Die Versicherungsbranche steht zunehmend vor der Herausforderung, ihre Kernsysteme zu transformieren, um Anforderungen wie steigende Kundenerwartungen an personalisierte Dienstleistungen, nahtlose Interaktion mit internen und externen Dienstleistern und die zunehmende Digitalisierung von Geschäftsmodellen gerecht zu werden. Wir haben 41 Versicherer aus dem DACH-Raum befragt, um Fortschritte und Ziele ihrer Kernsystemstrategie zu analysieren.
Diese Studie umfasst den DACH-Raum, ohne auf spezifische Merkmale einzelner Länder einzugehen. Es ist daher festzuhalten, dass Schweizer Versicherer im Vergleich zu Deutschland und Österreich spezielle Bedürfnisse haben. Die Schweizer Versicherungslandschaft ist durch streng regulierte Produkte wie die berufliche Vorsorge, Unfall- und Krankenzusatzversicherungen gekennzeichnet. Aufgrund der geografischen Lage der Schweiz und ihrer Rolle als internationaler Finanzplatz bestehen zudem spezifische Anforderungen an Sicherheit und Datenintegrität von Versicherungssystemen.
Schweizer Versicherer müssen den strengen Vorgaben der Aufsichtsbehörden entsprechen und sicherstellen, dass ihre Kernsysteme robust und den örtlichen Anforderungen entsprechend geschützt sind. Standardisierte Versicherungssoftware erfüllt diese Bedürfnisse oft nicht vollumfänglich, was die Einführung oder Modernisierung eines Kernsystems erschwert.
Ein modernes Kernsystems ist für Schweizer Versicherer entscheidend, um Profitabilität und Effizienz zu steigern. Durch Prozessoptimierung, Echtzeitdatennutzung und verbesserten Kundenservice können Versicherer ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, Kosten senken und neue Geschäftsmöglichkeiten erschliessen.
Verglichen mit Deutschland und Österreich, sind Schweizer Versicherer, aufgrund stark regulierter Produkte wie der beruflichen Vorsorge im Leben- und der Unfall- sowie Krankenzusatzversicherung im Sach-Bereich, mit höheren Komplexitätsanforderungen an das Kernsystem konfrontiert.
Jörg Thews,Partner, Swiss Insurance Leader, PwC SchweizUnsere Studie hat gezeigt, dass sich die teilnehmenden Versicherungsunternehmen gemäß ihrer Transformationsstrategien fünf Typen zuordnen lässt: Neusystem-Nutzer (5 %), Legacy-Nutzer (20 %), Modernisierer (22 %), Austauscher (24 %) und Mischstrategen (29 %).
Bei den Legacy-Nutzern handelt es sich überwiegend um kleine Unternehmen, die auf langjährig bestehende IT-Systeme setzen. Modernisierer zeichnen sich durch eine risikoarme sowie inkrementelle Weiterentwicklung ihrer Systeme aus und bestehen neben kleineren Organisationen auch aus mittelgroßen Unternehmen. Die Austauscher findet man hingegen in allen Größenklassen. Sie streben vor allem den Betrieb von Standardsystemen an. Einen überdurchschnittlichen Anteil von mittelgroßen und großen Unternehmen findet man in der Gruppe der Mischstrategen. Viele von ihnen minimieren Umsetzungsrisiken, indem sie Legacy-Systeme weiterbetreiben. Bei den Neusystem-Nutzern handelt es sich wiederum um kleine bis mittlere Unternehmen, die oft einen hohen Individualisierungsgrad bei ihren Systemen aufweisen.
Eine wichtige Erkenntnis unserer Untersuchung ist, dass die enge Zusammenarbeit zwischen IT und den Geschäftsbereichen eine Grundvoraussetzung ist, um Kernsysteme erfolgreich zu transformieren. Denn viele der über Jahre gewachsenen Bestandssysteme weisen inzwischen einen fortgeschrittenen Individualisierungsgrad und damit auch eine gesteigerte Komplexität auf. Die Migration solcher Systeme ist herausfordernd und kann bei Problemen die Effizienz der gesamten Organisation beeinträchtigen. Aus diesem Grund sind beide Perspektiven für den Wandel essenziell – sowohl Business als auch IT.
Cloud- und Hybrid-Cloud-Modelle sind das bevorzugte Betriebsmodell bei Neusystem-Nutzern, Mischstrategen und Austauschern. Zu den wichtigsten Kriterien bei der Auswahl der Kernsysteme zählen Informationssicherheit, Datenschutz, Funktionsumfang und Prozessbearbeitungszeiten. Auch daran zeigt sich, dass IT- und Geschäftsanforderungen gut aufeinander abgestimmt sein müssen.
Als größte Herausforderung nannten die meisten Unternehmen das fehlende Automatisierungspotenzial. Daraus leitet sich wiederum das wichtigste Ziel für die Transformation vieler Kernsysteme ab: den Automatisierungsgrad zu erhöhen. 84 % gaben entsprechende Prioritäten in der Umfrage an. Den Integrationsgrad zu erhöhen, ist für viele dabei aber genauso wichtig – gefolgt von dem Ziel, die Kunden- und Partnerorientierung zu erhöhen.
Die durchschnittliche IT-Kostenquote der Studienteilnehmer beträgt 2,74 %. Dabei gibt es sowohl nach oben als auch nach unten deutliche Abweichungen. Die laufenden Betriebskosten der IT (Run-Kosten) betragen im Schnitt 1,62 %. Abgesehen von den Modernisierern (1,47%) liegt der Schnitt der anderen Gruppen zwischen 0,90% und 1,07%. Die Change-Kosten, also Investitionen in die digitale Transformation, belaufen sich auf durchschnittlich 1,12 %. Während die Legacy-Nutzer mit durchschnittlich 2,34 % die geringste IT-Kostenquote aller fünf Gruppen haben, ist die Quote bei den Modernisierern mit 3,21 % am höchsten. In Zeiten steigender Beitragseinnahmen bleibt der Run-Anteil der IT-Kostenquote tendenziell konstant, die Erwartungen steigender und sinkender Run-Kosten gleichen sich aus. Bei einem signifikanten Anteil der befragten Unternehmen wird von gleichbleibender Change-Anteil ausgegangen. Über die Hälfte der befragten Unternehmen geht jedoch von einem steigenden Change Budget aus.
Fast ein Drittel (29 %) der Versicherungsunternehmen beschäftigen weniger als 50 IT-Mitarbeitende. Mehr als die Hälfte (55 %) beschäftigen bis zu 200 IT-Fachkräfte. Die Zahlen deuten darauf hin, dass bisher auch noch kleinere Teams die meisten IT-Herausforderungen in den Versicherungen bewältigen konnten. Das Durchschnittsalter der IT-Belegschaft liegt über alle Gruppen hinweg bei etwa 45 Jahren. Ein Hinweis darauf, dass die Unternehmen ihre Nachwuchsarbeit in dem Bereich im Blick behalten müssen, um langfristige Personalengpässe zu vermeiden und die Innovationskraft aufrechtzuerhalten.
85 % der Studienteilnehmer arbeiten ausschließlich intern mit lokalen IT-Mitarbeitenden – Dienstleister werden in der Regel nur eingesetzt, um Engpässe zu überbrücken. Gerade bei kleinen Versicherungsunternehmen ist der Anteil externer Kräfte mit 6 % gering. Mit steigenden Prämieneinnahmen kann dieser Anteil aber bis auf 25 % wachsen.
Standardisierte Versicherungssoftware sind häufig nicht auf die landesspezifischen Produkte der Schweiz ausgerichtet. Die technischen, fachlichen und regulatorischen Herausforderungen übertreffen oft die internen Kapazitäten der Versicherer.
Jörg Thews,Partner, Swiss Insurance Leader, PwC SchweizZiel der Studie ist es, einen tiefen Einblick in die aktuelle Landschaft und die Transformationspläne für Versicherungskernsysteme zu geben und dabei insbesondere ihre Bedeutung für die Gesamtorganisation zu beleuchten. Dafür haben wir 41 Erstversicherungsunternehmen aus der Sach- und/oder Lebensversicherung zur Transformation ihrer Kernsysteme befragt. Insgesamt 30 der Unternehmen haben ihren Sitz in Deutschland, 5 kommen aus der Schweiz und 6 aus Österreich. Zusammen decken sie etwa 40 % der Prämieneinnahmen in der DACH-Region ab. Innerhalb der Versicherungsunternehmen wurden Führungskräfte aus IT, Operations und Strategie interviewt. Die Datenerhebung fand in Form von strukturierten Interviews und Fragebögen statt.
Lesen Sie auch das Interview mit HZ Insurance, in welchem Jörg Thews, Swiss Insurance Leader bei PwC Schweiz aufzeigt, warum für die Versicherer an der Transformation ihrer IT-Kernsysteme kein Weg vorbeiführt.
Marc Lahmann