In diesem Artikel: Stadtlogistikplanung in der Praxis

Stadtlogistik holistisch und prädiktiv planen

City logistics
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  • 15/01/25

Ein holistischer und prädiktiver Ansatz, der neben historischen Verkehrsdaten auch Daten zur künftigen Raumnutzung simuliert, ermöglicht fundierte Entscheidungen zur Effizienzsteigerung und ganzheitlichen Planung der Stadtlogistik.

Der zunehmende Güterverkehr ist eine akute Herausforderung für die Stadtlogistik

Der Güterverkehr ist von zentraler Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung in Städten und Agglomerationen, in denen der Grossteil der Schweizer Bevölkerung lebt und arbeitet. Gleichzeitig nimmt der Güterverkehr seit Jahren zu. So könnte die Transportleistung im Güterverkehr auf der Schiene und Strasse bis 2050 gegenüber 2017 um 30 % zunehmen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1

Abbildung 1. Quellen: Retrospektive: BFS – Gütertransportstatistik (GTS), Statistik des öffentlichen Verkehrs (OeV) Modellwerte: ARE - Schweizerische Verkehrsperspektiven 2050 - Schlussbericht © BFS Stand: Juli 2024

Entwicklungen wie die steigende Bevölkerungsdichte, die Zunahme von E-Commerce und die steigende Nachfrage nach Same-Day-Delivery erhöhen zudem den Druck auf die urbane Infrastruktur. Aufbauend darauf sieht sich die urbane Logistik auf der letzten Meile unter anderem mit den folgenden Herausforderungen konfrontiert:

Ökologische Nachhaltigkeit: Die Dekarbonisierung ist eine der zentralen Herausforderungen. Auf der nationalen Ebene verfolgt die Schweiz aufgrund des Pariser Abkommens das Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Auch Kantone haben in den vergangenen Jahren klimatische Notstände ausgerufen (vgl. SRF-Artikel). In der Schweiz werden rund 33 % der Treibhausgasemissionen durch den Verkehr (ohne internationalen Flug- und Schiffsverkehr) verursacht (BAFU, 2024). Die zunehmende Elektrifizierung von Fahrzeugflotten trägt dabei zwar wesentlich zu einem geringeren Ausstoss von Treibhausgasen bei. Auch die Automatisierung von Fahrzeugen könnte den Treibstoffverbrauch reduzieren (vgl. Umfrage von PwC Schweiz zum automatisierten Fahren). Für eine nachhaltigere Gestaltung der Stadtlogistik ist neben der Elektrifizierung und Automatisierung jedoch die Gesamtreduktion des motorisierten Verkehrs unausweichlich. Neben der Emissionsreduktion sind auch neue Ansätze in Bereichen wie der Kreislaufwirtschaft gefragt.  

Gesunde Lebensräume: Das Schaffen lebenswerter, gesunder Lebensräume durch die Verbesserung der Luftqualität, durch die Erhöhung der Sicherheit für Verkehrsteilnehmende sowie durch die Senkung von Lärmemissionen ist eine signifikante Herausforderung, die mit dem städtischen Güterverkehr zusammenhängt. So ist jede siebte Person in der Schweiz an ihrem Wohnort gesundheitsschädigendem Verkehrslärm ausgesetzt (BAFU, 2024). 

Effizienz im Verkehr und der Raumnutzung: Ein effizienterer Verkehr ist sowohl für die Bevölkerung als auch für die Wirtschaft gewinnbringend. Der Raummangel in Städten äussert sich in Form von Staus und fehlenden Zonen für das Beladen und Entladen. Es kommt zu Konflikten in der Flächennutzung. Gleichzeitig fehlt in vielen Fällen auch Raum für Logistikstandorte wie Hubs oder Umschlagszentren, die für die Bedienung der Güternachfrage notwendig wären. 

Ganzheitliche, vorausschauende Planungsansätze auf lokaler Ebene sind gefragt

Die genannten Herausforderungen unterstreichen die Notwendigkeit für Stadtverwaltungen, Logistikdienstleister, andere Immobilien- und Raumentwickler und Infrastrukturanbieter, ihre Leistungen und Betriebsmodelle vorausschauend zu konzipieren und auszurichten. Oft werden Routen auf der Ebene einzelner Akteure bereits optimiert. Kooperationen zur Bündelung von Transportströmen verschiedener beteiligter Logistikdienstleister und zur lokalen Lagerung von Waren sind jedoch seltener. Für eine effiziente Gestaltung der urbanen Logistik müssen zudem operative und technische Schnittstellen geschaffen werden, dies um Massenverkehrsmittel und emissionsärmere und flexiblere Transportmittel für die Feindistribution (letzte Meile) zu integrieren. Für eine derartige, ganzheitliche Verkehrsplanung müssen die künftig anfallenden, lokalen Güterströme unter anderem in ihrer Quantität, ihrer Kadenz sowie der Art der dadurch an die Lieferkette gestellten Anforderungen antizipiert und in betriebsspezifische Handlungsoptionen übersetzt werden. 

Prädiktive Datengrundlagen, die historische Verkehrsdaten und Daten zur künftigen Raumnutzung nutzen, sind selten, aber notwendig, um die Anforderungen der Güterströme in betriebsspezifische Handlungsoptionen zu übersetzen und die Effizienz der urbanen Logistik zu steigern.

Bisher werden auf einer lokalen Ebene in den meisten Fällen höchstens historische Verkehrs- und Logistikdaten herangezogen, um Güterströme bei der Planung von Raum- oder Logistikkonzepten zu antizipieren. Prädiktive und holistisch angelegte Datengrundlagen, die historische Verkehrsdaten genauso wie Daten der künftigen Raumnutzung (bspw. antizipierte Art der Flächennutzung und Anzahl Arbeitsplätze, Anzahl aktueller und künftiger Einwohner) verwenden, sind selten. Einige Kantone wie Zürich (Kanton Zürich, 2022) haben zwar anhand von Analysen von Güterverkehrsdaten Massnahmen für eine effizientere Gestaltung der Stadtlogistik abgeleitet, allerdings existieren in aller Regel keine Logistikdatensätze für kleinräumigere, geografische Einheiten, die für derartige Modellierungen verwendet werden. Deshalb schlagen wir für Analysen auf der lokalen Ebene einen prädiktiven Ansatz vor, der konzeptionell auf den Treibern des Güterverkehrs im urbanen Raum aufbaut.

Ein holistischer und prädiktiver Ansatz für die strategische und betriebliche Planung der Stadtlogistik

Wir diskutieren im Folgenden einen holistischen und prädiktiven Ansatz, der es den Akteuren der Stadtlogistik und -planung erlaubt, datengestützte Planungsgrundlagen auf einer lokalen Ebene zu schaffen. Dieser Ansatz zielt zum einen darauf ab, die durch den Wirtschaftsverkehr bedingten Beeinträchtigungen für die lokalen Anwohnerinnen und Anwohner zu minimieren und dadurch deren Lebensqualität zu verbessern. Zum anderen können Synergien zwischen Akteuren in der Logistik antizipiert und Ökosysteme für eine effizientere Stadtlogistik geschaffen werden. 

Durch den holistischen und prädiktiven Ansatz der Stadtlogistik können Beeinträchtigungen für Anwohner minimiert und Synergien zwischen Logistikakteuren geschaffen werden.

Konkret werden in diesem Ansatz in einem ersten Schritt mithilfe von Simulationen Fahrzeugbewegungen und Güterverkehrsströme in definierten Gebieten geschätzt. Dazu werden umfangreiche Logistikdaten aus den grössten schweizerischen Städten verwendet und unter anderem in Relation zur Anzahl der Anwohner und Arbeitsplätze im besagten Gebiet gestellt. Zusätzlich empfehlen wir, empirische Feldstudien in Form von Interviews durchzuführen, um die für die Simulierungen getroffenen Annahmen zu ergänzen und zu verifizieren. 

In einem zweiten Schritt ist es zwingend erforderlich, die quantitativen Informationen in anwendbare Stadtlogistikkonzepte zu übersetzen, auf deren Basis die städtische Logistik effizienter gestaltet werden kann. Im Folgenden beschreiben wir diesen Vorgehensansatz etwas genauer:  

Schritt 1: Simulation von Fahrzeugbewegungen

Der erste Schritt besteht darin, die erwarteten Aktivitäten im untersuchten geografischen Gebiet so genau wie möglich zu analysieren und zu beschreiben. So werden etwa gewerbliche Aktivitäten nach Intensität ihrer Logistikströme, d.h. der Anzahl, Frequenz und Volumina von Lieferungen und Abholungen, kategorisiert. Zur initialen Datensammlung gehören auch die Schätzung der Bruttogeschossfläche für jede gewerbliche Aktivität, die Anzahl der Arbeitsplätze, die im untersuchten Gebiet bestehen oder künftig erwartet werden, sowie die Anzahl der Wohnungen und Einwohnerinnen und Einwohner.

Bei der Planung neuer Quartiere werden diese Daten in der Regel von den Projektträgern, das heisst etwa von Behörden oder den Investoren, bereitgestellt. Handelt es sich um eine Analyse auf einer städtischen Ebene in einem grösseren Massstab, können Annahmen zu den erwarteten Aktivitäten aus Planungsdokumenten wie Richtplänen abgeleitet werden, welche die Flächennutzung in bestimmten Gebieten spezifizieren. 

Diese Basisdaten werden anschliessend entlang eines gross angelegten Datensatzes mit Lieferstatistiken aus verschiedenen europäischen Städten in logistikrelevante Informationen übersetzt. Mittels Umrechnungsfaktor ergibt sich so die Anzahl der zu erwartenden Fahrzeugbewegungen innerhalb eines Gebiets. Wo vorhanden, werden zudem reale, historische Fahrzeugbewegungsdaten zur Validierung und Verfeinerung der Prognosen herbeigezogen.

Schritt 2: Ableitung von strategischen und betrieblichen Handlungsoptionen

Nach der Schätzung dieser Verkehrsströme ist es erforderlich, daraus zielgerichtete Logistiklösungen zu entwickeln, die in der Lage sind, die erwarteten Güterströme effizient zu absorbieren. Das konkrete Vorgehen der Lösungserarbeitung hängt dabei von den Zielen ab, die von der betroffenen Organisation verfolgt werden. Mögliche Massnahmen können unter anderem sein: 

  • Betriebliche Optimierung: Auf Basis der verbesserten Datengrundlage können zum einen die Flottenauslastung und Fahrtenoptimierung auf der Ebene eines einzelnen Akteurs optimiert werden. Zum anderen können jedoch auch strategische Partnerschaften oder umfassende Ökosysteme kreiert werden, in denen die Auslastung von Transportmitteln optimiert und Leerfahrten systematisch reduziert werden können.
  • Schaffen logistischer Schnittstellen: Massenverkehrsträger wie der Schienenverkehr oder unterirdische Frachtsysteme können gezielter mit Verkehrsmitteln, die für die Distribution im urbanen Raum geeignet sind, integriert werden.
  • Identifikation von Potenzialen zur Verkehrsverlagerung: Zur Senkung der Umweltbelastung und zugleich zur Effizienzsteigerung können emissionsintensive Nutzfahrzeuge durch Alternativen wie Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb oder Lastenfahrräder ersetzt werden, die ebenfalls in der Lage sind, die bestehende Nachfrage abzudecken.
  • Antizipation infrastruktureller Bedarfe: Infrastrukturelle Anpassungen in Form von baulichen Massnahmen wie der Schaffung von Lade- und Entladezonen oder unterirdischer Rohrpostsysteme sowie in Form von Verkehrsumleitungen können spezifische Ziele wie die Unterstützung des lokalen Gewerbes oder eine Verbesserung der lokalen Verkehrssicherheit herbeiführen.

 

Holistische und prädiktive Stadtlogistikplanung in der Praxis

Beispiel 1: Bewertung der potenziellen Güterverkehrsreduktion durch eine Bündelung von Lieferungen im Logistik-Hub La Praille in Genf

Das Städtedesign zu ändern, ist schwierig. Jedoch kann die Ausgestaltung von Logistiklösungen an Städte angepasst werden. Um diese Logistikinfrastrukturen wie z.B. Lieferzonen gezielt an die lokalen Gegebenheiten anzupassen, braucht es datenbasierte Entscheidungsgrundlagen. Vor diesem Hintergrund wollte der Kanton Genf die Auswirkungen der Bündelung von Transporten in einem bestehenden Schiene-Strasse-Logistik-Hub auf die Anzahl der Güterfahrzeugbewegungen in den Quartieren des Stadtteils La Praille untersuchen. 

Mittels Simulation konnten die Fahrzeugbewegungen mit und ohne Bündelung im urbanen Logistik-Hub abgeschätzt und als Grundlage für die Analyse von Auswirkungen auf den Verkehr und auf den Bedarf an Umschlagsinfrastrukturen für verschiedene mögliche Szenarien verwendet werden. Abbildung 2 stellt beispielhaft eines der analysierten Szenarien dar.

Im vorliegenden Anwendungsfall hat die Simulation ergeben, dass eine Bündelung der Waren in einem Logistik-Hub die Fahrzeugbewegungen im Stadtteil La Praille um 75 % reduzieren und den Bedarf an Lieferzonen um 40 % verringern könnte. Ein ähnlicher Ansatz könnte nebenbei auch von einem Logistikdienstleister genutzt werden, der einen urbanen Logistik-Hub errichten möchte, um mit Partnern die Feinverteilung von Waren auf der letzten Meile zu koordinieren und den Return-on-Investment bzw. Business Case für einen solchen Logistik-Hub zu berechnen.

Abbildung 2

Abbildung 2

Das Quartier Quai Vernets, welches auf dem Areal einer ehemaligen Militärkaserne in Genf errichtet wird, zählt zu zehn priorisierten Projekten des kantonalen Richtplans 2030. Das Projekt umfasst fünf Gebäude, die nicht nur mehr als 3’000 Einwohnerinnen und Einwohnern Wohnraum bieten, sondern auch Gewerbeflächen, öffentliche sowie kulturelle Einrichtungen, eine Schule und zwei Universitätsfakultäten. Es wird erwartet, dass dieser Komplex signifikante Güterverkehrsströme generieren wird, welche potenziell die Lebensqualität sowohl innerhalb des Areals als auch in der umliegenden Umgebung beeinträchtigen könnten. Die Projektträger verfolgen das Ziel, die negativen Auswirkungen der Lieferaktivitäten zu minimieren, während eine effiziente Versorgung des Standorts und seiner Bewohnerinnen und Bewohner sichergestellt werden kann. 

In diesem Kontext wurden mit Hilfe des beschriebenen holistischen und prädiktiven Simulationsansatzes Verkehrsströme innerhalb des Quartiers prognostiziert und darauf aufbauend geeignete Lösungsvorschläge entwickelt. Durch eine Analyse der erwarteten Flächennutzung basierend auf der Art der Nutzung, der Anzahl der Arbeitsplätze sowie der Einwohnerzahl (siehe Abbildung 3) wurde es ermöglicht, die erwarteten Güterverkehrsströme zu simulieren. Im vorliegenden Fallbeispiel wurden diese Ströme als Anzahl der Fahrzeugbewegungen pro Woche quantifiziert. Die resultierenden Daten wurden anschliessend mit statistischen Daten des Bundesamts für Statistik auf Kantons- und Postleitzahlebene abgeglichen und validiert (siehe Abbildung 4). 

Abbildung 3

Abbildung 3

Beispiel 2: Entwicklung von Logistiklösungen für das Quartier Quai Vernets in der Stadt Genf
Abbildung 4

Abbildung 4

Auf dieser Datengrundlage wurden schliesslich verschiedene Logistiklösungen für das Quartier Quai Vernets erarbeitet (siehe Abbildung 5) wie zum Beispiel ein dedizierter Lieferplatz als bauliche Massnahme, Paketboxen oder ein Nachbarschafts-Concierge-Lieferservice, der allen lokalen Händlern mit einem Lastenrad zur Verfügung steht. Darüber hinaus wurde die Simulation für sämtliche, an das Quartier Quai Vernets angrenzende Stadtteile durchgeführt, um die Schaffung eines vorgelagerten, urbanen Verteilzentrums, welches an den Schienenverkehr angeschlossen ist, für verschiedene Standorte zu prüfen. 

Abbildung 5

Abbildung 5

Ausblick: Vielseitige Anwendbarkeit und grosses Potenzial für die nachhaltige Gestaltung der Stadtlogistik in der Schweiz 

Durch die Modellierung von Güterströmen und der differenzierten Analyse dieser ermöglicht unser Ansatz eine präzise und ganzheitliche Planung, die sich wiederum direkt auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung auswirken kann. Mit der gewonnenen Präzision werden neue Perspektiven für eine datengestützte Logistik- und Raumplanung eröffnet. Die resultierenden Massnahmen bieten einen Mehrwert für die Lebensqualität auf der lokalen Ebene, erhöhen die Effizienz der urbanen Logistik und können gleichzeitig auf einer übergeordneten Ebene in bestehende städtebauliche und verkehrspolitische Konzepte integriert werden. 

Der vorgestellte Ansatz wurde von PwC Schweiz gemeinsam mit CityLog als Partnerin und Entwicklerin der Simulation erarbeitet. Der Ansatz betont die Bedeutung einer integrativen und datenbasierten Gestaltung der zukünftigen urbanen Logistik in der Schweiz. Er sollte unter anderem durch den Einsatz neuer Technologien, wie dem automatisierten Fahren, ergänzt werden. Projekte wie der "Dynamic Micro-Hub" von Planzer mit LOXO in Bern (Stadt Bern, 2024) sind dafür ein Beispiel: Sie stehen stellvertretend für innovative Lösungen, die den Weg zu einer nachhaltigen Transformation des Güterverkehrs ebnen. 

Wir danken Andreas Berney von CityLog für seine wertvollen Beiträge zu diesem Blogartikel.

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