Zum vierten Mal trafen sich am 29. Mai 2024 Führungsfrauen aus verschiedenen Branchen des Schweizer Gesundheitswesens zum «Female Leaders in Health and Pharma» Netzwerktreffen. Im Mittelpunkt stand das Thema «Hospital@Home». Auf dem Podium begrüssten wir Brigitte Bieri von der Sanitas Krankenversicherung, Kati Krühn von Roche Diagnostics Schweiz und Dr. Tatjana Meyer-Heim vom Stadtspital Zürich.
An Interesse und Begeisterung für Hospital@Home mangelt es offensichtlich nicht. So gab das Thema den Netzwerkteilnehmerinnen einiges an Diskussionsstoff auf. Allein die Definition stellt sie vor eine grössere Herausforderung. Denn eine offizielle, allgemeingültige Definition gibt es nicht. Je nach Begriffsverständnis ändern sich die Impulse und Ideen. Darum legten wir der Veranstaltung die folgende Auslegung zugrunde:
Hospital@Home stellt den gleichwertigen Ersatz für einen stationären Aufenthalt im Spital dar. Demnach muss eine Spitalbedürftigkeit gegeben sein. Zudem dürfen sich die medizinische Behandlung und deren Qualität nicht von der im Spital erbrachten Leistung unterscheiden. An eine Hospital@Home-Behandlung bestehen die gleichen Anforderungen wie an einen Spitalaufenthalt, Behandlungsdauer inklusive. Sie darf nicht länger dauern als ein äquivalenter Spitalaufenthalt. Damit kann sie das Kriterium der Spitalbedürftigkeit erfüllen und sich von nachgelagerten Leistungen wie einer Spitex-Versorgung abgrenzen.
Die Vorteile von Hospital@Home sind vielfältig:
Die Netzwerkteilnehmerinnen fügten dieser Liste einen weiteren wesentlichen Vorteil hinzu: Behandelnde und Patient:innen profitieren dank anderem Setting von einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Die Machtverhältnisse der Spitalstruktur werden aufgehoben, denn die Patient:innen werden aktiv und kollaborativ in die Behandlung einbezogen und automatisch zum Mitwirken befähigt.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist die richtige und sorgfältige Auswahl geeigneter Patient:innen. Dazu müssen die Verantwortlichen eine genaue Triage der spitalbedürftigen Patient:innen vornehmen. Die Panelteilnehmerinnen nannten die folgenden Disziplinen interessante Leistungsbereiche mit Potenzial: Geriatrie, Pädiatrie, Onkologie, allgemeine internistische Felder und Psychiatrie. Chirurgische Disziplinen sahen sie als weniger geeignet. Neben der Erkrankung seien weitere Faktoren wie die familiäre Situation und die Wünsche der Patient:innen zu berücksichtigen.
In der Schweiz hat sich Hospital@Home noch nicht als gängige Praxis etabliert. Allerdings gibt es erste Pilotprojekte, die Krankenversicherungen und/oder Kantone gemeinsam durchführen. Brigitte Bieri von der Sanitas berichtet von einem eindrücklichen Testlauf mit dem Spital Zollikerberg. Sie betonte, dass das Interesse für eine gemeinsame Lösungsfindung gegeben sei, auch in Bezug auf die Vergütung solcher Vorhaben. Allerdings müssten die Beteiligten die Vergütungsstruktur vorab gemeinsam festlegen.
Dr. Tatjana Meyer-Heim konstatierte, dass die Medtech-Branche sehr weit sei und eine medizinische Remoteüberwachung durchaus funktioniere – auch für ältere Menschen. Das Monitoring erfolge benutzerfreundlich und stelle keinen Störfaktor dar. Im Gegenteil: Die Compliance der Patient:innen würde sich im Pilot am Zollikerberg als sehr gut erweisen. Kati Krühn von Roche Diagnostics Schweiz sprach ebenfalls das Monitoring an. Sie erachtete dieses als einen Erfolgsfaktor für die Weiterentwicklung und Implementierung von Hospital@Home. Gleichzeitig gebe es grosses Potenzial für die Anwendung von Wearables bei Hospital@Home-Leistungen. Das bedeutet, dass die Spitäler in Remote Monitoring und Data Sharing investieren und die anstehenden Herausforderungen adressieren müssen.
Hospital@Home verändert die Berufsbilder des medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Personals. Denkbar sind Lösungen mit komplett mobilen Einheiten, die aus dem Spital herausgelöst werden, oder eine Aufteilung des Aufgabenspektrums in den spitalbezogenen und in den häuslichen Bereich. Diese Optionen entwickeln die Aufgaben des Personals weiter, flexibilisieren Arbeitszeiten und -ort. Gerade angesichts des akuten Fachkräftemangels könnte sich das positiv auswirken und die Berufe sowohl vielfältiger als auch interessanter gestalten. Gleichzeitig darf man die Hemmung der Behandelnden nicht ausser Acht lassen, in die häusliche Umgebung von Patient:innen einzudringen und hier eine neue Form von Verantwortung zu übernehmen.
In einem Punkt waren sich die Netzwerk-Führungsfrauen einig: Hospital@Home ist nicht als Ersatz für das Spital gedacht, sondern bietet eine wertvolle Alternative zum stationären Aufenthalt. Für das Schweizer Gesundheitswesen birgt es zahlreiche Chancen und die Akteure zeigen sich interessiert. Technisch ist vieles bereits machbar, was spannende Perspektiven eröffnet. Ein Zusammenkommen aller Gesundheitsakteure ist zielführend, insbesondere, um tarifliche Fragen zu klären und das Hospital@Home-Modell erfolgreich zu etablieren. Damit das gelingt, sind politische Rahmenbedingungen und eine digitalisierte Infrastruktur erforderlich.
Das Modell kann etablierte Strukturen aufbrechen und neue Herangehensweisen begünstigen. Es fördert eine neue Denkweise und Innovationskultur, die auf eine integrierte Versorgung und das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen abzielen. Hospital@Home verändert letztlich die Berufsbilder. Das ermöglicht es den Verantwortlichen, den Fachkräftemangel zu adressieren und langfristig zu einer Entlastung des Gesundheitssystems beizutragen.
Spitäler übermorgen – so entwickelt sich das Gesundheitswesen
Philip Sommer