Differenzieren oder verlieren

Schweizer Baubranche

Schweizer Baubranche
  • September 09, 2020

Wandel vollziehen, Bewährtes mitnehmen

Wohnen, Mobilität, Gewerbe, industrielle Produktion, Tourismus, Sicherheit, Gesundheit – in diesen und zahlreichen weiteren Lebensbereichen beeinflusst die Schweizer Baubranche unser Leben Tag für Tag. Sie konzentriert sich fast ausschliesslich auf unser Land. Hier trägt sie rund 15% zum Bruttoinlandprodukt bei. Etwa 330’000 Vollzeitstellen sind im Hoch- und Tiefbau angesiedelt. Das entspricht einem Drittel aller Beschäftigten im industriellen Sektor.

Diese Publikation macht eines überdeutlich: Nur wer differenziert, gewinnt. Gefragt sind Kreativität und Pioniergeist. So steht der Bauindustrie ein Paradigmenwechsel hin zu mehr Differenzierung über vernetztes Zusammenarbeiten bevor. Dazu bietet gerade die Digitalisierung interessante Möglichkeiten. Sie reduziert Schnittstellen, erhöht die Qualität der Plan- und Führungsprozesse und begünstigt die Reduktion von Fehlerkosten und Leerläufen auf dem Bau. Covid-19 dürfte den Abbruch von Silostrukturen in der Baubranche und den anstehenden Umbau rigider Denkmuster antreiben.

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Online Live-Event Swissbau Innovation Lab on Tour - Wie wollen wir in Zukunft Gebäude gemeinsam digital planen, bauen und betreiben?

Roland Schegg, Director bei PwC Schweiz spricht über die Schweizer Baubranche am Online Live-Event der Swissbau Innovation Lab.

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Expertenpanel

Schweizer Bauakteure sprachen am 26. November 2020 beim Online-Event Swissbau Innovation Lab on Tour über Markt, Digitalisierung und ihre Zukunftsperspektiven vor und seit COVID-19. Weitere Informationen finden Sie unter: Swissbau Innovation Lab.

Referenten:
Roland Schegg (Direktor PwC Schweiz), Markus Weber (Präsident Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland), Birgitta Schock (Vorstandsmitglied SIA, Präsidentin SIA-Fachrat «Digitale Transformation») und Hans-Jörg Fankhauser (Architekt & Arealplaner uptownBasel)

Ein- und Ausblick: Was wir aus der Studie schliessen

Fast 90% der Studienteilnehmenden sehen die mangelnde Differenzierung als eine der zentralen Herausforderungen. Ein anhaltender Preiskampf und schwindende Margen sind die Folgen. Mit anderen Worten: In weiten Teilen der Branche herrscht ein harter Wettbewerb. Immer wieder neue Konkurse machen deutlich, dass es dabei ums unternehmerische Überleben geht.

Differenzieren heisst, sich im Markt klar zu positionieren. Das setzt voraus, dass ein Unternehmen seinen Weg strategisch ausschildert und konsequent geht. Dazu braucht es Mut, die Dinge anders zu machen als die Mitbewerber. Dazu braucht es Fokus. Und schliesslich braucht es Verzicht. Das gelingt nur mit unermüdlicher Kreativität, integraler Führung und Ausdauer. Wer seinem Geschäftsmodell Profil gibt, kann sich nachhaltig etablieren und seine Margen verbessern.

Wer von Chancen im Markt profitieren will, muss kompetitive Preise bieten. Das bedeutet nicht, Aufträge über das tiefste Angebot zu «kaufen». Sondern zu wissen, welches Preisniveau akzeptabel ist und wo die eigenen Grenzen liegen. Eine klare Differenzierung und Positionierung ermöglicht Extra-Spielraum in Preisverhandlungen und Angebotsrunden, was für eine gesunde Marge entscheidend sein kann.

Wir sind gespannt, wie die Digitalisierung das Wechselspiel zwischen Kosten, Effizienz und Differenzierung in der Baubranche beeinflusst. Hier geht es um diverse Fragen: Wie nutzen welche Player die Potenziale? Können sie neue digitale Technologien und Mittel in innovative, differenzierende Geschäftsmodelle umsetzen oder verwenden sie diese für mehr Effizienz und Optimierung in Prozessen und Kostenstrukturen?

Der Einsatz von digitalen Technologien und Tools hat schon vor Jahren begonnen, sei es in der Kommunikation, bei den Submissionen oder beim Zeichnen der Pläne. Doch wer einen schlechten Prozess digitalisiert, macht diesen nicht zwingend besser. Interessanterweise zeigt unsere Studie, dass bisher vor allem Supportprozesse wie Administration und Marketing digitalisiert wurden. Immerhin folgt auf Platz 3 die integrierte Planung. Erst dann werden Kernprozesse wie Realisierung oder Betrieb genannt.

Digitale Lösungen erlauben es, alle am Bau Beteiligten früh einzubeziehen und Nachjustierungen auch in der
Realisierungsphase vorzunehmen. So können sich entlang der Wertschöpfungskette neue Modelle der integrierten Kooperation bilden. Das enorme Fachwissen der verschiedenen Bausparten rückt zusammen. Bauwerke und der spätere Betrieb sind nicht länger die Summe von Einzelleistungen, sondern ein Gesamtsystem. Das wiederum macht spannende neue Geschäftsmodelle möglich.

Neue Technologien, digitale Modelle, innovative Materialien: Jeder dieser Faktoren allein bringt keinen Mehrwert. Entscheidend ist deren Anwendung und Kombination in einer Lösung. Hier kommt der Mensch mit seinem Handwerk ins Spiel. Denn nur wer weiss, wie die Instrumente zu orchestrieren sind, kann besser sein als die Konkurrenz – und damit den Ton angeben.

Mobilisiert ein Unternehmen das gesamte Potenzial vom Lehrling und Arbeiter über die Fachkraft und den Polier bis zum Bauführer und der Geschäftsleitung für das gemeinsame Ziel, erzeugt es Hochleistung – sei es hinsichtlich Effizienz, Fehlerkosten oder Innovationen. Dazu sind föderale Führungsmodelle gefragt, die auf Respekt und Wertschätzung basieren. Neue digitale Lösungen helfen, entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu denken und zu agieren.

Bei den Materialien und Verfahren finden sich ebenfalls innovative Ansätze. Diese nehmen globale Megatrends wie Nachhaltigkeit, Automatisierung oder Digitalisierung auf und haben das Potenzial, die Baubranche zu revolutionieren. Noch nicht vieles davon ist massentauglich. Aber innovative Marktteilnehmer gehen mutig voran und suchen neue Wege in der Baubranche der Zukunft.

Diese können sich auch nachfrageseitig ergeben, etwa durch eine veränderte Mobilität: Selbstfahrende Fahrzeuge sind schon bald Realität. Autonomes Fahren wird die Strasseninfrastruktur massgeblich verändern. Es verringert den Unsicherheitsfaktor Mensch und erhöht die Kapazität bei weniger Trassenbedarf. Im Gegenzug nimmt der Langsamverkehr in urbanen Gebieten an Bedeutung zu, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Stromunterstützung
und des bescheidenen Platzbedarfs. Sowohl für das autonome Fahren als auch für den Langsamverkehr werden
Ausbauten und Anpassungen der Infrastruktur nötig, was gerade für den Tiefbau interessant sein dürfte.

Von der Komfort- in die Krisenzone

Ein Virus verbreitet Unsicherheit: die Schweizer Baubranche wurde aus einer komfortablen Situation mit vollen Auftragsbüchern in eine Krisenphase mit erheblichen Unsicherheiten katapultiert. Das widerspiegelt sich in der Beurteilung der Zukunftsperspektiven vor und mit Covid-19. Der Optimismus vor Ausbruch der Covid-19-Epidemie lässt sich mit der Tatsache erklären, dass in der Schweiz fleissig gebaut wurde und die Branche bis im Frühjahr 2020 auf Hochtouren lief. Die Umsatz- und EBIT-Erwartungen waren entsprechend positiv und die Hoffnungen in Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder systemische Problemlösung gross.

Volumen ja, Margen jein

Covid-19 bringt Ernüchterung: der Vergleich der Einschätzungen vor und seit Covid-19 manifestiert eine klare Abkühlung der Stimmung. Am deutlichsten zeigt sich diese im Tiefbau, im Bereich mit dem höchsten vor Covid-19 geschätzten Umsatzwachstum. Hier reduzieren sich die Wachstumsprognosen von 15% auf 9.5%, also um rund einen Drittel. Diese Beurteilung dürfte in der erwarteten Zurückhaltung und der Tendenz zum Aufschieben der öffentlichen Hand begründet liegen. Allerdings geht der Tiefbau infolge der Lebenszyklen von Infrastrukturen (z. B. Ersatzbauten) weiterhin von Wachstum aus.

Träge wie Beton

Neue Technologien, alte Probleme: die Studienunternehmen halten neben dem gekonnten Umgang mit Covid-19 eine ganzheitliche Problemlösung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und technologische Innovationen wie neue Materialien, Verfahren oder Robotik für die Haupttreiber der Zukunft. Hingegen werten sie den Preiskampf, den Mangel an Differenzierung und eine allfällige Zinswende als Topgefahren. Im Weiteren sehen sie grosse Herausforderungen in der Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeitenden. Starre gesetzliche Vorgaben und Baunormen werden ebenfalls eher als Gefahr wahrgenommen.

Hallo Kunde!

Die Einschätzungen der Studienteilnehmenden lassen sich nach Tätigkeitsfeldern und Grösse der Unternehmen auswerten. Diese Betrachtung zeigt einen klar verstärkten Fokus bei der Kundendimension. Interessant sind die unterschiedlichen Prioritäten im Bereich der Leistungserbringung. Hier wollen die Akteure der Projektierung deutlich mehr unternehmen als in den anderen Teilen der Wertschöpfungskette. Insgesamt setzen gerade grössere Unternehmen ihr Augenmerk auf die Leistungserbringung. Sie erwarten sich wertvolle Impulse aus der Digitalisierung und aus dem Einsatz neuer Technologien oder Verfahren.

Virtualität wird Realität

Opportunität erkannt: fast neun von zehn Studienteilnehmenden sehen die Digitalisierung vor Covid-19 als Chance. Aber nur rund 60% der Befragten stufen deren heutigen Stellenwert in ihrem Unternehmen als hoch oder sehr hoch ein. Das wirft die Frage auf, ob und warum sich 40% eine Chance entgehen lassen. Die Schere zwischen Chance und Stellenwert vor allem bei kleinen Unternehmen auseinandergeht: Nur gerade 50% der Kleinen messen der Digitalisierung heute einen hohen oder sehr hohen Stellenwert bei. Die Mittleren und Grossen scheinen die Chance ergreifen zu wollen – oder zu können.

Unsere Interviewpartner

Benedikt Koch
Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV)

Gabriela Schlumpf
Direktorin von Holzbau Schweiz

Luc Frutiger
Mitinhaber und Vertreter der vierten Generation der Frutiger Gruppe

Rico Kaufmann
Geschäftsführer der Kaufmann Oberholzer AG

Markus Weber
Verantwortlicher BIM bei Amstein+Walthert

Matthias Kohler
Professor für Architektur und digitale Fabrikation an der ETH Zürich

Alfred Müller
Verwaltungsratspräsident STUTZ AG

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Roland  Schegg

Roland Schegg

Director, Leiter Consulting Familienunternehmen & KMU, PwC Switzerland

Tel.: +41 79 215 29 31