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Dimitri Senik
Leader Investor Trust Services, PwC Switzerland
Schweizer Vorsorgeeinrichtungen als grösste institutionelle Anlegende kommen um das Thema Nachhaltigkeit mit den Dimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) nicht mehr herum. Sie sollten ESG-Aspekte in ihr Anlagerisikomanagement integrieren. Zudem gilt es, die Auswirkungen von Anlageentscheiden auf Risiko und Rendite im Auge zu behalten. Dazu braucht es ein Umdenken und grundlegende Anpassungen bei Anlagepolitik, Prozessen und Reporting.
Vor dem Hintergrund des Klimawandels und steigender Regulierungen sind die Nachhaltigkeitsdimensionen Environmental, Social und Governance (ESG) nun auch bei schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen angekommen. Von den 1’500 Milliarden CHF in der Schweiz verwalteten nachhaltigen Anlagen entfällt ca. ein Drittel auf das Vermögen von Schweizer Vorsorgeeinrichtungen und Versicherungen(1). Gemäss einer Studie des Schweizerischen Pensionskassenverbandes (ASIP) mit 160 untersuchten Schweizer Vorsorgeeinrichtungen berücksichtigen 60 % bis 80 % der Studienteilnehmenden ESG-Aspekte bei Aktien und festverzinslichen Anlagen. 39 % haben Nachhaltigkeit im Anlagereglement verankert.
Während die meisten Vorsorgeeinrichtungen erkannt haben, dass es einen Handlungsbedarf gibt, bestehen grosse Unterschiede beim Verständnis und der Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Vermögensanlage. Die Vorsorgeeinrichtungen sind nach wie vor unsicher, welche Pflichten in Bezug auf das ESG-Investing bestehen und welche Massnahmen sie ergreifen müssen.
Bei der Vermögensanlage sind die folgenden treuhänderischen Pflichten für Vorsorgeeinrichtungen massgebend: Sicherheit der Anlage, Risikodiversifikation, genügender Ertrag (marktübliche Rendite) und ausreichende Liquidität(2). Hinzu kommt die Pflicht zur Ausübung der Aktionärsrechte bei Anlagen in Schweizer Aktien. Die geltende Gesetzgebung nennt Nachhaltigkeit nicht explizit als Element der treuhänderischen Pflichten in Zusammenhang mit der Vermögensanlage von Vorsorgeeinrichtungen. Demnach besteht auch keine rechtliche Verpflichtung, Klimawirkungen bei der Vermögensanlage zu berücksichtigen.
Allerdings besteht für Vorsorgeeinrichtungen gemäss einem Rechtsgutachten implizit eine Pflicht, Klimarisiken in der Evaluation des Rendite-Risiko-Profils der Anlagen zu berücksichtigen(3). Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hält fest, dass Vorsorgeeinrichtungen Klimarisiken in die Risikoeinschätzung der Anlagen einbeziehen müssen(4). ASIP konstatiert, dass Vorsorgeeinrichtungen die ESG-Risiken und Nachhaltigkeitsaspekte in der Definition der Anlagestrategie aufgreifen sollen(5).
Der schweizerische Bundesrat hat im November 2021 verschiedene Empfehlungen und Massnahmen in Bezug auf die Nachhaltigkeit auf dem Finanzplatz Schweiz beschlossen. Sie betreffen alle Finanzmarktakteure und Vorsorgeeinrichtungen. Enthalten sind die folgenden Massnahmen:
Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sollen prüfen, ob die Finanzbranche die Empfehlungen umgesetzt hat. Im Weiteren lancierte der Bundesrat im Juni 2022 die «Swiss Climate Scores» als Transparenzindikatoren zur Klimaverträglichkeit von Finanzanlagen.
Im November 2021 hat die Schweizer Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA die Aufsichtsmitteilung 05/2021 «Prävention und Bekämpfung von Greenwashing» publiziert. Darin fordert die FINMA mehr Transparenz bei der Offenlegung der Nachhaltigkeitsaspekte von Schweizer Kollektivanlagevehikeln, die eine ESG-Anlagestrategie verfolgen. Von dieser Transparenz sollten auch die Vorsorgeeinrichtungen profitieren, da sie über derartige Vehikel investieren.
Die Asset Management Association Switzerland (AMAS) hat gemeinsam mit Swiss Sustainable Finance (SSF) im Dezember 2021 einen ersten Schritt in Richtung standardisierter Definitionen der ESG-Anlageansätze unternommen(6). Zudem hat die AMAS im Frühjahr 2022 erstmals neue ESG-Kennzahlen als Teil der Transparenz-Selbstregulierung definiert, die Immobilienfonds in ihren Jahresberichten per 31. Dezember 2023 publizieren müssen(7). Im September 2022 hat die AMAS die neue Selbstregulierung zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug veröffentlicht. Diese soll die Qualität bei der Vermögensverwaltung und Positionierung von Anlagefonds mit Nachhaltigkeitsbezug sowie die Transparenz innerhalb der Schweizer Asset-Management-Industrie sicherstellen. Die Konferenz der Geschäftsführer von Anlagestiftungen (KGAST) hat für Anlagestiftungen im September 2022 die Empfehlung ausgesprochen, bei direkt investierenden Immobilien-Anlagegruppen ESG-Kennzahlen analog der AMAS-Richtlinie zu erheben und auszuweisen(8).
ASIP gründete 2021 gemeinsam mit anderen Branchenverbänden (AMAS, KGAST, SSF und CFA Schweiz und andere) eine Arbeitsgruppe. Diese soll bis Ende 2022 eine Richtlinie ausarbeiten, wie Vorsorgeeinrichtungen Transparenz über nachhaltige Anlagen schaffen. Die Richtlinie soll definieren, welche Kennzahlen zu ESG-Anlagen Vorsorgeeinrichtungen offenlegen sollen, und die folgenden Eckpunkte enthalten:
Parallel zu dieser Initiative veröffentlichte ASIP im Juli 2022 eine praxisorientierte Umsetzungshilfe(9), wie Vorsorgeeinrichtungen ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen berücksichtigen können. Diese Wegleitung behandelt unter anderem die folgenden Aspekte:
Die meisten Schweizer Vorsorgeeinrichtungen betrachten die Integration von ESG-Faktoren in den Anlageprozess als Element des Risikomanagements im Rahmen ihrer treuhänderischen Pflichten(10). Konkret bedeutet das, dass sie mögliche Auswirkungen von Umweltrisiken sowie soziale und Governance-Aspekte auf den Anlagewert im gleichen Umfang wie finanzielle Aspekte im Anlageentscheidungsprozess berücksichtigen. Das entspricht am ehesten dem Ansatz «ESG-Integration», wie er in der Vermögensverwaltungsbranche etabliert ist. Die Selbstregulierung der AMAS definiert ESG-Integration als «die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in den herkömmlichen Finanzanalyse- und Anlageentscheidungsverfahren auf der Basis von systematischen Prozessen und angemessenen Research-Quellen». In der Praxis verfügen Vorsorgeeinrichtungen mittlerweile über eine grosse Auswahl von Anlageprodukten, die den ESG-Integrationsansatz verfolgen.
Immer wieder taucht die Frage auf, wie gezielte Ausschlüsse von bestimmten Unternehmen und Branchen einzuordnen sind. Dieser Ansatz – auch «Negative Screening» genannt – umfasst primär Ausschlüsse auf Basis von Normen und Wertvorstellungen; zum Beispiel der Ausschluss von Produzenten von kontroversen Waffen. Einige Schweizer Vorsorgeeinrichtungen haben diesen normenbasierten Anlageausschluss in der Vergangenheit praktiziert. Da moralische Werte und Präferenzen der Mitglieder der Organe der Vorsorgeeinrichtungen sowie der Destinatäre unterschiedlich sind und von ihrem beruflichen Schwerpunkt abhängen, sind wertebasierte Ausschlüsse vielschichtig und kontrovers.
Mit Ausnahme von normenbasierten Ausschlüssen, die gesetzlich vorgegeben sind, müssen Vorsorgeeinrichtungen «freiwillige» wertebasierte Ausschlüsse grundsätzlich im Kontext ihrer treuhänderischen Pflichten evaluieren. Der Einbezug spezifischer ESG-Anlageansätze allein aufgrund moralischer Werte oder Imageüberlegungen sollte nicht im Widerspruch zu den treuhänderischen Pflichten stehen. Ein Rückzug aus der Alkoholindustrie, weil die Risiken rechtlicher Schritte sie zu einer schlechten langfristigen Investition machen, stünde zum Beispiel im Einklang mit treuhänderischen Pflichten. Hingegen wäre der Rückzug aus der Alkoholindustrie aufgrund der Vorstellung, dass es falsch ist, mit einem gesundheitsschädigenden Produkt in Verbindung gebracht zu werden, zwar im Einklang mit moralischen Werten, nicht aber mit den treuhänderischen Pflichten.
Interessanterweise betrachtet die neue AMAS-Selbstregulierung zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug jene Anlageprodukte, die ausschliesslich Ausschluss oder ESG-Integration als Nachhaltigkeitsansatz anwenden, nicht als nachhaltig. Sie dürfen nicht als «nachhaltig» bezeichnet oder positioniert werden. Offenbar braucht es unter den Asset Managern und institutionellen Investoren vorerst eine Abstimmung bei der Auslegung des Begriffs Nachhaltigkeit.
Selbstverständlich steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, über den Ansatz der ESG-Integration hinaus weitere fortgeschrittene Anlageansätze – etwa den Best-in-Class-Ansatz – oder thematische Anlagen wie die Klimaausrichtung zu verfolgen. Solche Anlageansätze sind allerdings immer im Kontext der treuhänderischen Pflichten zu definieren und umzusetzen.
Die meisten nachhaltigen Anlageansätze sind grundsätzlich aktiv. Bei konzentrierten Anlagestrategien, wie beispielsweise Best-in-Class und Positive Screening, können sie aufgrund vergleichbar geringerer Diversifikation das Anlagerisiko gegenüber dem breiteren Markt erhöhen. Die Investierenden sollten sich bewusst sein, dass auch sogenannte passive Nachhaltigkeitsstrategien, die einen spezialisierten ESG-Index abbilden, eigentlich aktive Strategien sind. Denn die aktive Anlageentscheidung wird hier einfach an den Index-Provider delegiert.
Im Weiteren können bestimmte ESG-Anlageansätze, zum Beispiel mit dem Fokus auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen, das Konzentrationsrisiko erhöhen. Denn «emissionsarme» Industrien und Emittenten – etwa Finanzdienstleistungen oder Informationstechnologie – werden im Portfolio übergewichtet.
Zentral bei der Umsetzung von ESG-Anlageansätzen ist die Überwachung von Anlageergebnissen wie Anlagerendite, Anlagerisiko und ESG-spezifischen Kennzahlen. Aus Erfahrung wissen wir, dass diesbezüglich noch viele Herausforderungen bestehen(11)
Nur eine kleine Minderheit der Asset Manager in der Schweiz kann derzeit eine aussagekräftige Analyse der Auswirkungen von ESG-Anlageentscheidungen auf die Anlagerendite und das Anlagerisiko vornehmen. Gemäss einer Ko-Studie(12) von PwC und bmpi bei Schweizer Vermögensverwaltern, Depotbanken und institutionellen Anlegern können 75 % der Studienteilnehmenden keine solche Risikoauswirkung editieren. Demnach können Investierende nicht adäquat messen, ob die ESG-Anlageentscheidungen tatsächlich zur Reduktion des Anlagerisikos beitragen.
[1] Vgl. «Swiss Sustainable Investment Market Study 2021», Swiss Sustainable Finance (SSF) und Universität Zürich, 2021
[2] Vgl. Art. 71 BVG, Art. 49a, 50-51 BVV2
[3] Vgl. «Berücksichtigung von Klimarisiken und -wirkungen auf dem Finanzmarkt», im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) erstellt, 2019
[4] Vgl. «Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 152», BVS, 6. Mai 2020
[5] Vgl. ASIP-Fachmitteilungen FM116, FM112
[6] Vgl. «Empfehlungen zu Mindestanforderungen und Transparenz für nachhaltige Anlageansätze und Produkte», AMAS und SSF, Dezember 2021
[7] Vgl. AMAS-Zirkular 04/22 «Umweltrelevante Kennzahlen für Immobilienfonds», AMAS, April 2022
[8] Vgl. «Umweltrelevante Kennzahlen für Immobilien-Anlagegruppen», KGAST, September 2022
[9] Vgl. «ESG-Wegleitung für Schweizer Pensionskassen», ASIP, Juli 2022
[10] Vgl. «Schweizer Vorsorgeeinrichtungen unter der Nachhaltigkeitslupe», R. Anhorn, ZHAW, 2021
[11] Vgl. «ESG-Strategien für Pensionskassen: Implikationen für das Investmentcontrolling», R. Garcia, Fachschule für Personalvorsorge, 2021
[12] Vgl. «ESG Investment Reporting Survey», PwC und bmpi, 2022
Die Vorsorgeeinrichtungen sollten als Mindeststandard die ESG-Anlagerisiken in ihren Anlageprozess integrieren und bei der Umsetzung der Anlagestrategie berücksichtigen. Sie sollten ESG-Anlageentscheidungen immer im Kontext der regulatorischen treuhänderischen Pflichten beurteilen. Überdies sollten sie die Entwicklungen im regulatorischen Umfeld und in der Selbstregulierung genau verfolgen.
Aktuell besteht für Vorsorgeeinrichtungen Handlungsbedarf in den folgenden Bereichen:
Im Weiteren ist es ratsam, die Mitgliedschaft bei ESG-Allianzen und -Verbänden zu definieren.
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