Das Pandemiejahr 2020 führte bei europäischen Retail Banken zu einem durchschnittlichen Rückgang von Umsatz und Gewinn, und verschärfte den bestehenden Kostendruck. Weitreichende Sparmassnahmen beschleunigen nun die digitale Transformation der Branche: Im Wettlauf um Kosteneffizienz und Marktanteil müssen Banken den Einsatz physischer Filialen hinterfragen und ihre Kundenakquise durch gezieltes Online-Marketing neu gestalten.
Der aktuelle Retail Banking Monitor von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, analysiert und beziffert die gegenwärtige Lage der europäischen Privatkundenbanken: Weniger internationale Transaktionen und Kreditkartenzahlungen sowie ein geringeres Volumen bei der Konsumentenfinanzierung führten 2020 zu einem durchschnittlichen Umsatzrückgang von 4 % gegenüber dem Vorjahr. Im gleichen Zeitraum verzeichneten europäische Geldinstitute auch eine erhebliche Abnahme des operativen Gewinns. Im Gesamtdurchschnitt fiel der Profit um 8 % von 210 (2019) auf 193 Euro pro Kunde. Weit vor Österreich (208 Euro), Deutschland (172 Euro) oder Grossbritannien (107 Euro) ist die Schweiz 2020 mit 444 Euro Gewinn pro Kunde im europäischen Vergleich unangefochtener Spitzenreiter.
Schweiz: Überdurchschnittliches Geschäftsvolumen, Qualität und Innovation als Erfolgsfaktoren
Europäische Banken agieren in unterschiedlichen länderspezifischen Marktkontexten – wie etwa Regulierungen, Kundenverhalten oder Wettbewerbsintensität – welche das mögliche Geschäftsvolumen massgeblich formen. Da dieses als wesentlicher Einflussfaktor für die Profitabilität von Banken gilt, sind heimische Institute besonders begünstigt: Dank überdurchschnittlich hohen Investments und Kreditsummen punktet die Schweiz mit einem besonders hohen Geschäftsvolumen pro Kunde, gleichzeitig sind die Erträge, bezogen auf das Geschäftsvolumen, im internationalen Vergleich jedoch unterdurchschnittlich. Weitere Erfolgsfaktoren für die heimischen Banken sind die hohe Qualität in der Leistungserbringung sowie Produkt- und Vertriebskanalinnovationen. Zukünftig müssen Schweizer Banken sowohl an der Sicherung ihrer Erträge als auch an weiteren Effizienzschritten arbeiten.
Europäische Banken auf Sparkurs
Angesichts fallender Umsätze leiteten Privatkundenbanken in Europa erste Sparmassnahmen ein. Im Jahr 2020 ist es knapp der Hälfte der befragten Banken jedoch nicht gelungen, ihre Kostenstruktur zu optimieren. Auch die Effizienz verbesserte sich weitgehend nicht, im Gegenteil: Drei von vier Banken weisen 2020 eine Verschlechterung des Aufwand-Ertrags-Verhältnisses auf. Diese Kernzahlen aus 2020 sollen jedoch nicht überbewertet werden. Es dauert, bis die 2020 eingeführten Sparmassnahmen greifen und eine positive Auswirkung auf die Bilanz zeigen. Trotzdem sind Unterschiede in den Ländern deutlich: Britische, belgische und niederländische Kreditgeber haben ihre Kostenposition fast alle verschlechtert. Deutschland und die Schweiz sind hingegen besonders zögerlich, Sparprogramme einzuführen.
Zukünftig werden europäische Privatkundenbanken ihre Kostensenkungen nicht nur fortsetzen, sondern möglicherweise sogar beschleunigen müssen. Die Transformation der Branche wird vor allem im Filialnetz sichtbar. Lockdowns in ganz Europa zeigten, dass die Betriebsmodelle der Banken mit deutlich reduzierten physischen Vertriebskanälen realisierbar sind. Weitere Schliessungen von Niederlassungen stehen daher im Raum – bis zu 40 % des aktuellen Filialnetzes könnten bis 2023 verschwinden. Führend bei den Abbauten sind Märkte wie Deutschland, Grossbritannien oder die Niederlande.
Digital first: Das Bankmodell der Zukunft
Die grösste Veränderung betrifft jedoch nicht die Anzahl der Filialen oder die Dichte des Netzes. Privatkundenbanken müssen ihre physischen Verkaufsstellen in ein digital gesteuertes Outbound-Verkaufsmodell einbetten, um eine effektivere Kundenakquise zu ermöglichen. Im Bankmodell der Zukunft wird somit die Kundenansprache umgekehrt: Anstatt durch die besten Standorte möglichst viele Kunden in die Filialen zu locken, werden zukünftig durch gezieltes Online-Marketing Kundenkontakte gewonnen. Solche Modelle könnten trotz dünnerem Filialnetz den Kundenkontakt von derzeit ~15-25 % auf bis zu 75 % erhöhen.
Schweizer Retailbanken haben bereits früh damit begonnen, ihr Angebot etwa im Kartengeschäft neuen Kundenbedürfnissen anzupassen und zu digitalisieren. Allerdings stehen auch die Schweizer Institute vor wichtigen Herausforderungen. Es müssen neue profitable Ertragsquellen gefunden werden, da die bisherigen Quellen immer weniger hergeben. Preissteigerungen sind auch im Swiss Banking bei den meisten Produkten nicht mehr möglich. Ausserdem ist die Digitalisierung mitnichten bereits abgeschlossen: Die Branche wird den Vertrieb mit Hochdruck weiter digitalisieren müssen. Dazu gehört etwa, flexible Plattformen aufzubauen, die sich mit (FinTech-) Partnern verbinden lassen. Dadurch könnten Banken viel schneller neue Kundenlösungen an den Markt bringen.
Mit der digitalen Transformation im Bankensektor werden sich die Geschäftsmodelle von Filial- und Direktbanken zunehmend ähnlicher. Traditionelle Banken sollten ihre Filialen als zentrale Anlaufstelle in ein digitalisiertes Vertriebsmodell einbetten, um nicht vom Wettbewerb der Direkt- und Neobanken abgehängt zu werden. Diese sind hingegen gefragt, ihr Angebot an profitablen und individualisierten Dienstleistungen weiter auszubauen, anstatt vorrangig auf grenzenloses Kundenwachstum zu setzen.
Andreas Pratz, Head of Strategy& Switzerland
Marc Lehmann, Director in Advisory