Bastian Stolzenberg
Director, Blockchain Assurance, PwC Switzerland
Die Erfindung der Blockchain im Jahr 2008 markierte einen Meilenstein in der digitalen Transformation der Finanzwelt. Seither hat sich die Technologie mannigfach weiterentwickelt und Einsatzvarianten für unterschiedlichste Bereiche hervorgebracht. Nicht alle konnten sich durchsetzen und manche müssen ihren wirtschaftlichen Mehrwert erst noch beweisen. Nun schlägt eine neuartige Anwendungsmöglichkeit ein vielversprechendes Kapitel in der Blockchain-Geschichte auf: die Tokenisierung von realen Vermögenswerten.
Der Bitcoin gilt als Erstanwendung der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – auch Blockchain genannt. Er entstand nach der Finanzkrise 2008, die das Anlegervertrauen in traditionelle Finanzsysteme mit Intermediären angeschlagen hatte. Im dezentralisierten Finanzsystem der Blockchain trägt jeder Teilnehmende dazu bei, das System aufrechtzuerhalten und zu validieren. So entfallen zusätzliche Kosten für eine zentrale Verwaltung.
Der Bitcoin wird heute vorwiegend als digitale Handelswährung eingesetzt. Die US-Börsenaufsicht SEC hat im Januar 2024 gleich elf neuartige Exchange-Traded Funds (ETF) auf den Bitcoin zugelassen. Aus der damals disruptiven Idee ist eine konjunkturresistente Anlagelösung geworden. Nicht umsonst wird der Bitcoin als «digitales Gold» bezeichnet.
Im Kielwasser des Bitcoins sind viele Arten von Kryptowährungen entstanden, die sich etabliert haben. Eine davon ist das Prinzip Stablecoin. Hier ist der Name Konzept: Als Brücke zwischen der Kryptowährung und realem Geld sind Stablecoins an einen weniger volatilen Wert wie eine Leitwährung gekoppelt oder nutzen Algorithmen, um ihre Preisbindung aufrechtzuerhalten. Manche leitwährungsgekoppelte Stablecoins weisen eine Marktkapitalisierung von weit über 100 Milliarden US-Dollar auf. Das hat sogar dazu geführt, dass diverse Zentralbanken begannen, sich mit eigenen Digitalbankwährungen zu beschäftigen oder solche herauszugeben. Weniger glorreiche Beispiele finden sich bei den algorithmischen Stablecoins. Die Bruchlandung von TerraUSD im Mai 2022 hat deutlich gemacht, dass nicht jeder Stablecoin-Herausgeber sein Versprechen halten kann.
Über die Zeit sind zahlreiche weitere Blockchain-Anwendungsfälle entstanden. Hier eine Auswahl von Applikationen, die sich halten, wenn auch noch keinen gesellschaftlich flächendeckenden Durchbruch erzielen konnten.
Wie lassen sich die Vorteile der materiellen und digitalen Finanzwelt verknüpfen? Diese Frage treibt die Evolution von Blockchain-Anwendungen seit je an, sowohl auf Seite der FinTechs als auch bei den traditionellen Finanzdienstleistern. Eine Lösung, die mehr als einen Hype darstellen dürfte, ist die Tokenisierung von realen Vermögenswerten.
Mit der Tokenisierung wird das teilweise oder gesamthafte Eigentum an einem materiellen oder digitalen Vermögenswert der realen Welt in eine klar umrissene digitale Form – einen Token – umgewandelt. Token können sowohl greifbare physische als auch immaterielle Werte darstellen, also klassische Anlageprodukte wie Aktien oder Investmentfonds, aber auch Immobilien, Kunstgegenstände, Luxusgüter, Patente, Daten und vieles mehr.
Die Tokenisierung ermöglicht ein finanzielles Ökosystem, das real existierende Werte erreichbarer macht als je zuvor – nicht nur für einen wohlhabenden oder institutionellen Anlegerkreis, sondern auch für eine breite Öffentlichkeit (vgl. Abb. 1). Dank des Bruchteilseigentums können mehr Menschen an Investitionsaktivitäten teilnehmen. Waren Anlagegegenstände wie Kunst, Wein oder Bauobjekte bisher nur schwer teil- oder handelbar, so lassen sie sich tokenisiert über die Blockchain einfach abwickeln.
Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass das Prinzip der Zerstückelung keinen Hype, sondern eine nachhaltige Lösung darstellt, liefert der Schweizer Anbieter Splint Invest. Die digitale Plattform für alternative Anlagen finanziert Vermögenswerte vor und teilt diese in kleinere Bruchteile – sogenannte Splints – auf. Solche Vermögensbruchstücke sind bereits ab EUR 50 erhältlich.
Die Tokenisierung kann die Transaktionsgeschwindigkeit beschleunigen, die Eigentums- sowie Transaktionskosten reduzieren und die Liquidität und damit Handelbarkeit von bisher illiquiden Vermögenswerten erhöhen. Schliesslich verbessert sich die Sicherheit von Anlagen, da die Blockchain einen transparenten und unveränderlichen Eigentumsnachweis liefert.
Durch die Tokenisierung von realen Vermögenswerten dürfte nach Expertenschätzungen bis 2030 ein Markt von mindestens 10 Billionen US-Dollar entstehen.1 Vor diesem Potenzial türmen sich noch gewaltige Herausforderungen auf. Zum einen werden zahllose Blockchains mit unterschiedlichen Technologien eingesetzt, was deren Interoperabilität erschwert. Zum anderen fehlen Handelsplattformen wie SIX Digital Exchange oder Taurus Digital Exchange, die dieses Problem mit einer vereinheitlichten Technologie angehen, noch grössere Handelsvolumen. Im Weiteren macht das Tokenisieren von Vermögenswerten diese nicht automatisch attraktiver. Und schliesslich liegen noch keine international harmonisierten Vorschriften und Standards für einen diskriminierungsfreien Marktzugang vor.
Die Blockchain blickt auf eine bewegte Geschichte zurück – mit durchschlagenden Erfolgen, spektakulären Crashs und teilweise viel Luft um wenig Mehrwert. Die Tokenisierung von realen Vermögenswerten schreibt diese Geschichte nun intelligent weiter. Über Zerstückelung wird das Eigentum popularisiert. Die Vorteile sind bestechend: Wegfall von Intermediären, grössere Liquidität, mehr Handelsaktivität, schnellere Abwicklung, tiefere Emissions- und Transaktionskosten, mehr Transparenz und damit mehr Sicherheit. Um dieses billionenschwere Potenzial auszuschöpfen, braucht es eine vereinheitlichte Technologie, breitere Akzeptanz und grössere Basisvolumen auf den Handelsplattformen.
1 Siehe "Tokenisation of real-world assets", Roland Berger, 2023
Bastian Stolzenberg