Im Fokus: Zinssätze

Langfristig höher? - Was Banker hinsichtlich steigender Zinssätze bedenken sollten

Patrick Akiki 
Partner Financial Services Markets Leader, PwC Switzerland

Matthieu Patrice
Director Treasury Consulting, PwC Switzerland

Kuchulain O`Flynn
Manager Liquidity and Funding, PwC Switzerland

Clemens Fessler
Senior Associate Consulting Financial Services, PwC Switzerland

Lilia Mukhlynina 
Senior Associate Consulting Financial Services, PwC Switzerland

Hätten Sie vor zehn Jahren bei einer Bank angefangen, würden Sie sich heute wahrscheinlich als erfahrene Fachkraft betrachten. Aber die wirtschaftlichen Veränderungen, die wir im letzten Jahr erlebt haben, können selbst erfahrenen Bankern das Gefühl geben, alles wieder von Grund auf neu lernen zu müssen. Nach mehr als einem Jahrzehnt der Nullzinsen haben viele Banker noch nie in einem Umfeld gearbeitet, in dem die Zinsen deutlich über Null lagen – so wie es früher normal war. Zusammen mit einer ungewöhnlich hohen Inflation, einem Krieg um Land in Europa und einer Energiekrise hat dies dazu geführt, dass Banken es eilig haben, auf die neue Realität zu reagieren. Im folgenden Artikel beleuchten wir drei wichtige Kanäle, über die Banken unserer Meinung nach von diesen Veränderungen betroffen sein werden. Wir zeigen ausserdem auf, welche Massnahmen zur Risikominderung ergriffen werden müssen und wie Finanzinstitute die aktuelle Situation zu ihrem Vorteil nutzen können. 

Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch (IRRBB)

Der erste Kanal, den wir beleuchten möchten, ist das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch (IRRBB) der Banken. Wenn sich Zinssätze schnell ändern, kann es bei den Banken zu einer Diskrepanz zwischen den Zinssätzen für Kundenkredite und den Zinssätzen für Einlagen kommen. Dieses Risiko wird allgemein als IRRBB bezeichnet. Hohe und steigende Zinssätze stellen die IRRBB-Modelle der Banken vor grosse Herausforderungen, da sich das Fälligkeitsprofil der Aktiva und Passiva ändert. Wenn eine Bank ihre Einlagen vor ihren Krediten neu bewerten muss, kann sie in Schwierigkeiten geraten. Möglicherweise muss die Bank plötzlich mehr Zinsen auf Einlagen auszahlen, als sie durch Kredite einnimmt. Dies wirkt sich in der Folge negativ auf den Nettozinsertrag der Bank aus und beeinträchtigt den wirtschaftlichen Wert des Eigenkapitals (Economic Value of Equity, EVE), der durch Abzinsung künftiger Mittelzu- und -abflüsse ermittelt wird.

Bei falscher Handhabung kann das IRRBB zu einer ernsthaften Bedrohung für die Eigenkapitalbasis und die Erträge der Banken werden, da es sich negativ auf den zugrunde liegenden Wert der Aktiva und Passiva der Banken auswirken kann. Das Risiko ist insbesondere dann hoch, wenn sich die Zinssätze innerhalb kurzer Zeit rasant ändern, wie es im letzten Jahr der Fall war.

Banken sollten sich nicht nur auf die unmittelbaren Auswirkungen für ihre Bilanzen vorbereiten, sondern sich auch auf eine Welle neuer Vorschriften zum IRRBB einstellen. 2016 gab der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) neue Standards für das IRRBB heraus, wodurch die Bilanzen der Banken einer strengeren Kontrolle unterliegen. In der Schweiz hat die Finanzmarktaufsicht (FINMA) im Januar 2019 die Basler IRRBB-Richtlinien angepasst und erwartet demzufolge von den Schweizer Banken, dass sie IRRBB-Risiken identifizieren, messen und kontrollieren.

Die jüngsten dramatischen Veränderungen im makroökonomischen Umfeld haben die Regulierungsbehörden dazu veranlasst, das Thema IRRBB erneut aufzugreifen, um den Finanzsektor auf turbulentere Zeiten vorzubereiten. Erst im Dezember 2021 hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) drei Konsultationen eingeleitet, um die technischen Aspekte ihrer IRRBB-Richtlinien festzulegen. Im Oktober 2022 veröffentlichte die Regulierungsbehörde die endgültigen Richtlinien und zwei technische Regulierungsstandards (RTS), die die technischen Aspekte des neuen Rahmenwerks festlegen. Die Europäische Zentralbank hat in ihren aufsichtsrechtlichen Zielen für die Jahre 2022 bis 2024 erklärt, dass der Umgang mit der Sensitivität von Zinssätzen und Kredit-Spreads eine wichtige Priorität für die kommenden Jahre darstellt, was die Bedeutung dieses Themas weiter unterstreicht.

Vermittlungsmarge

Im Gegensatz zu den Bedenken hinsichtlich der erhöhten IRRBB-Risiken haben die Banken weniger Grund zur Sorge, wenn es um ihre Vermittlungstätigkeit geht – zumindest kurzfristig. Das wird nach Jahren der Nullzinsen für die meisten Banker eine angenehme Überraschung sein. Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 haben die rekordverdächtig niedrigen Zinssätze Druck auf die Margen ausgeübt und die Erträge niedrig gehalten. Obwohl die Nachfrage nach Krediten gross war, waren die Banken nicht in der Lage, die negativen Zinssätze für die immer weiter steigenden Einlagen an ihre Kund:innen weiterzugeben. Das führte zu einer erheblichen Verschlechterung ihrer Vermittlungsmargen und zu einem Druck auf die Gewinne.

Im Jahr 2022 kehrte sich dieser Trend aufgrund der raschen Änderung der Politik der Zentralbanken praktisch um. Die Banken konnten hohe Kreditzinsen verlangen und gleichzeitig die Einlagenzinsen niedrig halten. Die Rekordeinlagen, die Banken in den letzten Jahren angehäuft hatten, bewirkten, dass es für Banken nicht das Ende der Welt bedeutete, wenn sie (bis zu einem gewissen Grad) an Wettbewerber verloren, die mehr zahlten. Die Nettozinserträge stiegen erheblich, was die Gewinne von Banken im Jahr 2022 ankurbelte. In der EU beschleunigte sich das Wachstum des vierteljährlichen Nettozinsertrags im zweiten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahr auf fast 9 %.[1]

Banken sollten sich jedoch nicht zu sehr an diese Situation gewöhnen. In den USA, wo sowohl die Inflation als auch die Zinssätze früher als in der EU anstiegen, sind die Gesamteinlagen zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg zurückgegangen. Europäische Banken sollten mit ähnlichen Entwicklungen rechnen, da Einlagenkund:innen nun vermehrt eine gewisse Rendite für ihr Geld verlangen und bereit sind, es anderswo anzulegen, wenn sie ein besseres Angebot erhalten.

Es ist wichtig, dass sich Banken bewusst sind, dass sie sich derzeit in einer recht glücklichen Lage befinden, diese aber nicht ewig anhalten wird. Die entscheidende Frage ist, wie ihre Finanzierungsstruktur und die Zusammensetzung ihres Kreditportfolios angesichts weiterer Zinserhöhungen und einer möglichen konjunkturellen Abkühlung zusammenspielen werden. Banken sollten unbedingt ihre Bilanzen überprüfen und die Bereiche bewerten, in denen sie besonders gefährdet sein könnten. Generell dürfte das Ende der Negativzinsen auf Reserven bei den Zentralbanken die Rentabilität jedoch weiterhin unterstützen, da die Grenzerträge aus der Kreditvergabe weiterhin hoch sind. Auch wenn die Nachfrage nach Krediten zurückgeht, dürften die höheren Zinssätze für bestehende Anlagen dem Vermittlungsgeschäft von Banken etwas mehr Spielraum verschaffen.

Kreditrisiko

Bislang haben wir vor allem betrachtet, wie sich Zinsänderungen unmittelbar und auf kurze Sicht auf die Banken auswirken. Hohe Zinssätze wirken sich aber auch indirekt und über einen längeren Zeitraum auf Banken aus. Da diese Zinssätze einen starken Einfluss auf die Gesamtwirtschaft haben, verändern sie auch die Bedingungen für die Kund:innen einzelner Banken, und zwar sowohl für Privat- als auch für Unternehmenskund:innen.

Ein Sektor, in dem bereits Anzeichen von Stress zu erkennen sind, ist der Bereich der Gewerbeimmobilien. Infolge der Pandemie und der Verlagerung auf Telearbeit sank die Belegung von Büroflächen in den USA von bis zu 95 % auf unter 50 %.[2] Darauf werden Banken reagieren müssen, indem sie ihre Risikobewertungen für möglicherweise davon betroffene Kredite ändern. Ausserdem müssen sie die Auswirkungen zweiter Ordnung berücksichtigen, da viele Unternehmen, die auf Büroangestellte angewiesen sind, auch damit zu kämpfen haben, die Einnahmen wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zu heben. Allein in Manhattan geben die Arbeitnehmer:innen nach Schätzungen von Wirtschaftswissenschaftlern jedes Jahr mindestens 12.4 Mrd. USD weniger aus, weil sie 30 % weniger Zeit im Büro verbringen.[3]

Die Banken werden das erhöhte Kreditrisiko entweder durch eine Abnahme des verfügbaren Einkommens ihrer Kreditnehmer:innen oder durch eine Zunahme der Schuldendienstkosten spüren. Beides kann sich negativ auf die Leistung der Banken auswirken, da in Erwartung potenzieller Ausfälle höhere Rückstellungen erforderlich sein können.

Sollte sich der Anstieg von Inflation und Zinssätzen nicht bald verlangsamen, könnte die Situation noch schlimmer werden, wenn die Gesamtnachfrage weiter sinkt, was letztlich zu einer Schwächung des Arbeits- und Wohnungsmarktes führen würde. Es gibt zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit, die zeigen, wie plötzliche und starke Zinsänderungen die Zahlungsfähigkeit ganzer Branchen beeinträchtigen können und zu einem erheblichen Kreditrisiko für Banken führen können.

Schlussfolgerung

Steigende Zinssätze, zunehmende wirtschaftliche Unsicherheit und neue regulatorische Anforderungen stellen die Wirtschaft insgesamt und Banken im Besonderen vor Herausforderungen. Wenn Finanzinstitute in diesem unsicheren Umfeld bestehen und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen, sind ausgeklügelte Strategien und Lösungen erforderlich.

Banken werden ihre Stressszenarios überarbeiten und sicherstellen müssen, dass diese nicht gänzlich auf Bedingungen wie vor der Pandemie basieren. Die Vorteile der Zinsuntergrenze sind nicht mehr spürbar, und Belastungen durch einen starken Rückgang der Zinssätze sind damit wieder möglich.

Derzeit bewerten die Banken ihre IRRBB-Risikobereitschaft in der Regel jährlich. Die zunehmende Volatilität der Märkte, die durch wirtschaftliche und politische Ereignisse bedingt wird, wird jedoch eine häufigere Bewertung erfordern. So können Banken bei Veränderungen der wirtschaftlichen Lage rasch Anpassungen vornehmen und das Risiko eines Stressszenarios verringern.

Nicht zuletzt sollten die Banken ausserdem die regulatorischen Entwicklungen im Auge behalten. Die Eindämmung der IRRBB-Risiken im Finanzsektor steht ganz oben auf der Agenda der Regulierungsbehörden, ist aber bei weitem nicht die einzige Herausforderung. Unternehmen müssen mit noch mehr Vorschriften in Bezug auf Kapitalanforderungen, Klimaberichterstattung und Datenverwaltung rechnen.

Positiv anzumerken ist, dass die Jahre der Nullzinsen nun vorbei sind und eine ähnliche Situation in naher Zukunft wohl nicht zu erwarten ist. Dies bedeutet eine gewisse Erleichterung für die Banken, da ihr Kerngeschäft rentabler wird und sie nicht mehr ständig nach anderen Möglichkeiten der Gewinnerzielung suchen müssen. Dennoch sollte man vorsichtig sein und sich nicht zu sehr an die hohen Vermittlungsmargen gewöhnen. Wenn zu viele Kund:innen ihr Geld anderswo anlegen, könnten Banken darüber in Sorge geraten, ihre Einlagenzinsen nicht früher angehoben zu haben.


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