Wer ist davon betroffen?

Die BVG-Reform in einen Bezugsrahmen setzen

BVG reform
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  • 02/05/24

Die Renten der beruflichen Vorsorge stehen seit Längerem unter Druck. Grund dafür sind die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung sowie die Schwankungen auf den Kapitalmärkten. Das Parlament hat deshalb am 17. März 2023 die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) mit dem Ziel verabschiedet, die Finanzierung der 2. Säule zu stärken, das Leistungsniveau insgesamt zu erhalten und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten – und damit insbesondere von Frauen – zu verbessern. Gegen die Reform wurde von den Gewerkschaften und den Linksparteien mit Erfolg das Referendum ergriffen. Das letzte Wort hat nun das Volk, das 2024 über die BVG-Reform abstimmen wird. Inkrafttreten könnte die Reform sehr wahrscheinlich am 1. Januar 2026.

Dieser Artikel verfolgt das Ziel, transparent und sachlich über die wichtigsten Aspekte der vorliegenden BVG-Reform zu informieren, die Auswirkungen für die Schweizer Erwerbsbevölkerung zu quantifizieren und im Sinne eines «Big Pictures» in einen Bezugsrahmen zu setzen, um die Reform besser einordnen zu können. Dabei werden auch fragwürdige Anreize in der vorliegenden Reform benannt und hinterfragt.

Die BVG-Reform in fünf Punkten

Wichtig zu verstehen
Die berufliche Vorsorge (BVG) besteht aus einem obligatorischen Teil, in welchem Jahreslöhne gemäss den gesetzlichen Minimalvorschriften versichert werden, und einem überobligatorischen (freiwilligen) Teil, in welchem Pensionskassen zusätzliche Leistungen versichern können. Die Punkte 1 bis 4 aus der BVG-Revision betreffen deshalb alle Pensionskassen, die ausschliesslich das BVG-Obligatorium versichern. Für Pensionskassen mit überobligatorisch versicherten Leistungen sind die Punkte hingegen nicht tel quel anwendbar: Sie müssen sicherstellen, dass ihre Leistungen insgesamt dem „neuen" BVG-Minimum entsprechen. Punkt 5, die Finanzierung der Rentenzuschläge, betrifft hingegen sämtliche Pensionskassen und damit alle Versicherten – unabhängig davon, ob obligatorische oder auch überobligatorische Leistungen versichert sind.

Illustrative Darstellung der BVG-Reform

1. Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes

Ausgangslage: Im Laufe der Erwerbstätigkeit zahlen die Arbeitnehmer und Arbeitgeber Sparbeiträge in die Pensionskasse ein, die in Form von Altersgutschriften dem persönlichen Altersguthaben gutgeschrieben und verzinst werden. Bei der Pensionierung wird das vorhandene Altersguthaben entweder in Kapitalform ausbezahlt oder in eine lebenslange Altersrente umgewandelt. Die Umwandlung des angesparten Altersguthabens in eine Rente wird dabei durch den Umwandlungssatz bestimmt, der mit der BVG-Revision im BVG-Obligatorium von 6,8 % auf 6,0 % gesenkt werden soll. Beträgt das obligatorische Alterskapital 100'000 CHF, dann würden neu 6'000 CHF statt wie bisher 6'800 CHF pro Jahr an Rente ausbezahlt.

Auswirkung Schweiz

Wenn der BVG-Mindestumwandlungssatz gesenkt wird, sinken die Renten nur bei denjenigen Versicherten, die lediglich gemäss BVG-Minimum versichert sind. Konkret sind dies etwa 14 % aller Versicherten. Alle anderen Versicherten, also rund 86 %, sind von der vorgesehenen Senkung des Umwandlungssatzes nicht betroffen. Sie haben schon heute einen tieferen Umwandlungssatz (Median liegt bei 5,3 %).

  Anzahl aktiv Versicherte
Total Schweiz (2022) 4'619’879
Von BVG-Revision betroffen
(BVG-Minimalpläne)
14 %

2. Glättung der BVG-Altersgutschriften

Ausgangslage: Die Altersgutschrift ist der Betrag, der – neben den Zinsgutschriften – dem Altersguthaben einer versicherten Person gutgeschrieben wird. Die Ansätze werden in Prozent des koordinierten Jahreslohnes festgesetzt und hängen vom Alter der versicherten Person ab; der Arbeitgeber muss mindestens die Hälfte der Altersgutschriften finanzieren.

Die BVG-Reform sieht eine Glättung der Altersgutschriften vor, womit vor allem die Anstellung und Weiterbeschäftigung von über 55-Jährigen für den Arbeitgeber attraktiver werden soll:

Aktuell (BVG-Obligatorium)

Alter Ansatz
25 - 34 7%
35 - 44 10%
45 - 54 15%
55 - 65 18%

BVG-Reform

Alter Ansatz
25 - 44 9%
45 - 65 14%

Auswirkung Schweiz

In der Praxis besteht eine Vielzahl an Ausgestaltungen, wie die Altersgutschriften durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmenden entrichtet werden. Schlussendlich müssen mindestens die obigen Bestimmungen zum BVG-Obligatorium eingehalten sein. 

3. Senkung der BVG-Eintrittsschwelle

Ausgangslage: Damit eine Person obligatorisch über die berufliche Vorsorge versichert wird, muss sie heute bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mindestens 22'050 CHF erzielen. Diese Schwelle soll mit der BVG-Reform auf 19'845 CHF gesenkt werden, um die Aufnahme ins BVG für Teilzeit- und Mehrfachangestellte schneller zu ermöglichen.

Auswirkung Schweiz

Mit der vorliegenden BVG-Reform werden rund 70'000 Arbeitnehmende neu und 30'000 Mehrfachbeschäftige für zusätzliche Anstellungsverhältnisse obligatorisch versichert. Das kostet rund 100 Millionen CHF, die Verwaltungskosten belaufen sich dabei auf geschätzt 15 bis 25 Millionen CHF.

  Anzahl Versicherte AN/AG-Beiträge Verwaltungskosten (ohne Vermögensverwaltungskosten)
Total (2022) 4'619'879 63,0 Mrd. CHF 1,0 Mrd. CHF
(ca. 216  CHF pro Person und Jahr)
Von BVG-Revision betroffen ca. 100'000
(1,5%)
ca. 100 Mio. CHF
(0,2%)
ca. 15 – 25 Mio. CHF (1,5% – 2,5%)
(ca. 150 CHF bis 250 CHF pro Person und Jahr)

4. Reduktion BVG-Koordinationsabzug

Ausgangslage: Um die Altersvorsorge zu sichern, setzt die Schweiz auf das bewährte Dreisäulensystem. Dabei sollte ursprünglich die zweite Säule (Berufliche Vorsorge, BVG) zusammen mit der ersten Säule (AHV) den gewohnten Lebensstandard ermöglichen. Um die zwei Säulen zu koordinieren, werden in der zweiten Säule mit dem Abzug des Koordinationsabzuges von aktuell fix 25'725 CHF vom AHV-Lohn (bis zur BVG-Lohnobergrenze von 88'200 CHF) nur Lohnanteile versichert, die nicht schon in der AHV versichert sind.

Mit der BVG-Reform wird dieser Koordinationsabzug gesenkt und soll neu 20 % des AHV-Lohnes betragen. Ziel soll sein, dass immer 80 % des jeweiligen Lohnes versichert sind (bis zur BVG-Lohnobergrenze von 88'200 CHF). Das würde insbesondere die Situation von Teilzeitangestellten verbessern, weil im obligatorischen Bereich nicht mehr der fixe Koordinationsabzug abgezogen werden würde. Das versicherte Einkommen in der beruflichen Vorsorge würde sich entsprechend erhöhen.

Auswirkung Schweiz

Erhebungen haben gezeigt, dass aktuell nur 12 % der Kassen den gesetzlichen Koordinationsabzug anwenden, wodurch lediglich 20 % der Versicherten betroffen sind. Die restlichen Pensionskassen nutzen schon heute ihren Gestaltungsfreiraum im Interesse Ihrer Destinatäre und nehmen entweder variable Abzüge in unterschiedlicher Ausgestaltung vor oder verzichten ganz auf den Koordinationsabzug.

  Anzahl Kassen Anzahl betroffene Versicherte
Total (2022) 1'353 4'619'879
Von BVG-Revision betroffen 162 (12%) 923'976 (20%)

5. Kompensationsmassnahmen / Rentenzuschläge und Finanzierung

Ausgangslage: Grundsätzlich wird die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes über die gesamte Beitragsdauer über die Reduktion des Koordinationsabzuges und die Anpassung der Altersgutschriften weitgehend kompensiert. Dies funktioniert allerdings nicht für die Erwerbstätigen, die in den nächsten Jahren pensioniert werden, denen deshalb Renteneinbussen drohen. Um die Renteneinbussen zu mindern, sind deshalb für diese «Übergangsgeneration» von 15 Jahrgängen Kompensationsmassnahmen in Form von Rentenzuschläge vorgesehen:

  • Jahrgänge 1961–1965: maximal 200 CHF pro Monat (2400 CHF pro Jahr)
  • Jahrgänge 1966–1970: maximal 150 CHF pro Monat (1800 CHF pro Jahr)
  • Jahrgänge 1971–1975: maximal 100 CHF pro Monat (1200 CHF pro Jahr)

Dabei sind die Zuschläge abhängig vom Altersguthaben:

  • ≤ 220'500 CHF = voller (maximaler) Zuschlag
  • > 441'000 CHF = kein Zuschlag
  • Bei einem Vorsorgeguthaben, das zwischen diesen beiden Grenzwerten liegt, besteht Anspruch auf einen reduzierten Rentenzuschlag.

Weitere Anspruchsvoraussetzungen für einen Rentenzuschlag:

  • Bei vorzeitiger Pensionierung erst ab Alter 62
  • Bezug von mindestens 50 % des Altersguthabens als Rente
  • Insgesamt mindestens 15 Jahre in der 2. Säule versichert
  • Unmittelbar vor Bezug der Rente aus der 2. Säule mindestens während zehn aufeinanderfolgenden Jahren in der AHV versichert 

Beispiel: Eine versicherte Person fällt in die Übergangsgeneration der Neurentnerjahrgänge 6–10 (Jahrgänge 1966 - 1970) und hat ein Guthaben bei Pensionierung von 200'000 CHF und erfüllt auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen. So bekommt sie einen Zuschlag von 150 CHF, und zwar unabhängig davon, ob die Altersrente der eigenen Pensionskasse sinkt oder nicht (sogenanntes Anrechnungsprinzip).

Auswirkung Schweiz

Vom Bundesamt für Sozialversicherungen BSV (BSV) wird erwartet, dass rund 25 % der Versicherten in der Übergangsgeneration einen vollen und weitere 25 % einen reduzierten Rentenzuschlag erhalten. Rund 50 % der Versicherten haben ein Altersguthaben von über 441'000 CHF oder erfüllen die weiteren Anspruchsvoraussetzungen nicht, weshalb sie keinen Rentenzuschlag erhalten. Die Rentenzuschläge für die 15 Übergangsgenerationen summieren sich schweizweit kapitalisiert auf ca. 11,3 Mrd. CHF.

 

Die Finanzierung der Rentenzuschläge

Die Rentenzuschläge von kapitalisiert ca. 11,3 Mrd. CHF sollen von allen Pensionskassen und Personen bezahlt werden, ungeachtet, ob sie Geld erhalten oder nicht. Finanziert werden sollen sie durch einen lohnabhängigen Beitrag bis zu maximal 339 CHF pro Person und Jahr. Erhebt die Vorsorgeeinrichtung einen neuen Beitrag dafür, muss der Arbeitgeber mindestens die Hälfte davon leisten.

In der Schweiz sind per Mitte 2023 rund 5,3 Mio. Personen erwerbstätig und davon rund 4,6 Mio. Personen in der beruflichen Vorsorge versichert.

Die Altersstruktur der Erwerbstätigen sieht dabei wie folgt aus:

Über 8 % der Erwerbstätigen sind zwischen 15 und 25 Jahre alt, 58 % befinden sich im Alter zwischen 25 und 50 Jahren und knapp 32 % sind in der „Übergangsgeneration“ im Alter zwischen 50 und 65 Jahren. Die gesamten Rentenzuschläge von kapitalisiert ca. 11,3 Mrd. CHF werden somit zur Hauptsache von den jüngeren 2,6 Mio. Erwerbstätigen (= 58 %) im Alter zwischen 25 bis 50 Jahren finanziert, während die über 50-jährigen Erwerbstätigen (32 %) nur bis zur Pensionierung die Finanzierung der Rentenzuschläge stemmen müssen.

Wie oben erwähnt geht das BSV dabei davon aus, dass von diesen 32 % der Versicherten, die zur Übergangsgeneration gehören, lediglich die Hälfte, also 16 %, einen Anspruch auf einen vollen Rentenzuschlag haben. Dadurch finanzieren über zwei Drittel aller Erwerbstätigen einen Rentenzuschlag für eine Minderheit von 50- bis 65-Jährigen, bei der nur ein Bruchteil überhaupt von einer Rentenreduktion betroffen ist (siehe Kapitel 1. Senkung BVG-Mindestumwandlungssatz). Für die Mehrheit der Übergangsgeneration ist der Rentenzuschlag somit keine Kompensation für eine tiefere Rente, sondern eine Rentenerhöhung zulasten der jüngeren Generation.

Weil nicht vorgesehen ist, zu prüfen, ob die Rente auch tatsächlich sinkt, bekommen einige Versicherte höhere Renten (Musterfälle 2 und 4) und andere erhalten tiefere Renten (Musterfälle 1 und 3).

Angaben in CHF BVG alt BVG neu Beschrieb
AHV Lohn 80'000 80'000  
Vers. Lohn BVG 54'275 64'000 Reduktion Koordinationsabzug wirkt
Altersguthaben bei Reform 200'000 200'000 Alter 55 bei Reform
Altersguthaben bei Pension 65 323'000 315'000 keine Lohnentwicklung, 1% Zins
Altersrente BVG 21'964 18'900 höherer vers. Lohn, aber tiefere Beiträge
Zuschlag zur BVG-Rente   700 Schätzung, lineare Kürzung
BVG-Rente plus Zuschlag 21'964 19'600  
Differenz zu BVG alt - -2'364 trotz Zuschlag weniger Rente
      (-197 CHF pro Monat)
Angaben in CHF BVG alt BVG neu Beschrieb
AHV Lohn 50'000 50'000  
Vers. Lohn BVG 24'275 40'000 Reduktion Koordinationsabzug wirkt
Altersguthaben bei Reform 100'000 100'000 Alter 55 bei Reform
Altersguthaben bei Pension 65 156'000 169'000 keine Lohnentwicklung, 1% Zins
Altersrente BVG 10'608 10'140 höherer vers. Lohn, aber tiefere Beiträge
Zuschlag zur BVG-Rente   1'200 max. Zuschlag gem. Übergang
BVG-Rente plus Zuschlag 10'608 11'340 höher als vor der Reform
Differenz zu BVG alt - 732 mit Zuschlag mehr Rente
      (+61 CHF pro Monat)
Angaben in CHF Plan alt Plan neu Beschrieb
AHV Lohn 80'000 80'000  
Vers. Lohn BVG 54'275 64'000 Reduktion Koordinationsabzug wirkt
Altersguthaben reglementarisch 300'000 300'000 Alter 55 bei Reform
Altersguthaben gemäss BVG 200'000 200'000  
Altersguthaben bei Pension 65 465'000 465'000 keine Lohnentwicklung, 1% Zins
davon BVG Altersguthaben 323'000 315'000 höherer vers. Lohn, aber tiefere Beiträge
Umwandlungssatz Reglement 5.0% 5.0%  
Altersrente gemäss Reglement 23'250 23'250  
Altersrente BVG 21'964 18'900  
Zuschlag zur BVG-Rente - - kein Zuschlag, Altersguthaben zu hoch
BVG-Rente plus Zuschlag 21'964 18'900 BVG-Rente tiefer
Differenz zu Plan alt - - Rente nach Plan gleich hoch
Angaben in CHF Plan alt Plan neu Beschrieb
AHV Lohn 50'000 50'000  
Vers. Lohn BVG 24'275 40'000 Reduktion Koordinationsabzug wirkt
Altersguthaben reglementarisch 120'000 120'000 Alter 55 bei Reform
Altersguthaben gemäss BVG 100'000 100'000  
Altersguthaben bei Pension 65 218'000 218'000 keine Lohnentwicklung, 1% Zins
davon BVG Altersguthaben 156'000 169'000 höherer vers. Lohn wirkt
Umwandlungssatz Reglement 5.0% 5.0%  
Altersrente gemäss Reglement 10'900 10'900  
Altersrente BVG 10'608 10'140  
Zuschlag zur BVG-Rente - 1'200 Anspruch auf max. Zuschlag (Plan gleich)
Plan-Rente plus Zuschlag 10'900 12'100 BVG-Rente spielt keine Rolle
Differenz zu Plan alt - 1'200 Rente nach Plan gleich hoch
      Trotzdem gibt es einen Zuschlag

Fragwürdige Anreize

Das Ziel unserer zweiten Säule besteht darin, im Kapitaldeckungsverfahren individuell möglichst viel Kapital anzusparen und möglichst hohe Zinsgutschriften zu erhalten. Indem nun mit der vorliegenden BVG-Reform die in Aussicht gestellten Rentenzuschläge an das vorhandene Sparkapital geknüpft werden, entstehen Fehlanreize, die dem Grundgedanken des BVG widersprechen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Mit der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes von 6,8% auf 6,0% wird die Umverteilung zulasten jüngerer Generationen reduziert, jedoch „nur" um 400 Mio. CHF pro Jahr. Dieser Einsparung stehen Kosten für die Rentenzuschlägen von 11,3 Mrd. CHF gegenüber, wodurch die Amortisationszeit der BVG-Revision für die junge Generation 28 Jahre beträgt. Die Rentenzuschläge werden zudem vorwiegend durch die jüngere Generation finanziert und kommen vielen Erwerbstätigen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren als „Kompensation“ zu, die gar nicht von einer tieferen Rente betroffen sind.

Die Anbindung der Rentenzuschläge an die Höhe des vorhandenen Alterskapitals führt zu Fehlanreizen beim Sparen. Liegt das Alterskapital heute nahe an der Schwelle von 441'000 CHF, so wird sich eine Person nicht zusätzlich in die Pensionskasse einkaufen und keinen freiwilligen, höheren Sparplan wählen, da sie bei Überschreitung der Schwelle keinen Rentenzuschlag mehr erhält. Der Anreiz des individuellen Sparens verliert an Attraktivität.

Die Finanzierung der Rentenzuschläge hat teilweise durch die Pensionskassen selbst zu erfolgen und teilweise über den Sicherheitsfonds. Damit der Sicherheitsfonds diese Zuschläge finanzieren kann, müssen entweder neue Lohnbeiträge bei allen Versicherten erhoben werden (siehe Kapitel Finanzierung Rentenzuschläge) und/oder die Pensionskassen sind im Stande, die Finanzierung (teilweise) über die eigenen Vermögenserträge zu stemmen. Egal wie sie am Ende finanziert werden, es wird dazu führen, dass Pensionskassen, welche ihre Leistungen der neuen Realität angepasst haben (höhere Lebenserwartung, tiefere erwartete Rendite) andere Pensionskassen querfinanzieren müssen, welche noch immer BVG-Minimalleistungen gewähren. 

Es gibt viele offene Fragen zur konkreten Umsetzung der Kompensation im Reformvorschlag. So gibt es aktuell wenig Klarheit über die folgenden Punkte, welche alle auf Verordnungsebene gelöst werden sollen: 

  • Wer ist für einen Rentenzuschlag berechtigt? 
    • Wie soll der Nachweis der Versicherungsjahre in der beruflichen Vorsorge erfolgen?
    • Wie werden mehrere Vorsorgeverhältnisse geregelt, auch gesplittete Kassen (Obligatorium und Überobligatorium in je einer eigenen Kasse)?
    • Wie kann sichergestellt werden, dass eine Anrechnung von Freizügigkeitsleistungen bei anderen Freizügigkeitseinrichtungen möglich ist?
    • Wie werden Reduktionen und Erhöhungen des Altersguthabens vor Altersrücktritt (Einkäufe, Scheidung, Freizügigkeitsguthaben, Rentenvorbezug, Aufschub, Teilpensionierung, Teilinvalidität) berücksichtigt?
  • Wie errechnet sich die Höhe des Zuschlags und wie erfolgt die Abwicklung und Finanzierung?
    • Wie genau sieht die degressive Skala des Rentenzuschlags bis 441'000 CHF (5-facher BVG-Grenzbetrag) aus?
    • Welche Kürzungssätze bei Vorbezug ab Alter 62 kommen zur Anwendung?
    • Wie wird der Zuschlag für Invalidenrentenbezüge berechnet?
    • Wie erfolgt die Koordination der Finanzierung bei Versicherung in mehreren Pensionskassen (Basis- und Kaderpläne)?
    • Wie wird die Abrechnung der Zusatzkosten/Lohnbeitragsprozente zur Finanzierung der Rentenzuschüsse über den Sicherheitsfonds (teilzentralisierte Finanzierung) umgesetzt?

Diese offenen Fragen führen einerseits zu Unsicherheiten, wodurch die Skepsis gegenüber dem System zunimmt. Andererseits ist damit zu rechnen, dass die konkrete Umsetzung obiger Punkte die Komplexität in der beruflichen Vorsorge weiter erhöht. 

Schlussfolgerung und Alternativen

Die vorliegende BVG-Reform adressiert einige wichtige Kernelemente. So wird mit der Senkung des Umwandlungssatzes die unerwünschte Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Rentenbeziehenden reduziert, der BVG-Sparprozess gestärkt oder die Vorsorgesituation im Tieflohn- und Teilzeitsegment verbessert. Profitieren von dieser Reform werden aber auch jene, die nicht direkt von der BVG-Reform betroffen sind, trotzdem aber einen Rentenzuschlag erhalten werden. Es darf durchaus hinterfragt werden, ob der Preis dafür – eine neue, systemfremde Umverteilung zulasten jüngerer Generationen, Fehlanreize für das selbstständige Vorsorgesparen, eine weitere Erhöhung der Komplexität in der beruflichen Vorsorge und die Querfinanzierung zwischen Pensionskassen – gerechtfertigt ist. Dies insbesondere, weil die überwiegende Mehrheit aller Pensionskassen die Reformschritte bereits umgesetzt hat. 

In Anbetracht des politischen Ringens um die BVG-Reform drängt sich berechtigterweise die Frage nach Alternativen auf. Lassen sich solche auf dem politischen Parkett heutzutage noch durchsetzen? Oder ist es nicht verheissungsvoller, die Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge entpolitisiert anzugehen und die Unternehmen selbst in die Verantwortung zu nehmen?

Die überwiegende Mehrheit der Vorsorgeeinrichtungen setzt in der beruflichen Vorsorge schon heute Massnahmen um, die über die gesetzlichen Mindestvorschriften hinausgehen. Und gerade im Zuge der heutigen, omnipräsenten Diskussion um Nachhaltigkeit sind der Umgang mit der steigenden Lebenserwartung und die Auseinandersetzung mit einem fairen Generationenmodell Themen, mit denen sich ein Unternehmen in Zeiten von Fachkräftemangel profilieren und von der Konkurrenz abheben kann. Die Voraussetzung dafür ist eine transparente, ehrliche und faktenbasierte Aufklärung und Sensibilisierung über die berufliche Vorsorge.

 

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Marco Tiefenthal

Assurance Director, Berufliche Vorsorge & Asset Management, PwC Switzerland

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Mia Mendez

Geschäftsführerin der Pensionskassen Mitarbeitende und Partner, Mitglied im Vorstand ASIP, PwC Switzerland

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