Im Fokus: Leistungsstarke Verwaltungsräte

Heute Rat, morgen Crew


Bruno Rossi
Partner Wirtschaftsprüfung, PwC Schweiz

Die Leistungsfähigkeit des Verwaltungsrats (VR) als oberstes Führungs- und Kontrollgremium rückt immer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit – vor allem die Verantwortung dafür, wenn im Unternehmen etwas schiefläuft. Allerdings gehen die Anforderungen an einen Verwaltungsrat weit über reine Corporate-Governance-Richtlinien hinaus. Für ein High-Performing Board wird die wertsteigernde Interaktion auf Basis von Denk- und Meinungsvielfalt zur Königsdisziplin.

Bisher hat jedes Jahr ein zentrales Ereignis das Adrenalin von Verwaltungsräten, Geschäftsführern und Investoren in die Höhe schnellen lassen: die Präsentation der Jahresergebnisse anlässlich der Generalversammlung. Seit Jüngstem erzeugt ein weiterer Event dieselbe Wirkung: die Publikation des Verwaltungsratsrankings von zRating im Herbst. 

Diese Rangierung von über 170 kotierten Schweizer Gesellschaften beurteilt sachlich und akkurat, inwiefern das Führungsgremium die Corporate Governance einhält. Die Wichtigkeit des VR-Rankings verdeutlicht, dass nicht nur relevant ist, was ein Verwaltungsrat entscheidet, sondern auch, wie er entscheidet. Diesem Aspekt wurde in der Vergangenheit weniger Beachtung geschenkt. Er wird aber zunehmend als Schlüsselfaktor für die Leistungsfähigkeit eines Verwaltungsrats angesehen.


Die Kraft des Teams

In einem leistungsstarken Verwaltungsrat werden alle unternehmensrelevanten Themen umfassend und aus den unterschiedlichsten Perspektiven diskutiert – zum Vorteil des Unternehmens, nicht zum Vorteil der Mitglieder. Deshalb muss der Verwaltungsratspräsident sicherstellen,

  • dass unterschiedliche Meinungen vertreten sind, also eine Vielfalt von Denk- und Herangehensweisen vorliegt;
  • dass er die Entscheidungskompetenz hoch hält. Dazu muss das Gremium bereit sein, Entscheidungen zeitnah zu fällen und daran festzuhalten;
  • dass alle Meinungen unabhängig von Person und Position in einer demokratischen Art und Weise angehört werden;
  • dass es nicht zu Groupthink kommt (vgl. Kasten).

Groupthink – fehlgeleitete Tatkraft

Groupthink bezeichnet einen sozialen Prozess, bei dem eine Gruppe von kompetenten Personen schlechtere oder realitätsfernere Entscheidungen trifft, weil jede beteiligte Person ihre Meinung der erwarteten Gruppenmeinung oder der Ansicht eines dominierenden Mitglieds (sog. HiPPO -Highest Paid Person in the Office) anpasst. So können aus der Runde Kompromisse oder Handlungen hervorgehen, die einzelne Mitglieder eigentlich abgelehnt hätten. Groupthink liegt den meisten Krisen und Fehlentscheidungen zugrunde. Denn das Momentum des Teams wird abgefälscht und führt zu fehlerhaften Entscheidungen.

Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und inhaltlichen Schwerpunkten können strategische Fragen ganzheitlich beleuchten und ein holistisches Bild von Chancen und Risiken gewinnen. Homogene Gruppen hingegen tendieren dazu, sich gegenseitig zu wenig herauszufordern und vorschnell allgemein genehme Entscheide zu fällen.

Darum braucht der leistungsstarke Verwaltungsrat eine Atmosphäre, die den Diskurs pflegt. Ein solcher umfasst eine positive Auseinandersetzung mit heiklen Themen, in der es ausschliesslich um die Sache geht und die unterschiedliche Meinungen zulässt. Nur so lassen sich Entscheidungen effizient und effektiv fällen und verbindlich festhalten.

Die neue Corporate Governance

Für ein effizientes Führungsgremium ist nicht nur das Einhalten von rechtlich stipulierten Richtlinien erforderlich. Es braucht einen neuartigen Ansatz, der das Potenzial der Vielfalt innerhalb des obersten Führungsgremiums zugunsten des Unternehmens kapitalisiert (vgl. Fokus-Beitrag «Die Vielfalt der Vielfalt» von Bruno Rossi). Wichtig dabei ist neben der nominellen Diversität, dass Frauen auch in die einflussreichen VR-Funktionen gewählt werden. Das ist heute leider noch sehr selten der Fall.[1] Darum sprechen wir von einer neuen Corporate Governance.

Diversität stattet einen Vorstand mit Fühlern in alle Richtungen aus: Richtung Markt und Zielgruppen, Management und Kader, Mitarbeitende und Talente, Produkte und Dienstleistungen, Entwicklungen und Trends, Technologien und Tools, Chancen und Gefahren. Verwaltungsräte dürfen sich also nicht in ihren Elfenbeinturm zurückziehen oder ihre Verantwortung für das Unternehmen an den Verwaltungsratspräsidenten und seinen Vize delegieren; diese obliegt jedem Ratsmitglied höchstpersönlich.

Zum Beispiel hat nicht zuletzt wegen der #metoo-Debatte das Thema der Unternehmens- und Führungskultur eine hohe Aufmerksamkeit erfahren. Wie die Studie «PwC’s 2018 Annual Corporate Directors Survey» zeigt, wird die Kultur immer mehr zu einem aktuellen (und zum Teil brisanten) VR-Traktandum. Eine abstrakte Debatte über die Kultur greift allerdings zu kurz. Alle VR-Mitglieder müssen sich eingehend darüber informieren, wie die Kultur in ihrem Unternehmen tatsächlich aussieht und gelebt wird, und welche Korrekturmassnahmen eventuell notwendig sind. Deshalb erfordert die neue Corporate Governance eine Verankerung im Unternehmen und ein Selbstverständnis des Verwaltungsrats, wonach sich dieser als oberstes unternehmerisches Gremium versteht – und auch so handelt.

[1] Eine aktuelle Studie zeigt, dass z.B. nur 21 % der NCCs und 18 % der ACs von Fortune 500 Firmen von Frauen geleitet werden (Kimberly A. Whitler und Deborah A. Henretta, Why the influence of women on boards still lags, MIT Sloan Management Review, Spring 2018).

Dynamische Balance

Die Beziehung von Verwaltungsrat und Geschäftsführung zeichnet sich durch eine einzigartige Ambivalenz aus. Einerseits ist der Verwaltungsrat die oberste Aufsichts- und Kontrollinstanz und wacht als solche über die operative Tätigkeit der Geschäftsführung. Andererseits muss er aktiv mit dem Management zusammenarbeiten und gemeinsam mit diesem Lösungen finden, die das Unternehmen erfolgreich durch gute und schlechte Zeiten steuern. Dazu ist ein gutes Vertrauensklima zentral, in dem beide Seiten partnerschaftlich zusammenarbeiten. 

Diese Balance ist keineswegs statisch – und schon gar nicht einfach zu halten. Je nach personeller Besetzung, Wirtschaftslage und unternehmerischer Ausrichtung bewegen sich Verwaltungsrat und Management situativ mehr oder weniger nah oder weit voneinander weg.

Perfekt verwaltet, stark geführt

Besser geht immer – die Frage ist nur wie. Eine gründliche und objektive Beurteilung von Verwaltungsrat und Ausschüssen kann die Verwaltungsratsarbeit effektiver und effizienter gestalten. Es ist wichtig, ein VR-Assessment von einer VR-Evaluation zu unterscheiden. Im VR-Assessment geht es mitunter darum, die Qualität der einzelnen VR-Mitglieder zu beurteilen. Die vorstehend erwähnte Studie von PwC zeigt zum Beispiel, dass sich fast jedes zweite befragte VR-Mitglied eine personelle Änderung im obersten Führungsgremium wünscht. In einer VR-Evaluation werden ausschliesslich der Verwaltungsrat respektive dessen Committees als Team beurteilt. Aussagen über individuelle VR-Mitglieder werden keine gemacht. Die VR-Evaluation steht im Vordergrund dieses Beitrags.

Für eine umfassende VR-Evaluation empfiehlt sich ein Vorgehen in fünf Schritten:

1. Die Selbstbeurteilung

Die ganzheitliche Beurteilung des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung beginnt mit einer Selbstbeurteilung. Diese findet bevorzugt online über einen anonymisierten Fragebogen statt. Sie prüft sowohl das Verhalten als auch die Prozesse des Verwaltungsrats, des Audit Committees und des Nomination and Compensation Committees. Der Fragebogen geht auf die wesentlichen Aspekte der Dynamik innerhalb des Verwaltungsrates ein. Dazu gehören Strategie, Funktionsweise, Fähigkeiten und Wissen, Beziehungsnetz, Sitzungsdynamik und -kultur, Zusammensetzung, Informationsfluss, Qualität und Vorbereitungszeit für Unterlagen, Leistungsfähigkeit sowie Risikomanagement.

Der Fragebogen unterstützt den Verwaltungsrat in der Selbstreflexion. Er zeigt ihm auf, welche Aspekte er prüfen und im Auge behalten soll. Wenn von einem Dritten durchgeführt, kann die Selbsteinschätzung des VRs mit einem entsprechenden Benchmark verglichen werden, der einen hilfreichen Referenzpunkt darstellt. Einen standardisierten Fragebogen und nützliche Tipps zur Selbstbeurteilung finden Sie hier.

2. Die Einzelinterviews

Basierend auf dem Fragebogen werden vertiefende Einzelinterviews mit sämtlichen Verwaltungsratsmitgliedern und ausgesuchten Mitgliedern der Geschäftsleitung geführt. Der Leitfaden für diesen Austausch ist massgeschneidert und wird an die jeweilige Situation angepasst. In diesen Gesprächen lassen sich heikle Themen oder genannte Kritikpunkte vertiefen.

Hier sollen Gründe für allenfalls negative Bewertungen im Fragebogen herausgeschält werden. Dabei gilt es zu verstehen, ob es sich um Einzelnennungen oder um Gruppenphänomene handelt. Der persönliche Austausch erlaubt es, in die Tiefe zu gehen, und liefert zudem Hinweise zwischen den Zeilen.

3. Die Sitzungsteilnahme

Als weitere Informationsquelle für ein klares Bild über den Verwaltungsrat lohnt sich die Teilnahme eines externen Experten an einer bis mehreren Verwaltungsratssitzungen. Denn in realen Situationen der alltäglichen Führungsarbeit zeigen sich Dynamik, Verhaltensweisen und Machtkonstellationen am besten. Die Sitzungsteilnahme einer externen Fachperson erweitert das Selbstbild des Verwaltungsrats um ein objektives Fremdbild. Nicht selten sind Diskrepanzen zwischen diesen beiden Wahrnehmungen festzustellen. Der Dialog allein darüber ist oft bereits eine wertvolle Bereicherung für den VR.

4. Der Bericht

In einem umfassenden Bericht werden die Resultate aus den vorgängigen Schritten aufbereitet und verständlich dargestellt. Die Haupterkenntnisse sind in die Themen Grösse des Verwaltungsrats, Sitzungen, Committees, Verwaltungsratspräsident, Leistungsfähigkeit, Zusammensetzung, Zusammenarbeit von Verwaltungsrat und Management, Stakeholdermanagement, Fähigkeiten und Weiterbildung, ethische Grundlagen, Diversität, Risiko- und Krisenmanagement untergliedert.

Ebenfalls im Bericht enthalten ist eine Reihe von Aktivitäten, die der Unternehmensspitze helfen, Schwachpunkte zu beseitigen und ihre Wirksamkeit zu verbessern. Dabei wird auch auf inhaltliche Themen eingegangen, wie zum Beispiel die Notwendigkeit, allenfalls die Erfahrung und das Wissen in Bereichen wie Cyberkriminalität oder Digitalisierung[1] zu stärken.

[1] Eine aktuelle Studie zeigt, dass Themen wie technologische Trends, Innovation und Cybersecurity in VR-Diskussion stark untervertreten sind (J. Yo-Jud Cheng and Boris Groysberg, Innovation should be a top priority for boards – so why isn’t it, HRB, 21. Sep. 2018)

Abbildung 1: Die Erkenntnisse aus dem Assessment sollen positive und kritische Elemente enthalten.

5. Die Best Practice

Um den zentralen Handlungsbedarf zu konkretisieren, sollte der Schlussbericht Best-Practice-Werkzeuge anbieten. Hier fliessen Erfahrungen aus Forschung, langjähriger Verwaltungsratspraxis aus dem In- und Ausland sowie jahrelange Erfahrung aus VR-Evaluationen mit ein. Das Best-Practice-Kapitel im Bericht schlägt Vorgehensweisen und Modelle vor, die sich in der Praxis bewährt haben. Das können erfolgreiche Führungsmodelle, regelmässige Erhebungen[2], Boardroom-Apps und andere praktische Hilfsmittel sein. Die Best Practice hilft dem Verwaltungsrat beispielsweise, seine Rolle bei der Festlegung der strategischen Agenda zu definieren[3], seine Leistung regelmässig zu überprüfen und die Sitzungen effektiver auszugestalten.

[2] «Executive Compensation & Corporate Governance», Insights 2018 (Part 3)

[3] Roger Martin, The Board’s role in strategy, HBR, 28. Dez. 2018

Fünf-Schritte-Prozess der Verwaltungsratsevaluation

Anspruchsvoll, aber lohnend

Die Beurteilung von Verwaltungsrat und Ausschüssen ist wesentlich für die kontinuierliche Verbesserung der strategischen Führungsarbeit. Sie wird idealerweise von einem aussenstehenden Spezialisten durchgeführt, damit die Antworten möglichst offen ausfallen und die Auswertung vorurteilslos erfolgt. Dass eine professionell geführte Evaluation einen tiefen Einblick in die Funktionsweise und Interaktion eines Verwaltungsrats gewährleistet und diesem einen Mehrwert bietet, zeigt das Beispiel von Sunrise (vgl. Fokus-Beitrag «Eine regelmässige Boardevaluation gehört zum Instrumentarium einer guten Corporate Governance», Interview mit Peter Kurer, Verwaltungsratspräsident der Sunrise Communications AG).

Weiter im Text

Wer weitere Informationen und Hilfsmittel zum Thema sucht, findet diese hier:

  • Boardroom Community App von PwC: > mehr
  • Studie «The evolving boardroom – PwC’s 2018 Annual Corporate Directors Survey»: > mehr
  • Leitfaden für ein effektives Bordassessment: > mehr

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Bruno Rossi

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Assurance Partner, PwC Switzerland

Tel.: +41 58 792 59 75

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