verwaltungsrat tragen somit explizit die Verantwortung für die Erfüllung der Pflicht. Im Weiteren ist neu eine externe Prüfung der Nachhaltigkeitsinformationen vorgeschrieben. Zunächst soll die Prüfung mit begrenzter Sicherheit (limited assurance) durchgeführt werden. Die EU sieht spezifische Anforderungen an Prüfende bezüglich Erfahrung und Ausbildung vor und strebt mittelfristig eine Prüfung auf hinreichende Sicherheit (reasonable assurance) an.

International Sustainability Standards Board (ISSB)

Auf dem Klimagipfel in Glasgow Anfang November 2021 hat die International Financial Reporting Standards (IFRS) Foundation die Gründung des International Sustainability Standards Boards (ISSB) angekündigt. Während sich die EFRAG an den Bedürfnissen aller Anspruchsgruppen orientiert, zielt das ISSB auf eine Offenlegung ab, die vorwiegend den Kapitalmarkt adressiert. Der zu entwickelnde Standard soll also vor allem die Frage beantworten, ob und inwiefern sich Nachhaltigkeitsaspekte auf Bilanz und Erfolgsrechnung auswirken. Damit dürften vor allem Investierende ihn fordern. Die Ausarbeitung des Standards ist noch nicht abgeschlossen, soll aber parallel zu den ESRS eingeführt werden und Kompatibilität wird angestrebt. Zurzeit sind die Arbeitspapiere des ISSB noch stark auf Klimaimplikationen konzentriert, dürften sich aber im Lauf der Zeit auf andere ESG-Aspekte ausweiten.

Das ISSB orientiert sich stark an den Empfehlungen der Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) und fokussiert daher auf Chancen und Risiken. Damit wirkt sich der neue Standard in zweierlei Hinsicht auf das Unternehmen aus: Erstens kann dieses präventiv agieren und finanzielle Negativfolgen reduzieren, zum Beispiel indem es Klimarisiken abschwächt oder Aktivitäten mit erwarteten Verlusten einstellt. Zweitens legt die neue Transparenz auch Opportunitäten frei. Indem ein Unternehmen zum Beispiel in erneuerbare Energiequellen investiert, hilft es mit, aktuelle Lösungen marktfähig und skalierbar zu gestalten und neue Märkte – sprich Geschäftsfelder – zu entwickeln.

Revidiertes schweizerisches Obligationenrecht (revOR)

Der Bundesrat hat die neuen (Ausführungs-)Bestimmungen aus dem indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) im schweizerischen Obligationenrecht (revOR) auf den 1. Januar 2022 in Kraft gesetzt; sie sind ab dem Berichtsjahr 2023 verpflichtend. Damit hat er die nichtfinanzielle Berichterstattungspflicht von Publikumsgesellschaften und von der Finanzmarktaufsicht (FINMA) kontrollierten Unternehmen mit entsprechender Grösse (mehr als 500 Vollzeitstellen sowie 40 Mio. CHF Umsatzerlös oder 20 Mio. CHF Bilanzsumme) eingeführt. 

Ein betroffenes Unternehmen muss auf konsolidierter Basis einen Bericht über nichtfinanzielle Belange vorlegen und diesen sowohl durch den Verwaltungsrat als auch durch die Generalversammlung genehmigen lassen. In diesem Bericht muss das Unternehmen seine Konzepte und Massnahmen mit Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung ausführen und die entsprechenden Risiken aus seiner geschäftlichen Tätigkeit sowie wesentliche Leistungsindikatoren darlegen. 

Welche Kenngrössen genau verlangt werden, ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Offenlegungsthemen werden relativ vage gehalten. Viele Unternehmen, die bereits eine Nachhaltigkeitsoffenlegung durchführen, wenden den Standard der Global Reporting Initiative (GRI) an. Damit werden sie den aktuellen NFRD-Pflichten (auf denen die Bestimmungen beruhen) weitestgehend gerecht. Eine Prüfpflicht des Berichts durch einen externen Wirtschaftsprüfer hat der Schweizer Gesetzgeber nicht vorgesehen, wohl aber eine formelle Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats. 

Verordnung zur Klimaberichterstattung

Am 18. August 2021 hat der Bundesrat kommuniziert, dass die Klimarisikooffenlegung in einer zusätzlichen Vollzugsverordnung geregelt wird. Diese Verordnung wurde am 30. März 2022 in die Vernehmlassung geschickt und soll ebenfalls für das Berichtsjahr 2023 in Kraft treten (vgl. «Verordnung zur Klimaberichterstattung in der Vernehmlassung»). Wie die europäischen und internationalen Standards orientiert sich die Verordnung an TCFD.

Das Offenlegen von Klimarisiken bedingt ein Umdenken in der Abbildung nichtfinanzieller Risiken. Bisher ging es um Grössen wie Energie- und Wasserverbrauch oder den CO2-Ausstoss nach Emissionsquellen (Scope 1, 2 und 3). In Zukunft müssen die Verantwortlichen sich dem klassischen Risikomanagement annähern und mit Szenarien die finanziellen Folgen ermessen, die mit unterschiedlichen Massnahmen und Erreichungsgraden der Klimaziele korrelieren. Zum Beispiel kann der Anstieg der CO2-Preise die Position eines Unternehmens auf dem Kapitalmarkt grundlegend verändern. Oder die physischen Auswirkungen des Klimawandels führen zu Wertminderungen von Bilanzpositionen.

Lieferkettengesetz und EU-Lieferkettenrichtlinie

Deutschland hat 2021 ein umfassendes Lieferkettengesetz eingeführt, andere EU-Länder ziehen nach. Am 23. Februar 2022 hat die europäische Kommission ihren Entwurf für eine Corporate Sustainability Due Diligence Directive (sogenannte EU-Lieferkettenrichtlinie) mit Anhang und Factsheet veröffentlicht. Der Vorschlag orientiert sich in erster Linie an den bestehenden Gesetzen von Frankreich und Deutschland und steht im Einklang mit dem Europäischen Green Deal und den UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung. Mit dieser Richtlinie sollen Menschenrechte und Umweltbelange in der Unternehmenstätigkeit und -führung stärker berücksichtigt werden. In der Schweiz stehen basierend auf dem revidierten Obligationenrecht die Themen Kinderarbeit und Konfliktmaterialien im Mittelpunkt (vgl. «Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit»).

Die neuen gesetzlichen Bestimmungen verpflichten die Unternehmen, ihre Sorgfaltspflicht nachzuweisen. Diese umfasst das Identifizieren, Beenden, Vorbeugen, Verringern, Überwachen und Berichterstatten von negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Die Unternehmen müssen aufzeigen, gegenüber welchen Risiken sie exponiert sind und was sie mit welchem Zeithorizont dagegen tun. Die neuen Transparenzanforderungen erfordern ein aktives Lieferantenmanagement mit einer systematischen Informationserhebung und einem griffigen Monitoring. Sie sind gerade für stark vernetzte Unternehmen anspruchsvoll, da sich gewisse Abhängigkeiten kaum oder nur schwer eliminieren lassen.

Faktor Zeit

Die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstandards nimmt weiter an Fahrt auf. Auf europäischer Ebene hat die EFRAG zahlreiche Arbeitspapiere für die künftigen ESRS veröffentlicht, darunter fünf sogenannte sektorenunabhängige Querschnittstandards. Die Konsultation dazu dauert von Mai bis Anfang August 2022. Das ISSB hat am 31. März 2022 die ersten beiden Exposure Drafts für künftige globale Mindeststandards («global baseline») für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zur offiziellen Vernehmlassung (bis Ende Juli 2022) publiziert. Es will die finalen Standards nach Einarbeitung der Rückmeldungen bis Ende 2022 herausgeben.

Die nichtfinanzielle Berichterstattung in der Schweiz wird bereits ab dem Berichtsjahr 2023 verpflichtend. Die EU-Lieferkettenrichtlinie soll im Jahr 2023 finalisiert und innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Verabschiedung von jedem EU-Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden. Trotz der Verschiebung der CSRD bleibt das regulatorische Tempo sehr hoch. Es zwingt die Verantwortlichen, sich so rasch als möglich um die erforderlichen Informationen und Prozesse zu kümmern.

Umdenken empfohlen

Um die neuen ESG-Transparenzpflichten kommen viele Unternehmen nicht herum. Hier einige Empfehlungen, die in der Diskussion um die anstehenden Entscheidungen helfen können:

  • Als Erstes gilt es, die Periodizität der Berichterstattung zu erhöhen und schnelle Prüfmechanismen mit Zwischenprüfungen einzuführen. Hier stellt sich die Frage, welche Prozessschritte sich automatisieren lassen – etwa bei der Informationsbeschaffung.
  • ESG Berichterstattung bedingt einen Ansatz, der keine Vollkommenheit abbildet, sondern Unzulänglichkeiten und entsprechende Massnahmen aufzeigen soll. Letztlich wird ein Unternehmen nicht bestraft, wenn es einen Mangel offenlegt, sondern wenn es ihn verschweigt.
  • Dieses Bewusstsein wiederum erfordert Funktionen, die nicht nur in Schwarz oder Weiss, sondern auch in Graustufen – sprich Szenarien und Hypothesen – denken und agieren können.
  • CEO, CFO und Audit-Committee-Mitglieder sind aus formaljuristischer Sicht verantwortlich für die nichtfinanzielle Berichterstattung und können dafür belangt werden. Eine Missachtung dieser Pflicht könnte rechtliche Folgen zum Beispiel in Form von Klagen hervorrufen.
  • Die detaillierten Inhalte eines Nachhaltigkeitsberichts zeichnen sich schrittweise ab. Das ist in der Welt der Zahlen und Standards unüblich – aber Fakt. Wer sich regelkonform verhalten will, muss bereit sein, sein Verhalten dem Lauf der Dinge (und Standards) anzupassen.

Fazit

Die Zeitgeschichte führt uns die Dringlichkeit von Transparenz und Verantwortlichkeit in der nichtfinanziellen Wertschöpfung schon fast täglich vor Augen: Pandemie, Klimawandel, Rohstoffengpässe, Fachkräftemangel, Inflation, Krieg. Zahlreiche Schweizer Grossunternehmen sind weltweit tätig oder investiert. Demnach sollten sie ihre Offenlegungspraxis an jenen Anforderungen orientieren, die am weitesten greifen. Damit werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit auch den Schweizer Pflichten gerecht, die sich – mit teilweiser Ausnahme der Lieferkettentransparenz – an den europäischen Entwicklungen anlehnen. Dass die beiden dominanten Standards unterschiedliche Blickwinkel einnehmen – ESRS die Unternehmensverantwortung und ISSB den Kapitalmarkt –, ist unserer Ansicht nach ein Vorteil. Das erlaubt es den Verantwortlichen, die Auswirkungen ihres ESG-Verhaltens entsprechend den Anforderungen ihrer wichtigsten Dialoggruppen zu durchleuchten und offenzulegen. Wem das gelingt, perfektioniert die hohe Kunst der Transparenz – was schliesslich einem Wettbewerbsvorteil gleichkommt.

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Theo Helfenstein

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Christophe Bourgoin

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Partner, Investor Reporting and Sustainability Platform Leader, PwC Switzerland

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