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David Baur
Director and Leader Accounting Consulting Services, PwC Switzerland
Robel Ghebressilasie
Senior Manager, Accounting Consulting Services, PwC Switzerland
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die Verhängung internationaler Sanktionen haben weltweit erhebliche direkte und indirekte wirtschaftliche Auswirkungen. Davon betroffen sind, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, Unternehmen in der Schweiz.
Wie in Krisensituationen üblich, können Unternehmen sehr unterschiedlich betroffen sein. Neben den direkten und indirekten wirtschaftlichen Konsequenzen des Krieges, ergeben sich zusätzliche Auswirkungen aufgrund der von verschiedenen Staaten und Institutionen verhängten Sanktionen. Wegen der inhärenten Dynamik sind sowohl die wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts als auch die Sanktionen laufend neu zu beurteilen. Seit Kriegsbeginn bis Mitte Oktober 2022 wurden beispielsweise von der EU acht Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet. Ein ursprünglich nicht von einem Sanktionsregime betroffenes Unternehmen kann somit durch neue Sanktionen in seiner Tätigkeit erheblich beeinträchtigt oder einem Reputationsrisiko ausgesetzt werden. Sanktionen haben auch Auswirkungen auf die Tätigkeit der Revisionsstellen, da Dienstleistungen gegenüber gewissen natürlichen und juristischen Personen nicht mehr erbracht werden dürfen. Die Ereignisse haben nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen für die Unternehmen, sondern auch Auswirkungen auf die Darstellung in der Jahresrechnung.
Nachfolgend sind einige Überlegungen zu möglichen Auswirkungen auf die Jahresrechnung nach Obligationenrecht ausgeführt. Ähnliche Erwägungen gelten auch für die Konzernrechnung oder die Finanzberichterstattung nach anderen Normen.
Unternehmen mit wesentlichen Beständen an flüssigen Mitteln in Konfliktgebieten müssen beurteilen, ob sie über diese weiterhin frei verfügen können. Können flüssige Mittel nicht mehr für den vorhergesehenen Zweck eingesetzt werden, ist eine entsprechende Offenlegung angezeigt (Art. 959c Abs. 1 Ziff. 2 OR). Auch wenn sehr weit gehende Restriktionen meist keinen Einfluss auf die Werthaltigkeit der flüssigen Mittel haben, kann eine Umgliederung zu übrigen Forderungen erforderlich sein.
Finanzielle Aktiven wie Forderungen und Finanzanlagen (zum Beispiel russische Anleihen) dürfen höchstens zum Anschaffungswert (Art. 960a Abs. 1 OR) bilanziert werden. Für Wertverluste aufgrund einer Verschlechterung des Kreditrisikos der Gegenpartei in Folge des Konflikts sind Wertberichtigungen zu bilden (Art. 960a Abs. 2 OR).
Falls ein beobachtbarer Marktpreis besteht, können (finanzielle) Aktiven auch zum Marktwert bilanziert werden (Art. 960b Abs 1 OR). Ist der Marktwert als Folge der Invasion nicht mehr beobachtbar, erscheint es sachgerecht, den letzten verfügbaren Marktpreis als neuen Anschaffungswert anzusetzen. Die Folgebewertung erfolgt in diesem Fall höchstens zum Anschaffungswert abzüglich erkennbarer Wertverluste (Art. 960a Abs 2 und 3 OR.)
Verschiedene international tätige Unternehmen haben beschlossen, sich aus Russland und/oder der Ukraine und Belarus zurückzuziehen. Im Zuge der Umsetzung dieser Entscheidungen stellt sich im Hinblick auf den Abschluss 2022 nebst der Werthaltigkeit auch die Frage, ob über die betroffenen Beteiligungen nach wie vor ein massgeblicher Einfluss bzw. Kontrolle besteht (Art 960d Abs. 3 bzw. Art. 963 Abs. 2 OR). Diese Beurteilung ist mit einem erheblichen Ermessensspielraum verbunden und kann sich unter Umständen auf den Konsolidierungskreis in der Konzernrechnung auswirken. Entsprechend sollte im Anhang der Jahresrechnung offengelegt werden, wie sich ein Entscheid der Aufgabe der Geschäftstätigkeit in Russland und/oder der Ukraine auf die Beteiligungen ausgewirkt hat.
Die berichtenden Unternehmen müssen beurteilen, ob ihre nicht-finanziellen Vermögenswerte, wie Vorräte, Beteiligungen, Sachanlagen und immaterielle Werte als direkte oder indirekte Folge der Invasion und anderer geopolitischer Spannungen noch werthaltig sind.
Indikatoren für eine Wertminderung sind:
Pläne zur Veräusserung oder Aufgabe eines Betriebs aufgrund der Invasion könnten eine Wertminderung der zugrunde liegenden Aktiven in der Jahresrechnung auslösen (Art. 958a Abs. 2 OR).
Sind Unternehmen aufgrund der Invasion nicht mehr in der Lage, ihren Abnahme- oder Lieferverpflichtungen nachzukommen, können sie schadensersatzpflichtig werden und müssen entsprechend beurteilen, ob sich daraus ein Rückstellungsbedarf ergibt (Art. 960e Abs 2 OR).
Das Austauschverhältnis zwischen Schweizer Franken und dem Russischen Rubel- unterlag aufgrund von Sanktionen und Restriktionen seit dem Beginn des Krieges einer signifikanten Volatilität. Nach einem starken Einbruch am Anfang der Krise stand die Währung zur Mitte des Jahres auf einem Siebenjahreshoch. Als Folge dieser Volatilität können sich realisierte und im Rahmen der Abschlusserstellung unrealisierte Fremdwährungsgewinne oder -verluste ergeben. Die verwendeten Fremdwährungskurse (Art. 958d Abs. 3 OR), allfällig getroffene Massnahmen (z.B. Hedging und/oder Hedge Accounting) sowie die Auswirkungen von Fremdwährungseffekten auf die Jahresrechnung sind im Anhang zu erläutern (Art. 959c Abs 1 OR).
Die mögliche Verletzung von Covenants (Kreditvertragsklauseln) könnte dazu führen, dass gewisse Finanzierungen kurzfristig rückzahlungspflichtig werden. Im Extremfall, kann dadurch die Unternehmensfortführung gefährdet sein. Liegen solche Verletzungen vor, empfiehlt es sich, frühzeitig mit der Gegenpartei die Vertragsklauseln neu zu verhandeln. Eine Umgliederung einer verzinslichen Verbindlichkeit von langfristig zu kurzfristig kann im Abschluss nach OR unterbleiben, wenn die kreditgebende Partei bis zur Erstellung der Jahresrechnung schriftlich bestätigt, dass die Verbindlichkeit nicht innerhalb eines Jahres fällig ist, HWP BR IV.2.23.4.
Bestehen aufgrund des Ukrainekrieges oder der verhängten Sanktionen wesentliche Unsicherheiten, die erhebliche Zweifel an der Fähigkeit eines Unternehmens zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen könnten, erfolgt die Bilanzierung zwar auf Fortführungswerten, doch sollten diese Unsicherheiten im Anhang ausgeführt werden. In einem solchen Fall ist die Revisionsstelle angehalten, bei einer ordentlichen Revision in ihrem Bericht eine entsprechende Hervorhebung dieses Sachverhalts vorzunehmen (ISA-CH 570.19) bzw. bei einer eingeschränkten Revision einen Zusatz anzubringen (SER 2015 Seite 119).
Erscheint die Fortführung eines Unternehmens nicht mehr gegeben oder ist eine solche nicht mehr beabsichtigt, so ist die Jahresrechnung auf der Basis von Veräusserungswerten zu erstellen und die Abweichung von der Annahme der Fortführung im Anhang zu vermerken sowie der Einfluss auf die wirtschaftliche Lage darzustellen (Art. 958a Abs. 2 und 3 OR).
Das Obligationenrecht sieht den separaten Ausweis von ausserordentlichem, einmaligem oder periodenfremdem Aufwand oder Ertrag mit entsprechenden Erläuterungen im Anhang vor (Art. 959b Abs. 2 Ziff. 9 bzw. Art. 959b Abs. 3 Ziff. 6 sowie Art 959c Abs 2 Ziff. 12 OR). Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Krieg in der Ukraine als ausserordentliches Ereignis gilt und dessen finanzielle Auswirkungen daher in der Jahresrechnung als ausserordentliche Positionen darzustellen sind. In Anlehnung an Swiss GAAP FER 3/22 sind Aufwände und Erträge ausserordentlich, wenn sie nicht vorhersehbar waren und im Rahmen der ordentlichen Geschäftstätigkeit äussert selten anfallen. Weltweit betrachtet dürften Kriege leider keine ausserordentlichen Ereignisse darstellen. In der Regel wird ein solches Ereignis für ein Unternehmen in der Schweiz jedoch äusserst selten anfallen und daher als ausserordentlich klassifiziert werden können. Dabei sind ausserordentliche Erträge gleich zu behandeln wie ausserordentliche Aufwände.
Art 959c Abs 1 Ziff. 2 OR verlangt «Angaben, Aufschlüsselungen und Erläuterungen zu Positionen der Bilanz und der Erfolgsrechnung». Hat die Krise wesentliche Auswirkungen auf einzelne Bilanz- oder Erfolgsrechnungspositionen, sollten diese im Rahmen einer Aufschlüsselung, welche den Effekt der Krise separat zeigt, sowie einer Erläuterung, welche die Auswirkungen beschreibt, im Anhang angemessen offengelegt werden. Insbesondere sind ausserordentlichen Positionen (im Anhang zu erläutern.
Verschiedene Institutionen und Staaten inkl. der Schweiz haben in Zusammenhang mit der Invasion der Ukraine Sanktionen gegenüber Russland und Weissrussland verhängt. Die diversen Sanktionen können grob zusammengefasst werden in Gütermassnahmen, Finanzmassnahmen und weitere Massnahmen. Bei Gütermassnahmen handelt es sich um Aus- und Einfuhrverbote für spezifisch festgelegte Güter oder Güter mit Ursprung aus einem bestimmten Gebiet. Bei Finanzmassnahmen handelt es sich um Sperrungen von Aktiven und Verbote zur Durchführung von finanziellen Transaktionen wie zum Beispiel Gewährung von Darlehen oder Entgegennahme von Einlagen über einem gewissen Schwellenwert. Wenn die Unternehmung international tätig ist, sind nicht nur die von der Schweiz verhängten Sanktionen, sondern auch Sanktionen von anderen Staaten und Institutionen zu berücksichtigen. Die Massnahmen können gegenüber natürlichen Personen oder Unternehmen verhängt werden.
Das Unternehmen sollte sicherstellen, dass keine Transaktionen in sanktionierten Gebieten oder mit sanktionierten Personen beziehungsweise Unternehmungen durchgeführt werden, um negative rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Die Interpretation der Sanktionsregeln ist dabei in vielen Fällen nicht eindeutig und bedarf weiterer Abklärungen mit der zuständigen Behörde wie beispielsweise dem SECO. Transaktionen mit nicht-sanktionierten Unternehmungen und Personen, die aber eine enge Verbindung zu Russland oder Belarus aufweisen, können Reputationsrisiken mit sich bringen. Da die verhängten Sanktionen laufend angepasst werden, sollte das Unternehmen sicherstellen, dass die Beurteilung jeweils auf der Basis der aktuell geltenden Sanktionen durchgeführt und in regelmässigen Abständen wiederholt wird.
Aus Sicht des Abschlussprüfers gilt es ebenfalls zu beurteilen, ob das zu prüfende Unternehmen oder dessen (wirtschaftlicher) Eigentümer Sanktionen unterliegt und ob es weiterhin zulässig ist, Dienstleistungen für dieses Unternehmen zu erbringen. Gemäss Art. 28e Abs.1 der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine sind die direkte und indirekte Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, einschliesslich Abschlussprüfung, Buchführung und Steuerberatung, sowie Unternehmens- und Public-Relations-Beratung für sanktionierte Unternehmen und Personen verboten. Ein Revisionsunternehmen hat ihr Prozedere für die Annahme von Aufträgen, um diese Aspekte zu ergänzen. Für bereits laufende Mandate gilt es abzuklären, ob sie unmittelbar niederzulegen sind oder ob die bestehenden vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtungen Vorrang haben.
Die direkten und indirekten wirtschaftlichen Auswirkungen (inkl. Sanktionen) des russischen Angriffs auf die Ukraine können die Werte in der Jahresrechnung beeinflussen und zusätzliche Angaben im Anhang erforderlich machen. Die Auswirkungen können so weit gehen, dass die Fortführungsfähigkeit beeinträchtigt sein kann. Jede Unternehmung wird unterschiedlich von der Krise betroffen sein. Es liegt an der Unternehmensführung, die Auswirkungen der Krise in der Jahresrechnung angemessen darzustellen.
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