Konzernverantwortungsinitiative versus Gegenvorschlag

Im Fokus stehen strengere Sorgfaltspflichten für international tätige Unternehmen sowie KMU in Risikosektoren, um dadurch negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt entlang der globalen Lieferkette zu beenden und zu verhindern. Die Konzernverantwortungsinitiative und der Gegenvorschlag bieten zwei verschiedene Wege zu diesem gemeinsamen Ziel. Die Stimmbürger werden im November entscheiden. Folgendes müssen Sie wissen, um sich auf beide Eventualitäten vorzubereiten.

Die Konzernverantwortungsinitiative (KVI), die 2015 von einer breiten Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen lanciert wurde, verlangt, dass international tätige Unternehmen sowie KMU in Risikosektoren ihre negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, verhindern und eingrenzen – kurz gesagt, dass sie eine «Due Diligence» durchführen. Die Einhaltung würde durch eine spezifische zivilrechtliche Haftung durchgesetzt, die für Schäden gilt, die von ihnen kontrollierte ausländische Unternehmen in ihrer Wertschöpfungskette verursachen.

Im Juni 2020 einigte sich das Parlament auf einen indirekten Gegenvorschlag. Grosse Schweizer Publikumsgesellschaften wären verpflichtet, einen nichtfinanziellen Bericht in Anlehnung an die aktuelle CSR-Richtlinie der EU (auch die «Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung» genannt) zu verfassen. Unternehmen, die mit Konfliktmineralien handeln oder Waren oder Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht auf Kinderarbeit besteht, müssten eine zusätzliche Due Diligence durchführen. Es gäbe keine neue zivilrechtliche Haftung, da Schäden im Zusammenhang mit Menschenrechtsverstössen in der Lieferkette des Schweizer Konzerns über die bestehenden zivilrechtlichen Haftungsbestimmungen abgewickelt würden.

Die Abstimmung findet am 29. November 2020 statt. Sagen die Stimmbürger ja, tritt die Initiative in Kraft und das Parlament ist verpflichtet, rasch ein Umsetzungsgesetz zu verabschieden. Wird die Initiative abgelehnt, tritt der Gegenvorschlag in Kraft.

Webinar Recording

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Gegenüberstellung

Konzernverantwortungsinitiative (KVI)

  • Für kontrollierte Unternehmen und sämtliche Geschäftsbeziehungen gilt eine angemessene Sorgfaltspflicht.
  • Es entsteht eine neue Form der Haftung für Verstösse gegen «international anerkannte Menschenrechte und internationale Umweltnormen» durch kontrollierte Unternehmen.

Indirekter Gegenvorschlag

  • Obligatorische Offenlegung nichtfinanzieller Informationen
  • Bei Überschreitung von Schwellenwerten im Rahmen der Verwendung von und dem Handel mit Konfliktmineralien (in Anlehnung an EU-Recht) sowie bei Rückgriff auf Kinderarbeit muss eine spezifische Due Diligence durchgeführt werden, mit Ausnahme von Unternehmen mit geringem Risiko und/oder KMU.


Mögliche Konsequenzen der KVI
  • Strengere Anforderungen bezüglich der Sorgfaltspflicht, insbesondere in der vorgelagerten Wertschöpfungskette
  • Die Due-Diligence-Prüfung muss nachweislich und mit transparenter Berichterstattung durchgeführt werden.
  • Die gesamte globale Geschäftstätigkeit muss abgedeckt werden.

Mögliche Konsequenzen des Gegenvorschlags
  • Zwingende Offenlegungspflichten ab 2021
  • Je nach Reifegrad der Unternehmensberichterstattung, verstärkte Offenlegung nichtfinanzieller Informationen
  • Konfliktmineralien und Kinderarbeit müssen mit einem spezifischen Due-Diligence-Verfahren angegangen werden.
     

Quelle: EJPD

Offenlegung nichtfinanzieller Informationen

Der indirekte Gegenvorschlag ist kurz gehalten und konzeptioneller Natur. Darin sind die Kernelemente (z.B. Geschäftsmodell, Richtlinien, angewandte Sorgfaltspflicht, ergriffene Massnahmen und Bewertung ihrer Wirksamkeit, identifizierte wesentliche Risiken und deren Handhabung sowie relevante Indikatoren) definiert, über die in den Bereichen Umwelt (insbesondere zu den CO2-Zielen), Soziales, Arbeitnehmerbelange und Menschenrechte sowie Korruptionsbekämpfung Bericht erstattet werden muss. Das Gesetz bezieht sich – im Rahmen einer Kann-Vorschrift – auf die Berichterstattung nach nationalen, europäischen und internationalen Standards. Wenn solche Standards verwendet werden, müssen sie in ihrer Gesamtheit berücksichtigt und befolgt werden.

Das bedeutet, dass die Unternehmen bei der Umsetzung des Gesetzes über einen gewissen Spielraum verfügen. Wir halten es für sinnvoll, dass sich kleinere Unternehmen, die zum ersten Mal über nichtfinanzielle Informationen Bericht erstatten, auf die Kernelemente konzentrieren, ohne sich dabei auf Berichterstattungsstandards zu beziehen. Wir empfehlen jedoch grösseren Unternehmen mit etablierter nichtfinanzieller Berichterstattung, entsprechende Standards zu benennen und entsprechend anzuwenden. Dies ist im Prinzip vereinbar mit den Entwicklungen in der EU, wo der wachsende Konsens – auf Basis der öffentlichen Konsultation zur Überprüfung der CSR-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2016 – darin besteht, die Berichterstattung nach spezifischeren Standards vorzuschreiben, um die Vergleichbarkeit zu verbessern, gleichzeitig aber kleinere Unternehmen von zu detaillierten Berichterstattungsvorschriften zu entlasten.

Die KVI legt die Berichtspflichten nicht ausdrücklich fest, verlangt aber eine Berichterstattung über die durchgeführten Due-Diligence-Massnahmen. Im Vergleich zum indirekten Gegenvorschlag wird der Fokus auf Umwelt- und Menschenrechtsfragen gelegt. 

Auf der Suche nach einheitlichen ESG-Berichtsindikatoren

Die in der KVI – und noch deutlicher im indirekten Gegenvorschlag – vorgesehenen Offenlegungsvorschriften folgen eindeutig dem Trend, dass Nachhaltigkeit und nichtfinanzielle Faktoren zunehmend ins Blickfeld der Regulierungsbehörden, Anleger und Interessengruppen im Allgemeinen rücken.

Die Unternehmensberichterstattung muss eine Generierung von Werten nachweisen, die über die Finanzberichterstattung hinausgeht. Der Zweck solcher Offenlegungen hat sich in den letzten Jahren deutlich verlagert. Es geht heute vermehrt darum zu verstehen, wie integrativ und umfassend ein Unternehmen geführt wird, wie bedeutende Risiken gehandhabt werden, wie strategische, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Chancen genutzt werden und wie letztendlich eine finanzielle und nichtfinanzielle Werte geschaffen werden.

Die nichtfinanzielle Berichterstattung hat sich über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg weiterentwickelt und erneuert. Heutzutage stehen den Unternehmen zahlreiche freiwillige Standards und Rahmenwerke zur Verfügung. Die Folge davon ist ein Mangel an einheitlichen und vergleichbaren Informationen für Kapitalmärkte, Anleger und andere Interessengruppen. Dies ist einer der Gründe, die im Fokus der laufenden Konsultation stehen und darauf abzielen, die aktuelle Version der CSR-Richtlinie der EU zu überarbeiten. PwC unterstützt weltweit akzeptierte Lösungen für Standards zur nichtfinanziellen Berichterstattung, die auf der bereits geleisteten Arbeit aufbauen. Dies ist vereinbar mit den in der KVI integrierten Offenlegungsforderungen, aber auch mit dem indirekten Gegenvorschlag.

Sowohl die Unternehmen als auch die Aufsichtsbehörden sind sich darüber bewusst, dass eine erhöhte Transparenz und Einheitlichkeit bei der Offenlegung nichtfinanzieller Informationen nicht nur den Interessengruppen insgesamt, sondern vor allem den Unternehmen selbst zugutekommt. Die grosse Mehrheit der weltweit tätigen Unternehmen ist sich einig, dass die Berichterstattung über eine Reihe von nichtfinanziellen Kennzahlen und Offenlegungen für die Finanzmärkte und die Wirtschaft nützlich ist. Dieser Konsens wurde jüngst durch verschiedene Initiativen untermauert, bei denen unter Federführung verschiedener Unternehmen und Verbände universelle und branchenübergreifende ESG-Kennzahlen vereinbart wurden.

 

Sowohl die Unternehmen als auch die Aufsichtsbehörden sind sich darüber bewusst, dass eine erhöhte Transparenz und Einheitlichkeit bei der Offenlegung nichtfinanzieller Informationen nicht nur den Interessengruppen insgesamt, sondern vor allem den Unternehmen selbst zugutekommt.

Neue Pflichten für die Unternehmensleitung

Durch die Initiative würde der Unternehmensleitung eine zusätzliche Pflicht auferlegt. Diese müsste nämlich gewährleisten, dass Menschenrechte und Umweltstandards im Ausland eingehalten werden. Ziel ist es, die Rechenschaftspflicht der Unternehmensleitung für die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsführung auszuweiten. Beim Gegenvorschlag würden die Pflichten der Unternehmensleitung nicht über die bestehende Anforderung des Schweizer und ausländischen Rechts hinaus erweitert.

Es bleiben offene Fragen.

  • Wird eine Muttergesellschaft haftbar gemacht, wenn dieser eine Tochtergesellschaft oder einen Lieferanten nicht daran hindert, Schaden anzurichten?
  • Sind die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung in diesem Zusammenhang einer persönlichen Haftung ausgesetzt?
  • In welchem Umfang kann die Sorgfaltspflicht im Einklang mit weithin akzeptierten Standards eine gültige Verteidigung im Rahmen eines Zivilprozesses sein, der von einem Aktionär oder einem Dritten angestrengt wird?

Diesbezüglich werden derzeit Diskussionen geführt – auch auf EU-Ebene –, wie diese Probleme am besten klar und verhältnismässig gelöst werden können.

Nächste Schritte und Ausblick

Nächstes Jahr feiern wir den zehnten Jahrestag der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights, «UNGP»). Der Hauptgedanke hinter den UNGP war es, den Unternehmen einen sozialeren Zweck zu geben. Die tragende Persönlichkeit hinter diesen Prinzipien, Professor John Ruggie, sagte, dass die Erreichung dieses Ziels eine kluge Mischung aus zwingenden und freiwilligen Massnahmen erfordert. Auf die Frage, wie diese kluge Mischung im Jahr 2021 aussehen sollte, lobte er die laufenden Bemühungen um mehr Einheitlichkeit und Qualität in Bezug auf die nichtfinanzielle Berichterstattung. Er forderte auch obligatorische Due-Diligence-Prozesse für Unternehmen, um die Massnahmen für mehr Transparenz zu verstärken.

Wie schnell wird sich die Schweiz an diesem Vorhaben beteiligen? Von Schweizer Unternehmen wird erwartet, dass sie bei Kennzahlen aus dem Bereich Nachhaltigkeit transparenter sind. Eine ambitionierte Agenda für ESG-Investitionen zeichnet sich am Horizont ab. Im Ausland wurden zwingende Sorgfaltspflichtregeln teilweise bereits verabschiedet oder sind in Diskussion. Einige darunter, etwa das «Loi de vigilance» in Frankreich oder das in Deutschland in Erwägung gezogene «Lieferkettengesetz», decken das gesamte Universum der Menschenrechte ab. Andere konzentrieren sich auf Themen mit grosser Wirkung wie Kinderarbeit (in den Niederlanden) oder illegale Abholzung (im Vereinigten Königreich). Die Konzernverantwortungsinitiative hat die Debatte über diese Schlüsselfragen vorangetrieben. 

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Christophe Bourgoin

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