Bestimmende Trends für die Agenda der Schweizer Pharmaunternehmen

04 Dez 2018

Die Pharmaindustrie zählt zu den wichtigsten Motoren der Schweizer Wirtschaft. Wir liefern eine Momentaufnahme der wichtigsten Industrietrends. Dazu zählen unter anderem die Digitalisierung, die gesundheitliche Eigenverantwortung und die Präzisionsmedizin. Sind in der Schweiz tätige Unternehmen bereit, das Potenzial dieser Trends auszuschöpfen?

2017 war die schweizerische Pharmaindustrie für 38 % aller Exporte der Schweiz verantwortlich (Volumen gegenüber 32% im Jahr 2016), und im Lauf des vergangenen Jahrzehnts ist sie kontinuierlich schneller gewachsen als die Gesamtwirtschaft (zwischen 2006 und 2016 um 7,2 % laut Interpharma, 2018). Die Zahl der Mitarbeitenden ist in den letzten beiden Jahrzehnten vier Mal stärker gewachsen als im volkswirtschaftlichen Mittel und 2016 auf 45’500 gestiegen. Dabei sind diese Mitarbeitenden gemäss Interpharma im Durchschnitt mehr als vier Mal produktiver als die Arbeitnehmer in der Gesamtwirtschaft. Doch ist die Schweizer Pharmabranche auf das vorbereitet, was sie im kommenden Jahrzehnt erwartet? Wie lauten die wichtigsten Trends, welche die Zukunft der Schweizer Pharmaindustrie prägen werden? Wir haben sechs eng miteinander verknüpfte Trends lokalisiert, die jedes Pharmaunternehmen in der Schweiz auf der Agenda haben sollte.

Übergreifende Trends: demografischer Wandel und Digitalisierung

Unter all den hervorstechenden «Megatrends», die den Gesundheitssektor auf allen Ebenen beeinflussen, werden unserer Einschätzung nach der demografische Wandel und die Digitalisierung die grössten Auswirkungen auf die Pharmaindustrie haben. Unter demografischem Wandel verstehen wir eine alternde Bevölkerung, was zu Multimorbidität und höherer Prävalenz chronischer, nicht übertragbarer Erkrankungen führt, die letztlich den Bedarf an medizinischem Personal und verfügbaren Therapien erhöhen werden. Und dies wird die Kosten des Gesundheitssystems weiter in die Höhe treiben. Neue Pflegemodelle und -technologien wie Telemedizin oder umgebungsunterstütztes Wohnen werden eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung dieser Kosten spielen.

Der zunehmende Einsatz digitaler Technologien durch die Branche und die Bevölkerung insgesamt werden signifikante Auswirkungen auf die biomedizinische Forschung und das gesamte Gesundheitssystem haben. Von künstlicher Intelligenz in der Medikamentenforschung bis hin zu evidenzbasierten Analysen mit Hilfe medizinischer Daten (sobald diese zwischen den Spitälern interoperabel strukturiert worden sind) revolutioniert die Digitalisierung derzeit die Art und Weise, wie Gesundheitsdienste erbracht werden, da die Akteure im Gesundheitswesen in die Lage versetzt werden, effektiver zu agieren. So werden beispielsweise Patientendossiers künftig wohl allen vernetzten Gesundheitsdienstleistern weltweit zur Verfügung stehen. Zudem werden sie von Pharmaunternehmen genutzt, um klinische Versuche effizienter durchzuführen, indem der richtige Patient für die richtige Studie zur rechten Zeit ermittelt wird. Auch wenn jüngere Bevölkerungsgruppen weniger besorgt zu sein scheinen, wie ihre personenbezogenen Daten genutzt werden, wird die Anwendung ausreichender Datenschutzmassnahmen weiterhin entscheidend sein, wenn ein solides Fundament für die Ausschöpfung des enormen Potenzials gelegt werden soll, das das digitale Gesundheitswesen bietet. Wer besser verstehen will, was die Pharmaunternehmen für eine erfolgreiche digitale Transformation berücksichtigen müssen, dem sei die Lektüre unserer jüngsten Publikation, «Going Digital in the Health Industries», empfohlen.

Wichtiger technologischer Trend: Präzisionsmedizin

Beschleunigt durch die Revolution in der Genomforschung und gestützt auf jüngste Entwicklungen in der Biomedizin und Bioinformatik verspricht die Präzisionsmedizin, die Ergebnisse der Behandlung einzelner Patienten radikal zu verbessern. Ein fundiertes Verständnis des Gesundheitsstatus des jeweiligen Patienten und die Integration der Patientendaten, die von der Profilierung auf molekularer Ebene bis hin zu den Daten zur täglichen Lebensweise eines Patienten reichen, bilden die Basis für eine prädiktive, präventive, personalisierte und partizipative Patientenversorgung. Die Erwartungen bezüglich dieses noch jungen Verständnisses der individuellen Krankheitstypen führt zu Kostensenkungen durch bessere Präventionsoptionen oder sogar durch Kuren anstelle von Behandlungen. Andere Meinungen besagen dagegen, dass individualisierte Behandlungen letztlich die Gesamtkosten des Gesundheitswesens erhöhen werden. Laut einer unlängst von PwC Strategy& veröffentlichten Studie, in deren Rahmen 100 Pharmamanager befragt wurden, wird erwartet, dass die Präzisionsmedizin zu klinischen Studien mit kleineren Patientengruppen führen wird. Dabei werden bessere Ergebnisse durch klinische Versuche erzielt, sodass die Time-to-Market für innovative Medikamente verkürzt werden kann.

Wichtiger politischer Trend: steigende Gesundheitskosten

Die Kosten des Gesundheitswesens stiegen in der Schweiz zwischen 2011 und 2015 von 10,8% auf 12,1% des BIP und werden sich voraussichtlich weiter erhöhen. Hauptgründe für die steigenden Kosten sind die Zunahme chronischer Krankheiten, Multimorbidität und Fehlanreize im Gesundheitssystem. Neue technologische Errungenschaften (z.B. Remote Care) und Kooperationsmodelle haben das Potenzial, den Kostenanstieg abzufedern. Doch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen kann auch als logische Folge eines gut funktionierenden und qualitätsvollen Gesundheitssystems gedeutet werden, das signifikante individuelle und volkswirtschaftliche Vorteile bietet. Die daraus innerhalb der Gesellschaft erwachsende Kosten-Nutzen-Diskussion versucht in zunehmendem Masse die Frage zu beantworten, ob die Schweizer Bevölkerung eine Obergrenze für die Kosten des Gesundheitswesens in Betracht ziehen würde oder ob das Gesundheitswesen eine hohe «finanzielle Priorität» für die Gesellschaft als Ganzes bleiben wird.

Wichtiger wirtschaftlicher Trend: sich wandelnde Geschäftsmodelle

Neue Technologien und Kostendruck zwingen Organisationen, neue Formen der Partnerschaft innerhalb des Gesundheitssektors anzustreben und den Integrationsgrad ihrer Wertschöpfungskette zu überdenken. Seit mehreren Jahren hält der Trend zu einer geringeren vertikalen Integration in der Pharmaindustrie an. So konzentrieren Pharmaunternehmen ihre Anstrengungen zunehmend auf die Vermarktung von Medikamenten. Dabei werden die von einem anderen Unternehmen entwickelten Produkte signifikant wichtiger als der Verkauf der intern entwickelten Produkte: Das Umsatzwachstum war im Zeitraum 2005 bis 2014 bei zugelieferten Produkten signifikant höher als bei intern entwickelten Produkten, wie eine Datamonitor-Studie belegt. Zudem reduzieren die Pharmaunternehmen ihre Fertigungskapazitäten, indem sie Produktionsstätten an eine wachsende Zahl von Lohnherstellern («CMOs») verkaufen. Wie eine kürzlich von PwC Schweiz durchgeführte Umfrage zeigt, erwarten die CEOs der Schweizer Spitäler weiter unten in der Wertschöpfungskette, d.h. auf der Ebene der Gesundheitsdienstleiter, dass in den kommenden Jahren verschiedene Geschäftsmodelle von Gesundheitsdienstleistern entwickelt werden, z.B. in Form des Ausbaus von Ambulanzspitälern.

Wichtiger soziokultureller Trend: Gesundheitliche Eigenverantwortung

Angesichts der hohen Akzeptanz gesundheitsbezogener Technologien hat die Digitalisierung dem Einzelnen die Mittel an die Hand gegeben, um sofort Zugang zu allgemeinen und persönlichen Gesundheitsinformationen zu erhalten. Dies führt zu einem intensiveren Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung, was wiederum steigende Erwartungen an die individuelle Versorgung befeuert. Künftige Patienten erwarten, dass sie an allen möglichen gesundheitsspezifischen Entscheiden beteiligt werden und eine massgeschneiderte Betreuung erhalten: Die Rolle des Patienten entwickelt sich rasant weiter vom reinen «Objekt» zu einem «Subjekt». Die Patienten nehmen immer stärker ihre eigene Gesundheit in die Hand. Zugleich bedeutet dieses «Konsumverhalten im Gesundheitswesen», dass der Unterschied zwischen Gesunden und Kranken verwischt wird. Zudem ist in der Bevölkerung ein gewisser «Gesundheitswahn» zu beobachten. In diesem Kontext ist auch unsere öffentliche Brainstorming-Session im Rahmen des Schweizer Digitaltags von Interesse, bei der es um die Wünsche der schweizerischen Bevölkerung mit Blick auf unser Gesundheitsvorsorgesystem geht.

All dies sind relevante Trends und Entwicklungen, welche die Zukunft der Schweizer Pharmaindustrie prägen.

Es gibt aber auch noch andere übergreifende Trends wie etwa die Globalisierung sowie neue Entwicklungen wie die Verschärfung der Datenschutzvorschriften, neue Erstattungsmodelle und Einwanderungsbeschränkungen, die es wert sind, unter die Lupe genommen zu werden. Wir planen, in den kommenden Monaten auf der Basis unserer Markteinschätzung weitere Themen zu besprechen, die auf der Agenda der Pharmaunternehmen in der Schweiz stehen. Zu diesen Themen zählen wertbasierte Preisgestaltung (Value-based Healthcare) und Einbindung von Patientengruppen durch grosse Pharmaunternehmen. Nehmen Sie weiter an diesen Themendiskussionen über diesen Kanal teil.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Pharmaindustrie zählt zu den wichtigsten Motoren der Schweizer Wirtschaft.
  • Wir besprechen sechs Trends, die sich besonders stark auf die Agenda der Pharmaunternehmen in der Schweiz auswirken.
  • Dazu zählen unter anderem die Digitalisierung, die gesundheitliche Eigenverantwortung und die Präzisionsmedizin.
  • Welche anderen Trends oder Entwicklungen haben Ihrer Meinung nach einen Einfluss auf die Zukunft der Schweizer Pharmaunternehmen?