Update: Netto-Null

Netto-Null – Anspruch und Engagement

Christophe Bourgoin
Partner, Investor Reporting and Sustainability Platform Leader, PwC Switzerland

Dekarbonisierung ist in zukunftsgerichteten Unternehmen kein Fremdwort mehr. Denn der Klimawandel ist Realität, Klimaschutz auch wirtschaftlich ein Muss und Netto-Null ein zukunftsorientierter Anspruch. Um diesem gerecht zu werden, muss ein Unternehmen seine Herausforderungen daraus kennen, allenfalls Änderungen an Strategie, Geschäftsmodell oder Angebot vornehmen und seine Netto-Null-Ziele systematisch umsetzen. Nur so bleibt es erfolgreich nachhaltig – und nachhaltig erfolgreich.

Verhalten wir uns nachhaltig? Wer eine ehrliche Antwort auf diese Frage geben möchte, muss eine Reihe von strategischen Schlüsselthemen unter die Lupe nehmen, die in der Summe in einem klimafreundlichen Verhalten und einem konkreten Beitrag zu einer nachhaltig grüneren Wirtschaft resultieren. Dazu gehören:

  • die Definition der langfristigen Ambition zum Erreichen von Netto-Null bis spätestens 2050
  • das Einbetten der Dekarbonisierung in die Unternehmensstrategie
  • entsprechende Anpassungen des Geschäftsmodells
  • eine Überarbeitung der Lieferkette von der Beschaffung bis zum Ende des Produktlebenszyklus
  • das Sicherstellen von Monitoring und Reporting
  • das Entwickeln von Innovationen und Technologien im Hinblick auf das definierte Dekarbonisierungsziel
  • deren Finanzierung und schliesslich
  • eine transparente und angemessene Kommunikation des angestrebten Engagements gegenüber sämtlichen internen und externen Dialoggruppen.

Strategische Kernaufgabe

Unter Dekarbonisierung werden sämtliche Bestrebungen eines Unternehmens zusammengefasst, die Treibhausgasemissionen innerhalb der Wertschöpfungskette auf null zu reduzieren (Netto-Null). Betroffen sind direkte und indirekte Emissionen und solche, die explizit vor- und nachgelagert zum Unternehmen entstehen (genannt «Scope 1, 2 und 3»). Im Hinblick auf die regulatorischen Rahmenbedingungen (vgl. Wandel braucht einen Rahmen, PwC, 2021) stellt die Dekarbonisierung für ein Unternehmen eine strategische Zielsetzung dar und dient als Ankerpunkt für entsprechende Anpassungen auf geschäftsstrategischer und operativer Ebene.

Wer Emissionsneutralität anstrebt, muss seine gesamte Wertschöpfung innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens dekarbonisieren. Dieser Prozess ist an einer klar definierten Absenkkurve ausgerichtet, wobei Ausgleichsmassnahmen Emissionen aus der Atmosphäre aktiv entfernen und nicht nur reduzieren müssen. Da die Dekarbonisierung jedes Glied der Wertschöpfungskette betrifft, muss ein Unternehmen nicht nur sich selber, sondern auch Lieferanten und Kunden an seinen angestrebten Emissionszielen orientieren. Schliesslich gehört zu einem Netto-Null-Engagement, dass das Unternehmen sich an der öffentlichen politischen Diskussion beteiligt, um einen breit angelegten Übergang zu einer grünen Wirtschaft zu beschleunigen. Ein Zusammenspiel aller Akteure ist unbedingt notwendig.

Herausforderungen kennen und richtig reagieren

Netto-Null ist ein anspruchsvolles Ziel am Ende eines langen Wegs. Auf diesem gilt es zahlreiche Hindernisse auszuräumen. Wer sein Unternehmen zur Emissionsneutralität transformieren will, sollte sich die nachfolgenden Aspekte vor Augen führen und seine Anspruchsgruppen mit entsprechenden Massnahmen in sein Netto-Null-Engagement einbinden:

  • Das Netto-Null-Engagement wird nicht über die gesamte betriebliche Wertschöpfungskette eines Unternehmens hinweg mobilisiert.
  • Eine Netto-Null-Governance ist nicht definiert. Zentrale Anspruchsgruppen, die über die Massnahmen entscheiden müssen, werden nicht einbezogen.
  • Es existieren keine etablierten Ansätze, um sich mit politischen Entscheidungsträgern bei der Entwicklung eines sektoralen Ansatzes zum Umgang mit CO2 auseinanderzusetzen.
  • Ein Verständnis für die Bedeutung eines Netto-Null-Bekenntnisses fehlt. Ebenso fehlen Instrumente, um die Reduktion von Kohlenstoffemissionen zu messen oder offenzulegen.
  • Innerhalb eines Industriesektors herrschen unterschiedliche Meinungen. Gleichgesinnte verfolgen nicht den gleichen Ansatz.
  • Es werden zu viele Herausforderungen auf einmal angegangen, ohne dass ein Fahrplan für eine emissionsarme Produktion entwickelt wird. Ein solcher enthält die Schwerpunktbereiche mit den grössten Auswirkungen auf die Emissionsreduktion.
  • Die Bewertung und Behandlung von indirekten Treibhausgasemissionen (Scope 3) sind komplex. Ausserdem sind die produzierenden Unternehmen unsicher darüber, wie weit ihre Verantwortung reicht, da sie in der Gesamtwertschöpfung ganz vorne stehen.
  • Entscheidungsträger müssen die Vorteile und Risiken aus geschäftlicher und finanzieller Sicht verstehen, z. B. Pricing, Anreizsysteme, Subventionen zur Finanzierung des Übergangs, Besteuerung und andere.
  • Nur wenige entwickeln ein Verständnis für die Kosten und führen einen internen CO2-Preis ein. Ein solcher ist noch keine Best Practice.
  • Nicht alle Unternehmen verfügen über interne Kapazitäten, um Daten zu analysieren und zu ermitteln, wo die wichtigsten Emissionsquellen liegen und wie sie diese effektiv angehen.
  • Kleinere Unternehmen haben oft nicht genug Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten und sind daher nicht in der Lage, ihre Lieferkette zu steuern.

Systematisch und schrittweise vorgehen

Und nun? Diese Frage stellen sich die meisten Entscheidungsträger zu Beginn der Umsetzung eines Netto-Null-Engagements (vgl. Für eine grünere Schweizer Wirtschaft engagiert, PwC, 2020). Wir empfehlen ein Vorgehen in Schritten.

1. Treibhausgasbilanz erstellen

Der erste Schritt besteht in einer Bestandsaufnahme. Eine solche hilft, die Emissionsschwerpunkte entlang der Wertschöpfungskette zu erkennen und gezielt zu adressieren (vgl. Abbildung). Für die meisten Industrien sind nebst direkt oder indirekt kontrollierten Emissionen vor allem jene aus der Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen relevant.

Abbildung: Die Errechnung des effektiven Absenkpfads geht von einer Inventarisierung der Ist-Emissionssituation aus.

Abbildung: Die Errechnung des effektiven Absenkpfads geht von einer Inventarisierung der Ist-Emissionssituation aus.

2. Reduktionsziele festlegen

Der zweite Schritt umfasst das Ausformulieren konkreter Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Mit einer solchen Absenkkurve kann sich ein Unternehmen auf regulatorische Ambitionen wie die Schweizer Klimastrategie 2050 vorbereiten und ein Signal an seine Dialoggruppen senden. Dabei kann es seine Klimastrategie durch die Science Based Targets Initiative (SBTi) validieren lassen, was heute weltweit schon über 350 Grossunternehmen tun. SBTi ist eine Partnerschaft zwischen der Non-Profit-Organisation CDP, dem Global Compact der Vereinten Nationen, dem World Resources Institute (WRI) und dem World Wide Fund for Nature (WWF). Sie treibt ehrgeizige Klimamassnahmen im privaten Sektor voran, indem sie es Unternehmen ermöglicht, wissenschaftlich fundierte Emissionsreduktionsziele festzulegen und mit dem Ambitionsniveau des Pariser Abkommens abzustimmen.

3. Optionen durchspielen

Bei diesem Schritt gilt es zu analysieren, mit welchen Massnahmen sich die Treibhausgasemissionen kosteneffizient über die ganze Wertschöpfungskette reduzieren lassen. Dabei wird die Effizienz verschiedener Massnahmen miteinander verglichen. Ziel muss es sein, die Massnahmen gegenüber dem zeitlichen Rahmen auszugestalten – nicht möglichst schnell auf Netto-Null zu kommen.

4. Massnahmen umsetzen und überwachen

Für die Umsetzung der Massnahmen als vierte Etappe ist es sinnvoll, einen Reduktionsfahrplan anzulegen. Dessen Ausgestaltung hängt wesentlich davon ab, wann welche Lösungen so kosteneffizient wie möglich realisierbar sind. Denn nicht jede Lösung ist schon heute zu attraktiven Preisen verfügbar, kann aber mittel- bis langfristig interessant und zentral werden.

5. Reporting und Prüfung sicherstellen

Mit einer öffentlich zugänglichen Berichterstattung zur Nachhaltigkeit oder zu ökologischen, sozialen und Governance-Faktoren (ESG) legt ein Unternehmen unter anderem Informationen zu den hauseigenen Klimaauswirkungen und zu seinem Umgang mit dem Klimawandel gegenüber Dialoggruppen wie Finanzmarktakteuren, Kunden und der interessierten Öffentlichkeit offen. Gängige Berichtsstandards und Rahmenwerke wie die «Global Reporting Initiative» oder das «GHG Protocol» verlangen klimarelevante Informationen in strukturierter Form. Und der in Kraft getretene Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) hat die Offenlegungspflichten weiter verschärft (vgl. Eine einzigartige Chance, zu einem verantwortungsvollen Vorbild für Unternehmen zu werden, PwC, 2020). Um Standards wie diese zu erfüllen, sollte ein Unternehmen ein Reporting von klimarelevanten Kennzahlen, Zielen, Konzepten, Chancen und Risiken schrittweise aufbauen und erweitern. Eine externe Prüfung dieser Offenlegung erhöht deren Glaubwürdigkeit.

Fazit

Der Klimawandel kennt keine Grenzen, weder für Länder noch für Branchen und schon gar nicht für Menschen. So ist Klimaschutz eine globale Aufgabe, die alle Unternehmen in die Pflicht nimmt. Mit einem Netto-Null-Engagement können Entscheidungsträger ihren Anteil an der Herkulesaufgabe übernehmen. Wichtig dabei ist, dass sie sich der Hindernisse bewusst sind, das firmeneigene Dekarbonisierungsziel systematisch planen und gezielte Massnahmen ergreifen. Das letztlich auch mit dem Blick auf die Chancen, die sich dem Unternehmen durch ein solches Ziel bieten. In dieser Checkliste finden sich neun Schlüsselaktionen, die als Erstes anstehen.


Kontaktieren Sie uns

Christophe Bourgoin

Partner, Finance Transformation Platform Leader and Sustainability Platform Leader, Zurich, PwC Switzerland

+41 58 792 25 37

E-Mail

Follow us