«Make or Buy?» im öffentlichen Sektor

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  • 11/12/23

Der öffentliche Sektor steht immer häufiger vor der Frage «Make or Buy?». Ein Hauptgrund dafür ist der Fachkräftemangel. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2030 über 130'000 Fachkräfte im öffentlichen Sektor fehlen werden. Ebenfalls dringend sind der steigende Druck zu mehr Effizienz in der öffentlichen Verwaltung, das Streben nach Transparenz sowie die fortschreitende Digitalisierung. Diese wiederum kann eine Chance für Zentralisierung und behördenübergreifende Zusammenarbeit bieten. 

Warum «Make or Buy?»

«Make or Buy?» ist eine strategische Überlegung. Dabei muss eine Organisation entscheiden, ob sie bestimmte Produkte oder Dienstleistungen intern herstellt («Make») oder von externen Anbietern erwirbt («Buy»). Diese Entscheidungen können sich sowohl auf Kernkompetenzen und deren Fertigung als auch auf weitere Bereiche wie Personalwesen, Informationstechnologie oder sonstige Unterstützungsfunktionen beziehen. Ausserdem sind hybride, partnerschaftliche Zwischenformen möglich. 

Die Antwort auf «Make or Buy?» sollte jedoch nicht rein effizienzgetrieben sein – ein gutes Beispiel sind hier auch die Abhängigkeits-Debatten, welche momentan etwa in den Bereichen Energie oder Arzneiprodukte auf Länderebene in Europa geführt werden. Eine «Make or Buy?»-Entscheidung gilt als strategische Entscheidung, die Funktionsweise und Aufbau einer Organisation langfristig prägt. Daher erfordert sie eine differenzierte Analyse der Abläufe, Kosten, Nutzen, Risiken und Chancen.

Die Möglichkeiten der Ausgestaltung sind vielfältig und hängen von den spezifischen Bedürfnissen und Zielen ab. So kann eine Organisation zum Beispiel eine strategische Allianz mit einem anderen Unternehmen eingehen, um Ressourcen, Technologien oder Fähigkeiten zu teilen. Dabei profitieren beide Beteiligten von den Stärken des anderen, ohne Kontrolle oder Verantwortung abzugeben. Auch Joint Ventures oder Kooperationsverträge können aus einer «Make or Buy?»-Entscheidung hervorgehen. Aufgrund minimaler Konkurrenz öffentlicher Organisationen untereinander sind beispielsweise auch sogenannten Shared Services Centers in besonderem Masse interessant, in denen Dienstleistungen für verschiedene Organisationen gebündelt erbracht werden. Aufbau, Standort und Betriebsmodell eines Shared Service Centers sind hier zentral. 

Wichtige Entscheidungsfaktoren

Entscheidende Faktoren bei «Make or Buy?» sind: 

  • Kosten senken: Externe Dienstleistungs- oder Zulieferfirmen können aufgrund ihrer Spezialisierung Skaleneffekte oder geringere Betriebskosten erzielen als bei einer internen Herstellung.

  • Externes Fachwissen nutzen: Externe Partnerunternehmen bringen Spezialkenntnisse und Erfahrung in Bereichen mit, die für die Organisation von Bedeutung sind und die sie selbst (kurzfristig) nicht aufbauen kann. 

  • Wettbewerb beleben: Durch den Fremdeinkauf erschliesst sich eine Organisation den Vorteil des Wettbewerbs. Wettbewerb unter Anbietern belebt die Preisgestaltung, fördert so die effizientere Nutzung von Ressourcen und erhöht die Produktivität. Die Anbieter müssen ihre Produkte und Dienstleistungen in hoher Qualität liefern und innovative Lösungen entwickeln, um Auftraggebende zu halten.

  • Flexibilität erhöhen: Staatliche Betriebe sehen sich oft mit Veränderungen in der Nachfrage von Dienstleistungen konfrontiert, sei es aufgrund von saisonalen oder ereignisbezogenen Schwankungen oder sich ändernden gesellschaftlichen Anforderungen. Mit Dienstleistungs- oder Zulieferfirmen kann eine Organisation schneller und flexibler darauf reagieren.

  • Kernkompetenzen stärken: Durch das Auslagern von Aktivitäten, die nicht zu den Kernaufgaben gehören, kann eine Organisation sich auf das Stärken der Kernkompetenz konzentrieren und so besser zur Erreichung der Hauptziele beitragen.

«Make or Buy?» im öffentlichen Sektor

Im öffentlichen Sektor beeinflussen besondere strukturelle Merkmale die Entscheidung von «Make or Buy?». Dazu gehören einerseits öffentliche, politische Restriktionen. Andererseits zählt dazu ein geringeres Wettbewerbsstreben als in der Privatwirtschaft. Damit lassen sich Aufgaben an andere Behörden mit ähnlichen Anforderungen übertragen oder mit diesen teilen. Die horizontale Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen bietet die Chance für Effizienzgewinne durch gemeinsames «Make» oder gemeinsames «Buy».

Besonderheiten und Restriktionen

Bei «Make or Buy?»-Entscheidungen der öffentlichen Hand ist umso mehr zwischen Kernaufgaben der Verwaltung und administrativen Supportaufgaben für die Organisationen selbst zu unterscheiden. Bei Letzteren sind Verwaltungen tendenziell mit ähnlichen Entscheidungskriterien wie privatwirtschaftliche Unternehmen konfrontiert, zum Beispiel bei der Lohnbuchhaltung. Geht es jedoch um Kernaufgaben der Verwaltung, so kommen weitere Faktoren struktureller, rechtlicher und finanzieller Natur hinzu. 

Regelkonformität und Planungszyklen

Eine öffentliche Verwaltung muss besondere gesetzliche Vorschriften und Regularien einhalten. Sie untersteht Budgetrestriktionen und -zyklen, die durch die Politik vorgegeben werden. Die Umsetzung kurzfristiger Anpassungen bei der Ressourcen- und Budgetverteilung ist organisatorisch und politisch schwierig, selbst wenn sich die externen Gegebenheiten schnell entwickeln. Deshalb ist eine sorgfältige und vorausschauende Budgetplanung erforderlich. Diese muss nicht nur die aktuelle Lage, sondern auch Potenziale und Risiken abdecken. Nur so bleibt die finanzielle Stabilität der öffentlichen Verwaltung gewahrt. 

Verantwortungsdilemma 

Ein oft angeführtes Argument gegen «Buy» ist der Kontrollverlust über die erbrachten Dienstleistungen. Externe Anbieter handeln gewöhnlich nach eigenen Geschäftsmodellen und Prioritäten. Diese können gewinnorientiert oder gemeinnützig sein. Das kann die direkte Kontrolle über Schlüsselaspekte der Leistungserbringung beeinträchtigen. Problematisch wird es dann, wenn die Dienstleistungen von hoher öffentlicher Bedeutung sind. In der Privatwirtschaft können negative Leistungsergebnisse mit vertraglich festgelegten monetären Sanktionen oder geringeren Zahlungen an den Anbieter abgegolten werden. Im öffentlichen Sektor hingegen bleibt die politische Verantwortung letztlich mitunter bei der Führung der Organisation oder den politischen Akteuren selbst verhaften. Diese möchten in der öffentlichen Wahrnehmung kein Bild der Abhängigkeit von Dritten vermitteln. Gerade dann nicht, wenn es sich bei den Dritten um privatwirtschaftliche Organisationen handelt. Diesem Dilemma können öffentliche Organisationen mit Leistungserbringungsverträgen, Monitoring, Kommunikation und Transparenz begegnen. 

Kantonale Besonderheiten

In der Schweiz kommen beim Verschieben von Aufgaben – ähnlich wie in anderen föderalen Staaten Europas – kantonale Besonderheiten hinzu. Da das Auslagern von (Teil-)Aufgaben oft nur dann sinnvoll ist, wenn ein gewisses Volumen und damit Skaleneffekte gebündelt werden können, beschränken kantonale Besonderheiten teilweise die Möglichkeit, mit externen Anbietern effizient und verlässlich zusammenzuarbeiten. Ergibt sich kein kritisches Volumen zu bündelnder Aufgaben, kann deren Auslagerung wirtschaftlich uninteressant sein. Oder aber es entstehen Abhängigkeiten von wenigen Individuen bei der Partnerorganisation. Eine geeignete Governance kann dem entgegenwirken. Abzuwägen ist zudem, ob der Administrationsaufwand die Kooperation rechtfertigt. 

Vorbildfunktion

Weitere «Make or Buy?»-Entscheidungskriterien für öffentliche Organisationen sind die erforderliche Neutralität bei der Aufgabenerfüllung, das Gewährleisten von Transparenz und Sicherstellen von Bürgernähe. Die Bevölkerung erwartet, dass staatliche Aufgaben transparent und von der befugten Stelle erfüllt werden. Dabei sind Gewinn und wirtschaftliche Effizienz nicht immer direkt ersichtlich und stehen auch nicht immer an erster Stelle. Öffentliche Organisationen müssen wirtschaftlich und ethisch vorbildlich agieren. Das schliesst Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die Bevölkerung ein. Wenn beispielsweise die Auslagerung von Dienstleistungen zu Jobverlusten führt oder Bedenken hinsichtlich der ethischen Ausführung beim externen Dienstleister aufwirft, müssen die Verantwortlichen das sorgfältig abwägen und begründen. 

Volkssouverän

Aufgrund der direkten Demokratie in der Schweiz und des politisch grossen Einflusses der Bevölkerung ist eine Zustimmung des Volkes manchmal besonders wichtig. Zum Beispiel hat das Stimmvolk 2014 eine staatliche Einheitskrankenkasse abgelehnt. So hat sich die Schweizer Bevölkerung per Volksabstimmung indirekt für ein Beibehalten von «Buy» statt für «Make» entschieden. Angesichts der steigenden Versicherungskosten dürfte diese Debatte eventuell wieder aufflammen. 

Hindernisse und Risiken im öffentlichen Sektor

Bei einer «Make or Buy?»-Entscheidung müssen die Verantwortlichen diese Anforderungen berücksichtigen:

  • Gesetzliche Vorschriften und Strukturen: Der öffentliche Sektor unterliegt strengen gesetzlichen Vorschriften und Strukturen, die «Buy»-Entscheidungen erschweren. Zudem kennt die öffentliche Verwaltung komplexe bürokratische Prozesse und Verfahren, die Verschiebungen von Aufgaben zeitaufwendig und kompliziert machen können. Darum gilt es, geeignete Betriebsmodelle, Prozessabläufe und Governance-Strukturen aufzusetzen. 

  • Politische Einflüsse und Kontrollverlust: Bei «Buy» besteht die Gefahr eines Verlusts der direkten Kontrolle. Diese ist für die öffentliche Hand besonders bedeutsam – nicht zuletzt aufgrund der politischen Verantwortung. 

  • Föderalismus: Föderale Strukturen können Skaleneffekte verhindern und zu hohem Administrationsaufwand führen. Daher müssen Entscheidungstragende analytisch und mit Budgetrechnungen abwägen, wann ein «Make» oder «Buy» sinnvoll ist. 

  • Forderungen der Bevölkerung: Öffentliche Organisationen müssen bei der Aufgabenerfüllung neutral bleiben, Transparenz gewährleisten und Bürgernähe herstellen. Sie müssen also gewährleisten, dass diese Werte nicht leiden; zum Beispiel durch das Sicherstellen einer guten Zugänglichkeit und direkten Kontaktmöglichkeit zu externen Anbietern. 

Reputationsrisiken und Kontrollverlust

Manchmal haben öffentliche Organisationen in der Schweiz nur eingeschränkte Möglichkeiten und Kapazitäten, Dienstleistungen und Produkte von externen Anbietern angemessen zu überwachen und sicherzustellen, dass sie den erwarteten Standards entsprechen. Das kann die Reputation der Organisation negativ beeinflussen. Ein solcher Verlust ist gerade bei öffentlichen Organisationen besonders einschneidend, da die Bevölkerung meist über keine Alternative verfügt und die öffentliche Organisation daher besonders unter Beobachtung steht. 

Ein aktuelles Beispiel dafür sind etwa die immer lauter werdenden Stimmen gegen die Auslagerung von Sicherheitsdienstleistungen. Sie gehen einerseits auf vermehrte Negativschlagzeilen von Verfehlungen durch private Unternehmen zurück, an die Sicherheitsdienstleistungen ausgegliedert wurden. Andererseits gehen sie aus politischen Diskussionen hervor, die die Befugnisse und Entscheidungsmacht von privaten Sicherheitsleuten in Frage stellen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Zahl der privaten Sicherheitsangestellten in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Der Gedanke, die Polizei könnte durch private Dienstleister verdrängt werden, löst allgemeinen Unmut aus.

Fazit

«Make or Buy?»-Entscheidungen erfordern ein sorgfältiges Abwägen von Bedingungen und Herausforderungen, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor. Dabei gilt es, eine Balance zwischen Eigenproduktion und Fremdbezug zu finden. Für staatliche Organisationen stehen oft die Faktoren Unabhängigkeit, politische Verantwortung, Effizienz, Expertise und Flexibilität im Vordergrund. Da der öffentliche Sektor laufend neu gefordert ist, wird die Frage «Make or Buy?» weiter an Bedeutung gewinnen, auch wenn politische Faktoren dem teils im Wege stehen. Entscheidend sind die richtige Governance und Aufsicht. Ein interessantes Potenzial bieten strategische Allianzen in der Verwaltung und die Digitalisierung.

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