Die Diskussionen um die Pflegeinitiative beschäftigt die Leistungserbringer seit dem Volks-Ja an der Urne vom 28. November 2021. Nun hat eine neue Etappe der Umsetzung begonnen. Sie umfasst einerseits ein neues Bundesgesetz über anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen in der Pflege und andererseits die Mitgestaltung der beruflichen Weiterentwicklung. Nachfolgend einige wertvolle Impulse für Leistungserbringer.
Im Herbst 2023 haben wir unsere Finanzstudie «Schweizer Spitäler: So gesund waren die Finanzen 2022» publiziert. Darin gehen wir auf die zunehmende Regulierung und den Fach- und Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen ein. Beide Herausforderungen haben die erste Umsetzungsphase der Pflegeinitiative geprägt. Nun ist der Startschuss für die zweite Etappe gefallen. Das setzt die Leistungserbringer unter Zugzwang, ihr Pflegepersonal zu entlasten und dessen Arbeitsbedingungen zu verbessern – das alles in einem finanziell angespannten Umfeld. Für Leistungserbringer gibt es nun einiges zu tun.
Mit dem neuen Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege setzt der Gesetzgeber die Anpassung der Regulatorik um, die durch die Annahme der Pflegeinitiative notwendig wird. Damit strebt er eine Mindestregelung der Arbeitsbedingungen der Pflege an. Ziel soll es sein, die Arbeitszufriedenheit in der Pflege zu fördern und die Zahl der Berufsausstiege zu reduzieren. Denn jeden Monat verlassen aktuell zirka 300 Fachkräfte das Gesundheitswesen.1
Diese zusätzlichen Regulierungen sind mit weiteren Kosten für die Leistungserbringer verknüpft. Schon heute belasten steigende Gesamtkosten und immer mehr vorzeitige Berufsaustritte die Branche finanziell stark. In den Tarifen werden solche ausserordentlichen Kostentreiber jeweils erst deutlich verzögert abgebildet.
Diverse übergeordnete Zielsetzungen sollen die Spitäler zur Suche nach Lösungen motivieren, um den Trend der Berufsaustritte zu adressieren. Die unterschiedlichen Messgrössen für die Fluktuationsraten sind zentrale Steuerungsgrössen, die einem Spital eine gute Orientierung geben.
Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK hat im Mai eine Übersicht über das Vorgehen und die Massnahmen zur Umsetzung der Arbeitsbedingungen und beruflichen Entwicklung in den Kantonen präsentiert.2 Daraus ergeben sich für die Leistungserbringer drei Handlungsfelder mit diversen Ansatzpunkten:
Handlungsfeld 2 zwingt die Leistungserbringer zur Frage, wie sie diesen Forderungen mit ihren Betriebskonzepten gerecht werden. Die aufgeführten Themen sind nicht neu. Ein Grossteil der Leistungserbringer beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit der Überarbeitung des Skill-Grade-Mixes, der Reduktion des Temporärpersonals durch Poollösungen und der Vergütung von kurzfristigen Arbeitseinsätzen.
Um die bevorstehende Gesetzesregelung zu antizipieren, sollten die Leistungserbringer ihren Überlegungen mehr Gewicht und Innovationskraft verleihen. Dabei können die folgenden Fragen hilfreich sein:
Welche Möglichkeiten bestehen im eigenen Betrieb zur Flexibilisierung der Personalressourcen? Wie lassen sich dadurch Ressourcen schonen, Temporärpersonal reduzieren und gleichzeitig eine bessere Planbarkeit sicherstellen?
Wie stark erhöht sich der Personalaufwand der Einrichtung tatsächlich unter Berücksichtigung einer potenziellen Reduktion des Temporärpersonals?
Wie gewährleisten die Verantwortlichen eine Verlängerung der Ankündigungsfrist für Dienstpläne auf mindestens vier Wochen und halten Betrieb sowie Abteilungen trotzdem flexibel?
Welche digitalen Tools benötigt der Leistungserbringer und welche Prozesse muss er optimieren, um Ressourcen sinnvoll zu steuern und den Arbeitskräftepool zielführend einzusetzen?
Welche Vernetzungen und Ressourcenaustausche mit anderen Leistungserbringern in der Region im Sinne institutionsübergreifender Pools sind möglich und wie lassen sich diese etablieren?
Wie gewährleistet der Leistungserbringer die Einhaltung der Regelung von Lohnzuschlägen für kurzfristige Arbeitseinsätze und hält trotzdem den Personalaufwand unter Kontrolle, um einem kontraproduktiven Effekt mit Personalkürzungen zu vermeiden?
Wie stellt der Leistungserbringer im Betrieb die Messung des Skill-Grade-Mixes sicher, um sich an den Richtgrössen und Empfehlungen zu orientieren?
Wie stellt der Leistungserbringer sicher, dass die Anwendung des neuen Gesetzes im eigenen Betrieb organisiert und vollzogen ist?
Wie können die Verantwortlichen neue Berufsgruppen – zum Beispiel Clinical Nurse Specialist oder Advanced Nurse Practitioner – in den Betrieb integrieren, um Patient:innen sicher und effizient zu begleiten?
Gemeinsam mit dem Berufsverband Swiss Nurse Leaders haben wir das CNO-Barometer 2023 publiziert. Dieses macht deutlich, dass bereits viele Gesundheitseinrichtungen die Planbarkeit der Personaleinsätze verbessern. Doch nur wenige CNOs sehen derartige Massnahmen sowie die Nutzung von internen und externen Pools als besonders vielversprechend.
Aus persönlichen Gesprächen im Nachgang zur Publikation leiten wir einen wesentlichen Trend ab: Leistungserbringer, die ihr ehemals festes Personal vermehrt flexibilisieren, Poollösungen ausbauen und ihren Ressourceneinsatz überdenken, können ihr Temporärpersonal auf quasi null reduzieren. Ein weiterer Lösungstrend zeigt sich im Zusammenschluss diverser Leistungserbringer einer Region mit dem Ziel eines gemeinsamen Pools oder eines gegenseitigen Abwerbeverbots.
Digitale Tools können helfen, Personal schneller und besser zu steuern und auch kurzfristige Einsätze abzudecken. Hier gilt es insbesondere die Balance zu finden zwischen einer nachfrageorientierten Ausstattung mit Pflegepersonal und einer regelkonformen frühzeitigen Personaleinsatzplanung. Dazu verfolgen wir produktivitätsbasierte Ansätze und unterjährliche Planungszyklen anstelle von jährlichen, starren Kostenbudgets. Weiter kann das Personal dank Kommunikationsplattformen selbstständig kurzfristige Einsätze annehmen. Ein Leistungserbringer muss dabei vermehrt fachbereichsübergreifende Personaleinsatzplanung in Betracht ziehen. Aus der Praxis wissen wir, dass das Personal gegenüber solchen Instrumenten und Möglichkeiten positiv eingestellt ist und sich ein Trend in diese Richtung abzeichnet.
Die Themen rund um bessere Arbeitsbedingungen und attraktivere Berufschancen für Pflegepersonal sind nicht neu. Doch mit den neuen regulatorischen Vorgaben kommen die Leistungserbringer weiter unter Druck. Seit einiger Zeit existieren vielfältige Ansätze, die von diversen Einrichtungen bereits umgesetzt werden. Insbesondere die Nutzung digitaler Lösungen und die Vernetzung mit anderen Leistungserbringern der Region können helfen, die Herausforderungen zu adressieren.
1 Vgl. «Gesundheitspersonal in der Schweiz – Nationaler Versorgungsbericht 2021», Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan), 2021.
2 Vgl. «Umsetzung Verfassungsartikel Pflege, zweite Etappe», Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), 7. Mai 2024.
Spitäler übermorgen – so entwickelt sich das Gesundheitswesen
Steve Kienscherff
Senior Manager, Strategy & Business Transformation Healthcare, PwC Switzerland
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