Die nichtfinanzielle Berichterstattung beschreibt Ihren Umgang mit Schlüsselthemen, die sich auf Ihr Unternehmen auswirken können – auch finanziell. Sie bedingt einen vielschichtigen Prozess der Bewusstwerdung und Bewusstmachung. Denn wer sich selber und seinen Dialoggruppen die Auswirkungen seiner Wertschöpfung verdeutlicht, strebt eine langfristige Wertsicherung an und übernimmt unternehmerische Verantwortung.
Unter nichtfinanzieller Berichterstattung verstehen wir die Offenlegung von Informationen, die nicht auf die üblichen Finanzkennzahlen abstützen, den Anspruchsgruppen aber trotzdem die wesentlichen Wertschöpfungsbereiche eines Unternehmens verständlich machen – weit über die Jahresrechnung hinaus. So haben einige immaterielle Vermögensgegenstände ihren Ursprung in einer Vielzahl nichtfinanzieller Kennzahlen.
Für die Grossen wesentlich
In der heutigen Auslegung ist die nichtfinanzielle Berichterstattung für grosse, international tätige Unternehmen relevanter als für KMU. Diese können betroffen sein, wenn sie über die Lieferkette eines weltweit exportierenden oder importierenden Konzerns Teil eines Offenlegungsbereichs sind. Auf globaler Ebene hängt die Relevanz der nichtfinanziellen Berichterstattung vor allem davon ab, welche kulturellen oder wirtschaftlichen Schwerpunkte aus der Geschäftstätigkeit hervorgehen und in der Berichterstattung berücksichtigt werden sollen.
Bewegte Geschichte
Der Ursprung der nichtfinanziellen Berichterstattung liegt – wie so manche weltweite Entwicklung – in der Folge von Missständen, in diesem Fall im Umweltbereich. Ereignisse wie Tschernobyl oder Schweizerhalle (1986) haben schon vor Jahrzehnten einerseits schärfere Umweltgesetze auf den Plan gerufen. Andererseits wurden die Unternehmen in Themen wie Arbeitssicherheit, Entlöhnung oder Umgang mit Mitarbeitern von diversen Seiten immer kritischer gemustert.
Kurz vor der Jahrtausendwende hat die Global Reporting Initiative (GRI) ihren ersten Standard für eine nachhaltige Berichterstattung vorgelegt. Parallel dazu haben einzelne Industrien ihre eigenen Rahmenbedingungen geschaffen. So setzt der Verein für Umweltmanagement und Nachhaltigkeit in Finanzinstituten (VfU) Richtlinien für Banken, das European Chemical Industry Council (Cefic) für die Chemie und die Cement Sustainability Initiative (CSI) des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) für die Zementindustrie.
In der Schweiz gab es immer wieder politische und öffentliche Vorstösse, Vorgaben für das nichtfinanzielle Reporting gesetzlich zu verankern. Sie blieben bis heute erfolglos. Über den bundesrätlichen Auftrag für eine «Grüne Wirtschaft» wird derzeit debattiert.
Aktuell spielen die folgenden Akteure und Richtlinien eine nennenswerte Rolle:
- UN Global Compact
Die zehn Prinzipien des UN Global Compact sind aus diversen internationalen Grundrechten wie den Menschenrechten, dem Arbeitsrecht, den Rio-Resolutionen oder der UN-Konvention gegen Korruption abgeleitet. Für die Unternehmen bilden sie das Fundament eines integren Verhaltens. - UN Sustainable Development Goals
Die Division für Sustainable Development (DSD) fördert und implementiert Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Diese Zielsetzungen werden von den Unternehmen häufig als Norm verstanden, um die gesellschaftlichen Ansprüche in ihre nachhaltige Entwicklung einzubinden. - GRI-G4
Auf europäischer Ebene gilt der vierte Release der GRI vom Mai 2013 als Mass der Dinge. Die GRI-G4 stellt keine verbindliche Gesetzgebung, sondern ein richtungsweisendes Rahmenwerk dar. Kern dieser Version ist das Prinzip der Wesentlichkeit (vgl. Abbildung 1). - Integrated Reporting (IR)
Das International Integrated Reporting Council (IIRC) hat am 9. Dezember 2013 ein Rahmenkonzept (IR-Framework) für eine integrierte Berichterstattung veröffentlicht. Dieser ganzheitliche Ansatz soll einen holistischen Blick auf die Leistung eines Unternehmens und dessen Teilbereiche ermöglichen. - EU-Direktive [1] zur Offenlegung von nichtfinanziellen Informationen
Dieses Regelwerk hat die EU-Kommission im April 2014 abgesegnet und ihren Mitgliedstaaten die nationale Umsetzung auferlegt. Hier handelt es sich um einen prinzipienbasierten Standard für multinationale Unternehmen mit über 500 Mitarbeiter, der den Anwendern einen gewissen Spielraum offenlässt. Betroffen sind ungefähr 6000 Grossunternehmen und Konzerne in der EU.
[1] Richtlinie 2014/95/EU zur Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte grosse Unternehmen und Gruppen.
- Sustainability Accounting Standards Board (SASB)
Die US-Behörde für die Kontrolle des Wertpapierhandels (Securities Exchange Commission, SEC) bezeichnet als Form 10-K einen Jahresbericht in standardisierter Form. Einen solchen müssen Unternehmen mit einem Vermögen von über zehn Millionen US-Dollar abgeben. Die 20-F-Berichtsform gilt für alle ausländischen Wertpapieremittenten, die Aktien an den US-Börsen gelistet haben. - Principles for Responsible Investments (PRI)
Die sechs Prinzipien der Vereinten Nationen (UN) setzen Leitplanken, an denen sich die Finanzwelt orientieren kann, um eine umwelt- und sozialverträgliche Unternehmensführung sicherzustellen. Sie basieren auf dem ESG-Grundsatz (Environmental, Social and Corporate Governance). - Weitere Prinzipien der Finanzwelt
Dazu gehören beispielsweise die Green Bond Principles, Equator Principles oder Principles for Sustainable Insurance. Diese Grundsätze kommen in der Finanzwelt insbesondere bei Transaktionen zur Anwendung oder setzen einen Rahmen für Investitionsziele.
Sustainability Accounting Standards Board (SASB)
Als Gegenstück zum Financial Accounting Standards Board (FASB) verlangt dieses US-amerikanische Gremium mit seinen Standards, dass US-börsenkotierte Unternehmen bei einem SEC-Filing nach dem 10-K-Berichtsformat und Nicht-US-Unternehmen nach dem 20-F-Berichtsformat offenlegen.
Prinzip der Wesentlichkeit
Die GRI-G4 rückt das Prinzip der Wesentlichkeit in den Mittelpunkt. Dieses soll verhindern, dass die Berichterstattung zu einer Datensammlung ohne Fokus verkommt. Mit einer Wesentlichkeitsanalyse soll das Unternehmen vorab die wichtigsten Themen aus Sicht sämtlicher Dialoggruppen wie Behörden, Bewohnern, Lieferanten oder Mitarbeitern identifizieren. Anschliessend kann es jene Bereiche ausmachen, auf die sich seine unternehmerische Tätigkeit ökonomisch, ökologisch oder sozial wesentlich auswirkt. Dabei steht die gesamte Wertschöpfungskette im Zentrum. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass ein Unternehmen aufgrund seiner Beziehungen zu Lieferanten Kinderarbeit als einen wesentlichen Aspekt betrachten muss, auch wenn dieses Thema im Unternehmen nicht relevant ist.
Abbildung 1 zeigt, wie die wichtigsten Rahmenwerke und Standards Wesentlichkeit definieren und wie sie ihre Definitionen gegenüber ihren Kernzielgruppen kommunizieren.
Abbildung 1: Wesentlichkeit bei den wichtigsten Rahmenkonzepten und Standards im Vergleich
IR (weltweit) | IFRS (weltweit) | GRI (weltweit) | SASB (US) | |
Zielgruppe | Finanzkapitalgeber auf kurze, mittlere und lange Sicht |
Alle bestehenden /potenziellen Investoren, Kreditgeber und anderen Gläubiger |
Alle Interessen-gruppen | Investoren von Unternehmen, die sich an Emissionen von Aktien beteiligen, die gemäss den Vorschriften des US Securities Act registriert sind |
Gegenstand / Berichtszweck | Langristige Wertschöpfung | Ertrags- und Finanzlage | Nachhaltigkeits- bilanz (in Bezug auf Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft, Governance) |
Nachhaltigkeits- bilanz (Umwelt, Sozialkapital, Humankapital, Geschäftsmodell und Innovation, Führung und Governance) |
Art der Definition von Wesentlichkeit |
Mehrstufiger Prozess:
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Informationen sind wesentlich, wenn ihr Weglassen oder ihre fehlerhafte Darstellung die auf der Basis von Finanzinformationen getroffenen Entscheidungen der Nutzer in Bezug auf eine berichterstattende Einheit beeinflussen könnte. Die Relevanz ist von der Art oder Grösse – oder beidem – des Postens abhängig, auf den sich die Information im Rahmen des Abschlussberichts der jeweiligen Einheit bezieht. |
Organisationsbe- Der Bericht sollte Aspekte abdecken, die:
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Der SASB legt einen Mindestkatalog von Nachhaltigkeitsthemen fest, die sich wesentlich auf die meisten, wenn nicht alle, Unternehmen in einer Branche auswirken und die – je nach spezifischem betrieblichem Umfeld – für ein Unternehmen in dieser Branche voraussichtlich von Bedeutung sind; ausgerichtet an der Wesentlichkeits- definition nach amerikanischem Wertpapierrecht und an der Rechtsprechung |
Form der Offenlegung |
Integrierter Bericht | Abschlüsse | Nachhaltigkeits- bericht (GRI) |
Zur Verwendung in Berichten, eingereicht bei der SEC |
Ein Frage der Verantwortung
Die nichtfinanzielle Berichterstattung stellt das Unternehmen vor eine hochkomplexe Schlüsselfrage: Wie kann es nichtfinanzielle Werte vermitteln, die seine unternehmerische Verantwortung zum Ausdruck bringen? Die Antwort findet das Management in der Wertschöpfungskette des Unternehmens. Es muss zuerst vollständige Klarheit über die produktive Tätigkeit des Unternehmens und deren Folgen für sämtliche Anspruchsgruppen erlangen. So gilt es, zu verstehen, mit welchem Input (z. B. Rohstoff) welcher Output (Produkte oder Dienstleistungen) und schliesslich welcher Outcome (z. B. Kundennutzen) entsteht und wer davon in welcher Weise betroffen ist. Aus einer solchen Matrix lassen sich die wesentlichen Verantwortungsfelder ableiten. Im Rahmen einer nichtfinanziellen Berichterstattung spiegelt das Unternehmen seine Schlüsselthemen und nimmt den Dialog mit seinen Anspruchsgruppen auf – im Idealfall gezielt und regelmässig. Verantwortung geht also nicht nur aus einem firmeneigenen, ethischen Anspruch hervor. Sie entsteht mit den Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf Menschen und Themenfelder.
Hohe Ziele
Transparenz und Kommunikation werden oft als Ziele der nichtfinanziellen Berichterstattung genannt. Das stimmt nur bedingt. Transparenz ist vielmehr ein Resultat; sie schafft weder Mehrwert, noch verhindert sie Risiken. Und Kommunikation ist die Vermittlung selbst und die Wahl des passenden Kanals oder Formats. Die der nichtfinanziellen Berichterstattung vorgelagerten und zugrundeliegenden Prozesse schärfen das Bewusstsein für eine langfristige Wert- und damit Existenzsicherung des Unternehmens. Konkret heisst das: Risiken und Abhängigkeiten kontrollieren, Ressourcen sicherstellen, Lieferkette aufrechterhalten, Vertrauen von Kernzielgruppen sichern. Dazu muss ein Unternehmen sich selber verstehen, sich seiner mehrschichtigen Verantwortung bewusst sein, diese verständlich offenlegen und schliesslich – ganz wichtig – von seinen Anspruchsgruppen verstanden werden (vgl. Integrated reporting). Wer sein Unternehmen aus einer derartigen Perspektive führt, handelt weitsichtig und wertorientiert.
Keine Garantie
Das Offenlegen nichtfinanzieller Informationen ist kein Garant für Risiko- oder Fehlerfreiheit. Es gibt immer Risiken, die ein Unternehmen nicht kontrollieren kann oder deren Schlagkraft es falsch einschätzt. Auch das Fehlverhalten von Individuen lässt sich nie vollständig ausschliessen. Und schliesslich sind sogar Fehler in der Offenlegung möglich. Die nichtfinanzielle Berichterstattung lässt kein Schwarz-Weiss-Denken zu. Sie verlangt von Unternehmern, Prüfern und Lesern, dass sie den Kontext und die Verknüpfung der Einflussfaktoren in die Aufbereitung und Interpretation der Informationen einbeziehen. Darum lassen sich nichtfinanziellen Berichte unterschiedlicher Firmen auch selten eins zu eins miteinander vergleichen.
Mehr Klarheit, mehr Wert
Ein Unternehmen fragt sich zu Recht, was ihm eine solche Offenlegung bringt. Nichtfinanzielle Berichterstattung als reine Kommunikations- oder Marketingoffensive einzusetzen, bringt vermutlich den nichtigsten Nutzen. Der grösste Mehrwert entfaltet sich dann, wenn eine nichtfinanzielle Offenlegung den eigenen Ansprüchen an Information und Klarheit sowie denjenigen von Eigentümern, Öffentlichkeit, Medien oder Mitarbeitern gerecht wird und gleichzeitig die unternehmerische Tätigkeit am besten darlegt. Sie lässt sich zudem als Mittel zur Differenzierung im Konkurrenzumfeld nutzen. So oder so hängt sie unmittelbar von der Unternehmenskultur und der Denkweise von Verwaltungsrat und Management ab.
TIMM – Auswirkungen messen und managen
Um nichtfinanzielle Informationen in Auswirkungen finanzieller Art zu transferieren, haben wir das Vorgehensmodell TIMM (Total Impact Measurement and Management) (vgl. Abbildung 2) konzipiert. Damit können Unternehmen erstmals die Folgen ihres Handelns für Umwelt, Gesellschaft, Steuern und Wirtschaft anhand von diversen Kerngrössen monetär bewerten. TIMM ist eine gute Entscheidungsgrundlage für das Management. Sie dient der Wesentlichkeitsbetrachtung und erweitert das Verständnis der eigenen Leistungen und Produkte, was ins Risikomanagement einfliessen kann.